1. Der Beitrag der belgischen Ratspräsidentschaft zur Umsetzung des Vertrags von Lissabon hinsichtlich der internationalen Beziehungen der EU
Belgien hat die wechselnde EU-Ratspräsidentschaft in einer für Europa sehr schwierigen Übergangsphase übernommen. Einerseits ist die 2008 ausgebrochene internationale Wirtschaftskrise noch längst nicht überwunden und geht mit allgemeinen Tendenzen politischer Instabilität einher; andererseits wurde das neue Instrument des Vertrags von Lissabon, welches die Rolle der EU in der Welt stärkt, noch nicht vollständig umgesetzt, wodurch eine teilweise Renationalisierung der Außenpolitik der Mitgliedstaaten stattfindet. Diese äußeren und inneren Ungewissheiten verlangen von der Ratspräsidentschaft ein besonderes Maß an Weisheit, mit der Innovation und Kontinuität sowie neue institutionelle Strukturen und die zwangsläufige Trägheit der früheren institutionellen Praxis in Einklang gebracht werden.
Dieses notwendige dynamische Gleichgewicht ist nicht leicht herzustellen, was die ernsthaften Schwierigkeiten der spanischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2010 deutlich gezeigt haben. Die spanische Absicht, das alte System am Leben zu erhalten (in dem die wechselnde Präsidentschaft des Rats und des Europäischen Rats eine wichtigere Rolle innehatte, auch bei der Festlegung von Agenda und Veranstaltungsort der Gipfeltreffen), hatte im März 2010 zur Absage des EU-USA-Gipfels geführt, der auf Wunsch der USA verschoben wurde, da die Regierung Obama den laufenden Prozess zur Umsetzung des neuen institutionellen Aufbaus der EU negativ aufgenommen hatte.
Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon beschränkt die Kompetenzen der wechselnden Ratspräsidentschaften deutlich, insbesondere auf der Ebene der Außenpolitik. Dabei soll nicht nur der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik die außenpolitischen Kompetenzen des Rats und der Kommission in sich vereinen (und dem neuen Rat für Außenpolitik vorsitzen), auch der neue Präsident des Europäischen Rats, der diese Funktion für zweieinhalb Jahre vollzeitlich ausübt (mit einmaliger Möglichkeit zur Wiederwahl), hat auf der Ebene der Außenvertretung der EU eine Art Vorrangstellung inne.
Die Tatsache, dass ein Belgier, der ehemalige Premierminister Herman van Rompuy (Mitglied der christlichen Partei Flanderns), Ende 2009 zum Präsidenten des Europäischen Rats gewählt wurde, hat es der belgischen Ratspräsidentschaft leichter gemacht, sich in jenen Punkten zurückzunehmen, in denen der neue Vertrag der wechselnden Ratspräsidentschaft keine tragende Rolle zuschreibt, insbesondere im Rahmen größerer internationaler Gipfeltreffen. Diese weise Entscheidung der belgischen Ratspräsidentschaft zugunsten des diskreten Agierens (die vielleicht auch durch die Tatsache erleichtert wurde, dass die Landesregierung – der Yves Leterme als Premierminister und Steven Vanhackere als Außenminister angehören – mangels Einigung über eine neue Regierung seit Juni 2010 die Amtsgeschäfte führt) hat es ermöglicht, bei der Umsetzung des im Dezember 2007 unterzeichneten und am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrags der Europäischen Union rascher voranzukommen.
Mehrere internationale Gipfel prägten das Halbjahr der belgischen Ratspräsidentschaft. Es begann mit Brasilien (Konferenz auf der Ebene der Unternehmen am 14. Juli), dann Südafrika (28. September), ASEM (4.-5. Oktober), China (6. Oktober), Südkorea (6. Oktober), Ukraine (22. November), Afrika (Tripolis, 29.-30. November), Russland (7. Dezember) und die USA.
Sehr wichtig ist, dass in Lissabon das Gipfeltreffen zwischen der EU und den USA am 24. November 2010, im Anschluss an das NATO-Treffen, erfolgreich stattgefunden hat. Es ist der genauen Beachtung von Wortlaut und Geist des neuen Vertrags seitens Belgiens zu verdanken, dass dieses wichtige Gipfeltreffen stattfinden konnte. Die Personen, die den Gipfel von Lissabon vor allem geprägt haben, waren entsprechend dem neuen Vertrag zunächst der Präsident des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, Kommissionspräsident José Barroso und die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton. Die abfälligen Bemerkungen der internationalen Presse über die doppelte Präsidentschaft der EU sind fehl am Platz: Die EU ist kein Staat und zumindest für einen langen Zeitraum wird es keinen neuen Vertrag mehr geben, also auch keinen Präsidenten, welcher die derzeit von Barroso und Van Rompuy abgedeckten Funktionen in sich vereinen wird. Also muss man mit der gut funktionierenden wöchentlichen Abstimmung zwischen den beiden Instanzen, die eine korrekte Aufteilung der Aufgaben und die Vorrangstellung des EU-Ratspräsidenten bei internationalen Gipfeltreffen ermöglicht, leben und diese nutzen. Für die Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik stellen die Außenminister der Drittstaaten die Gesprächspartner dar. Dazu kann abschließend festgehalten werden, dass die belgische Präsidentschaft im Gegensatz zur spanischen durch „das gute Beispiel“ der kohärenten Umsetzung des neuen Vertrags einen Präzedenzfall geschaffen hat und es für die großen und kleinen Staaten schwierig – um nicht zu sagen unmöglich – sein wird, hinter diesen zurückzufallen.
Das Gipfeltreffen mit den USA am 24. November hat es somit beiden Partnern ermöglicht, bei gemeinsamen Anliegen Fortschritte zu machen. Während die zentralen Themen des NATO-Gipfels die neue Sicherheitsstrategie und Afghanistan waren, wurden im Rahmen des EU-USA-Gipfels drei gemeinsame Prioritäten behandelt: der Ausweg aus der Krise und wirtschaftliche Fragen (Instabilität der Währungskurse, nachhaltiges Wachstum, offene Fragen des G20-Treffens von Seoul, Ergebnis der WTO-Doha-Runde); zweitens Klimawandel und Vorbereitung der Konferenz von Cancún; drittens Bürgersicherheit (Bekämpfung von Cyberkriminalität, Verpflichtung zur Erleichterung von Transatlantikreisen, internationale Sicherheit, Iran, und Genugtuung über den Erfolg des NATO-Treffens am Vortag). Das Einvernehmen zwischen den beiden großen Westmächten hinsichtlich der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen ist zur Zeit der Euro-Krise und der Stagnation der G20 von großer Bedeutung. Der Transatlantische Wirtschaftsrat und der Energierat EU-USA wurden mit der Umsetzung der Verpflichtungen im Sinne einer verstärkten Zusammenarbeit, Freizügigkeit und Innovation beauftragt. Ein Bericht des Transatlantischen Wirtschaftsrats wird für 2011 erwartet.
2. Ein Erfolg und ein Misserfolg der EU: ASEM und die UN-Versammlung. Die Schwierigkeiten der EU auf internationaler Bühne als geschlossener Akteur aufzutreten.
Alle internationalen Gipfeltreffen mit den USA, China, Japan, Russland, Indien, Afrika und anderen Partnern werden gemäß Wortlaut und Geist des neuen Vertrags gestaltet. So haben sich die Präsidenten des Europäischen Rats und der Kommission, Van Rompuy und Barroso, und die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Ashton, klar im Vordergrund des Geschehens positioniert.
Allerdings bestätigt sich, dass mehrere Faktoren gegen die Herausbildung und die vollständige Anerkennung der neuen EU von Lissabon als einheitliche Organisation spielen.
In diesen Fällen ist auf Grund der Widerstände anderer, EU-externer Akteure, Staaten oder internationaler Organisationen der Übergang nicht gelungen. Daher kommt der rotierenden Präsidentschaft mitunter doch eine entscheidende Rolle zu. Beispielsweise wurde der 8. ASEM-Gipfel (Asia-Europe-Meeting) am 4. und 5. Oktober 20101 in Brüssel fast vollständig von der belgischen Präsidentschaft und der belgischen Diplomatie (mit besonderer Beteiligung von Botschafter Bertrand de Crombrugghe) organisiert, politisch vorbereitet und durchgeführt. So musste sich Belgien vor allem dafür einsetzen, den EU-Institutionen einen Platz in der ersten Reihe der Konferenz zu sichern.
Auch musste Belgien eine Kompromisslösung für das Problem der Position der neuen Mitglieder des erweiterten ASEM finden. Dies betrifft zum Beispiel Russland, das zunächst sowohl von europäischer als auch von asiatischer Seite als Teilnehmer abgelehnt wurde. Die Lösung bestand darin, Ländern, die, wie Russland, gleichzeitig europäisch und asiatisch sind, eine Sonderstellung einzuräumen. Auf der Ebene der multilateralen und bilateralen Treffen war das Asia-Europe-Meeting (ASEM) ein Erfolg. Durch das äußerst geringe Maß an Institutionalisierung, das die Asiaten zulassen, wird die Tragweite dieses Dialogforums weiterhin beschränkt. Folglich sind auf der Ebene der drei Grundpfeiler des ASEM - Wirtschafts- und Handelskooperation, politischer Dialog und kulturelle Zusammenarbeit - nur wenige Fortschritte zu verzeichnen. Das ASEM ist ein sehr interessanter Fall, da es wertvolle Informationen über die Schwierigkeiten der EU liefert, auf internationaler Bühne als geschlossener politischer Akteur anerkannt zu werden.
Die asiatischen Partner des ASEM haben auf den Vorschlag der belgischen Präsidentschaft, Präsident Van Rompuy bei der offiziellen Eröffnung des ASEM eine zentrale Rolle einzuräumen, mehrfach mit Unverständnis reagiert. Das Argument der Asiaten ist, dass das ASEM ein zwischenstaatliches Begegnungsforum und kein Treffen regionaler Organisationen Europas und Asiens ist, also ein Forum, an dem die Staaten einzeln teilnehmen. Schließlich wurde der Vorschlag Belgiens dennoch ausnahmsweise angenommen (vielleicht hat sich dabei auch die Nationalität von Präsident Van Rompuy positiv ausgewirkt).
Diese beim ASEM aufgetretene Schwierigkeit hätte es den Entscheidungsträgern der EU nahelegen sollen, im Zusammenhang mit der jährlichen Versammlung der Vereinten Nationen in New York mehr Vorsicht walten zu lassen. Sie waren jedoch ganz im Gegenteil der Ansicht, dass es angebracht sei, eine Wortmeldung der EU und im Namen der gesamten EU als geschlossener Akteur zu beantragen. Man konnte feststellen, dass dem nicht so war: Die Versammlung hat mehrheitlich gegen den Antrag der EU gestimmt, mit der Begründung, dass dies zu einem Ungleichgewicht mit den regionalen Organisationen der anderen Kontinente geführt hätte, also der Afrikanischen Union, dem MERCOSUR etc. Natürlich ist diese Ablehnung nicht endgültig, aber es ist dennoch ein schwerwiegender Rückschlag, da er eine große von außen bedingte Schwierigkeit für die Umsetzung des Vertrags von Lissabon und ebenso die Uneinigkeit über das Wesen der EU innerhalb der EU herausstellt. Wenn einige meinen, die EU sei ein Staat, wird es schwierig, dafür die Anerkennung der anderen Staaten und internationalen Organisationen zu erlangen. Die belgische Ratspräsidentschaft hat keinerlei Verantwortung für diesen Misserfolg, er ist vielmehr auf die Unklarheiten der aktuellen Übergangsphase der EU zurückzuführen, die sich in einem komplexen Wandlungsprozess zu einem so noch nie da gewesenen geschlossenen globalen Akteur befindet. Die Entscheidungsträger der EU vergessen mitunter das Ergebnis jener vergleichenden Untersuchung, die dieses Namens würdig ist: Das heißt, die EU ist eine regionale Organisation, zugegebenermaßen eine sehr hoch entwickelte, aber immer noch eine regionale Organisation aus 27 Staaten und kein im Aufbau befindlicher europäischer Staat. Ihre Politisierung und ihre institutionelle Stärkung infolge des neuen Vertrags bedeuten keineswegs den Aufbau eines europäischen Superstaates, ob man das nun will oder nicht. Diese Zweideutigkeit verlangt seitens der europäischen Institutionen eine zusätzliche Bemühung um Klärung.
3. Ein spürbarer Fortschritt: Der europäische Rat im September 2010
Obwohl er wohl wegen des Streits zwischen Barroso und Sarkozy um die Rechte der Roma im kollektiven Gedächtnis bleiben wird, stand beim Europäischen Rat vom 16. September ein anderer wichtiger Punkt auf der Tagesordnung. In den Schlussfolgerungen wird das zu den internationalen Beziehungen der EU vorgelegte Dokument gebilligt, der erste große Wurf seit Jahren. Nach dem berühmten „Solana-Dokument“ von 2003 hatte die EU Überlegungen über ihre Außenbeziehungen eingeleitet. Einerseits ging es darum, die Analysen zur Entwicklung des internationalen Systems zu aktualisieren, als die unipolare Phase von 2002 bis 2008 langsam der multipolaren Tendenz wich und neue Akteure aufkamen wie China, Indien, Brasilien oder erneut Russland (im Jargon der EU handelt es sich hierbei um „strategische Partnerschaften“). Andererseits bedurfte es eines neuen Zusammenspiels zwischen der Entwicklung der EU als politischer Akteur mit mehr Kohärenz, Geschlossenheit und Solidität (nach dem Vertrag von Lissabon) und dem breiten Spektrum der zivilen Außenbeziehungen, die EU und EG seit Jahrzehnten ausgebaut haben.
Die am 16. September durch den Europäischen Rat gebilligten Schlussfolgerungen stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar und es ist wirklich bedauerlich, dass die Medien die Tragweite der laufenden Innovationen in keiner Weise erfasst haben. Kurz gesagt, die EU ist sich der Notwendigkeit und Dringlichkeit bewusst, eine neue Gesamtsicht der internationalen Beziehungen zu erarbeiten, die der multipolaren Welt entspricht und eine Entwicklung der außenpolitischen Agenda beinhaltet. Die beiden wichtigsten Innovationen sind die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die großen Länder und die Erweiterung der internationalen Agenda der EU auf neue Themen im Zusammenhang mit der nachhaltigen Entwicklung.
Mit der Darstellung der internationalen Treffen und Gipfel (bilateral und multilateral) der EU bringt das Dokument die Kenntnisnahme einer multipolaren Welt zum Ausdruck, in der die Beziehungen zu den USA von wesentlicher Bedeutung sind, aber auch in den Kontext vielfältiger Beziehungen mit sehr unterschiedlichen Mächten gesetzt werden.
Diese bilateralen und multilateralen Beziehungen weisen gleichzeitig ähnliche und verschiedene Elemente auf. Die umstrittene und anpassungsfähige Unterscheidung betrifft die Einteilung der Partner in „strategische“ und nicht strategische. Ein gemeinsames Element der strategischen Beziehungen mit den großen Ländern besteht auch in einem Risiko: Dass die Nachbarn der großen, als „strategische Partner“ auserwählten Länder (derzeit sind es sieben, eventuell wird die Liste in den nächsten Monaten noch um Indonesien und Südafrika ergänzt) mit dieser Wahl der EU unzufrieden sind, die zu ihrem Nachteil regionale Hierarchien verstärkt. In Lateinamerika trifft dies auf Argentinien und Mexiko zu, nachdem Brasilien als strategischer Partner ausgewählt wurde. Oder auf Indonesien und Südkorea, seitdem sich die EU auf China und Japan konzentriert. Wenn die EU verhindern will, dass sich ihr internationaler Einfluss verringert statt vergrößert, kann und muss eine Verbesserung in zweifacher Hinsicht vorgenommen werden. Es gilt einerseits, den Interregionalismus neu zu beleben, das heißt, den „Block-zu-Block“-Dialog mit den regionalen Organisationen, insbesondere mit MERCOSUR, ASEAN etc. Diesen interregionalen Dialogforen kommt in der neuen „realistischen“ Strategie der EU nur noch eine marginale Rolle zu, während sie in den 1990er Jahren von zentraler Bedeutung waren. Andererseits muss in jeder individuellen strategischen Partnerschaft die regionale Kooperation beurteilt werden. Es besteht die Gefahr, dass diese Konzentration auf die Großen und die Verschiebung in Richtung bilateraler Freihandelsabkommen mit Ländern wie Korea, Singapur oder den afrikanischen Ländern (die individuelle PTA's mit der EU als aufgezwungen empfinden) eine ernsthafte Schwächung der regionalen Organisationen in der Welt zur Folge haben. Wenn sich die EU nicht für einen offenen Regionalismus einsetzt, so handelt sie gegen ihr Interesse, das eigene Modell der Konfliktprävention und der fortschreitenden regionalen Annäherung in der Welt zu verbreiten.
Was sind inhaltlich und substanziell die Wurzeln und Leitlinien des neuen Dokuments? Seit einigen Jahren ist ein Erneuerungsprozess im Gange. Das Kommissionspapier von Juni 2006 mit dem Titel „Europa in der Welt“ weist explizit darauf hin, dass die internationale Rolle der EU umso effizienter sein wird, wenn eine Abstimmung zwischen Innen- und Außenpolitik hergestellt wird. Es geht also nicht allein um die notwendige Kohärenz zwischen den beiden für die auswärtigen Beziehungen zuständigen Institutionen Kommission (Handels-, Entwicklungs- und humanitäre Hilfspolitik, usw.) und Rat (gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) dank der neuen Befugnisse des Hohen Vertreters für die Außenpolitik, noch geht es nur um eine größere Solidarität und Loyalität der Mitgliedstaaten gegenüber der EU und ihrer internationalen Positionen. Vielmehr geht es zudem um eine dritte Form der Kohärenz, jene zwischen der Politik für nachhaltige Entwicklung und Modernisierung im Innern und der Außenpolitik.
Die Kommission greift diesen innovativen Ansatz, der vor allem von der GD Außenbeziehungen aber auch von anderen internen Stellen entwickelt wurde, erneut mit der Ratspräsidentschaft Portugals im zweiten Halbjahre 2007 auf (Mitteilung vom Oktober 2007). Das wichtigste politische Ergebnis dieses Drängens und anderer interner Faktoren, die Neuerungen verlangen, war die Billigung der „Globalisierungserklärung“, die von einer Expertengruppe unter Vorsitz von Frau M. J. Rodrigues erarbeitet und dem COREPER von der portugiesischen Ratspräsidentschaft vorgelegt wurde. Die Rolle der Förderin der „Strategie von Lissabon“ zur Modernisierung (von der portugiesischen Präsidentschaft im Jahr 2000 eingeleitet) erklärt die explizite Erwähnung der „externen Auswirkungen der Lissabon-Strategie“ im Dokument des Europäischen Rats von Dezember 2007 wie auch die Absicht hinter der Vorgehensweise.
Warum handelt es sich um einen wichtigen Schritt? Weil die Agenda der Außenbeziehungen dadurch erheblich erweitert wird. Sie beinhaltet nicht mehr nur die traditionellen diplomatischen Beziehungen und die Herausforderungen der internationalen „hohen Politik“ (Iran, Afghanistan, Korea usw.). Die EU, die ein politischer Akteur sein möchte, muss sicherlich versuchen, auch in diesen sensiblen Bereichen der Weltpolitik, Geschlossenheit in ihren Positionen und ihrer Politik an den Tag zu legen. Doch die EU tritt mit einem innovativen Konzept ziviler Macht auf: „Die Bedeutung, die Fragen wie beispielsweise Klimawandel, Energiepolitik, Handel, Entwicklung oder Justiz und Inneres, einschließlich Migration und Visumpolitik, im Rahmen von Verhandlungen mit einzelnen Partnern wie auch auf multilateraler Ebene haben, muss bei den Vorbereitungen für Gipfeltreffen und internationale Veranstaltungen in vollem Umfang berücksichtigt werden. Diesbezüglich sollte die Europäische Union die Kohärenz und die Komplementarität zwischen ihren internen und externen Maßnahmen weiter verbessern. Die Praxis, geraume Zeit vor den Gipfeltreffen Orientierungsaussprachen abzuhalten, sollte weiterentwickelt werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Festlegung von Prioritäten und der konkreten Übertragung von Aufgaben liegen sollte.“
Zwei Elemente drängen zu dieser substanziellen Erweiterung der Agenda der auswärtigen Beziehungen. Erstens ist die EU als globaler Akteur in den Bereichen Handel, Entwicklungshilfe, nachhaltige Entwicklung, soziale und ökologische Zusammenarbeit etc. weitaus relevanter. Zweitens ist die EU in besonderem Maße an der Verbreitung ihres sozioökonomischen Modells und ihrer Sozial- und Umweltstandards interessiert, um in einer auf Wettbewerb ausgerichteten Globalisierung ein „race to the bottom“ zu verhindern. Es liegt daher im Interesse Europas und seiner Bürger, vom „inward looking“ zu einer „outward looking“-Perspektive auf sämtliche Ziele der Lissabon-Strategie (Wissensgesellschaft, Wettbewerbsfähigkeit und technologische Innovation, Forschung, Bildung, soziale Eingliederung und Zusammenhalt etc. ) zu gelangen. Drittens haben mich meine Erfahrungen als Berater der GD Forschung und die Treffen mit den BRIC-Ländern und den USA und Japan in folgender Überzeugung bestätigt: Europa ist nicht allein auf der Welt, und Gesprächsbemühungen können zum Austausch von Kenntnissen und politischen Ausrichtungen mit strategischen Partnern und anderen Staaten beitragen. Die zentralen Themen von „Lissabon-Strategie“ und „EU 2020“ können Gegenstand eines Einvernehmens zwischen der EU und den internationalen Partnern sein, mit dem Ergebnis, dass die sozialen und ökologischen Standards der anderen Instanzen der multipolaren Welt nach oben korrigiert und die gemeinsame Bewältigung der globalen Herausforderungen verbessert werden kann.
Die Stärkung dieses innovativen Ansatzes durch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom September 2010 bedeutet, dass die EU dabei ist, einen großen Schritt hin zu einem umfassenderen Verständnis der internationalen Zusammenarbeit und der globalen Agenda für nachhaltige Entwicklung und Frieden zu machen.
Infolge der Schaffung dieses neuen Rahmens findet nun mit dem wachsenden Raum, den die Ziele der Energiepolitik und des Umweltschutzes auf Ebene der Außenbeziehungen der EU einnehmen, auch eine praktische Neuerung statt, zu der die belgische Ratspräsidentschaft ebenfalls beigetragen hat.
Trotz der Probleme aufgrund der Haushaltszwänge, mit denen die Mitgliedstaaten wegen der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben (die paradoxerweise bei der Umsetzung der Ziele von Kopenhagen 2009 bezüglich der Emissionsverringerung geholfen haben, zumindest zeitweilig, auf Grund des Produktionsrückgangs), bekräftigt die EU im Hinblick auf die Konferenz von Cancún ihre 20-20-20-Ziele. Das in China abgehaltene Vorbereitungstreffen und der G20-Gipfel haben indessen zwei Tendenzen bestätigt: a) einerseits die erheblichen Schwierigkeiten, das anfängliche Ziel der EU – einen international bindenden Vertrag über den Klimawandel und seine Begrenzung auf einen Temperaturanstieg um 2°C – zu erreichen. Die Misserfolge der Regierung Obama (das Nein des Senats zum Paket gegen den Klimawandel im letzten Sommer, die Midterm-Wahlen, aus denen die Opposition gestärkt hervorging) und das zögerliche Verhalten der Schwellenländer rücken das Ziel in weite Ferne. Auf der anderen Seite hat das Jahr nach der Konferenz von Kopenhagen gezeigt, dass es möglich ist, selbst ohne einen bindenden Vertrag voranzukommen. So ist zum Beispiel China dabei, deutliche Fortschritte in Richtung erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung zu machen, wie es die Weltausstellung von Shanghai versinnbildlicht hat, deren Ziel darin bestand, Chinas Engagement für den Umweltschutz zu verdeutlichen.