Von Annett Gröschner
Wir wollten alles und für alle Frauen und sofort. Wir schrieben in unsere Manifeste, dass uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie UND die persönliche Freiheit zustehe. Denn eines sei ohne das andere nichts wert. Wir wollten keine Verbiegungen und keine Doppelbelastungen mehr. Eine bessere Bildung und Frauen an der Macht, bis auf Margot Honecker natürlich.
Dann fiel die Mauer und wir landeten unsanft in der bundesdeutschen Gesellschaft, wo es noch einen so unsäglich rückständigen Paragraphen wie den § 218 im Strafgesetzbuch und den lächerlichen § 1300 im BGB gab, der der sitzengelassenen Verlobten bei Verlust des Jungfernhäutchens das Recht auf Entschädigung zusprach. Wir mussten bemerken, dass der von uns von weitem bewunderte Westfeminismus sich in kleinstmögliche Einheiten zersplittert hatte. Die einen schauten immer noch fasziniert ihr Scheideninneres mit dem Spekulum an, andere forderten statt der Hälfte der Welt vorerst lieber nur das Binnen-I. Und über allem thronte Alice Schwarzer wie eine Göttin des Matriarchats, verteilte Liebe unter den Schwestern und entzog sie wieder.
Die meisten Kämpfe wurden verloren
Wir standen wieder vor einer Mauer, diesmal einer bunten. Deutschland blieb, bis auf ein paar Exklaven im Osten, eines der rückständigsten Länder Europas, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anging. Auch Abtreibung ist bis heute nur unter bestimmten Umständen straffrei. Als alle Kämpfe gekämpft und die meisten verloren waren, ging der Ostfeminismus in Projekten unter, die mit Politik nur noch wenig zu tun hatten. Der West-Feminismus der zweiten Generation löste sich im Gender-Mainstreaming der Behörden und Universitäten auf.
Ost- wie Westfrauen dieser Generation mischen sich nur selten in öffentliche Debatten ein. Wo waren unsere Stimmen gegen die Schirrmachers, Matusseks, Eva Hermans und Christa Müllers dieses Landes? Denn die bornierte Männerwelt, die entgegen anderslautender, von ihr selbst lancierter Meldungen, immer noch die Medienmacht hat, meldet sich in regelmäßigen Abständen und durchaus auch mit Unterstützung weiblicher Sprecherinnen zu Wort, wobei sie wahlweise das Aussterben der Deutschen aufgrund von weiblichem Selbstverwirklichungswahn oder den Sieg des Matriarchats (schlimmer als Kommunismus!) prophezeit. Andererseits ist es ein schönes Paradox, dass ausgerechnet die Ministerin einer konservativen Partei sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (für Frauen und Männer) stark macht, wohingegen die Vertreterin der Linken mit sanfter Stimme das Muttiglück als die einzige wahre Bestimmung der Frau anpreist.
Und plötzlich tauchen da junge Frauen um die 30 auf, die sich wieder dazu bekennen, Feministinnen zu sein und sich dabei deutlich von den Ansichten Alice Schwarzers absetzen. Ihre Kritik an ihr ist so berechtigt wie überheblich. Berechtigt, was ihre gegenwärtige Rolle zwischen Pornographieächterin und BILD-Werbetante angeht, überheblich, was ihr Wirken in den Siebzigern betrifft. Jede Bewegung, die gegen großen Widerstand entsteht, und den gab es damals massiv und in allen Schichten der Gesellschaft, neigt zwangsläufig zu Übertreibungen und ist selten zu Selbstironie fähig. (Das kriegten erst in den neunziger Jahren die feministischen Riot Grrrls mit ihrer sexy subversiven Rotzigkeit hin.)
Freiheit ist Frauen nie geschenkt worden.
Heute dürfen sie Universitäten besuchen, aber der Abschluss ist nur etwas wert, wenn sie es schaffen, Nutznießerinnen von Netzwerken zu werden, die ihnen die weitere Karriere ermöglichen. Sie bekommen immer noch weniger Geld als Männer für die gleiche Arbeit. Sie dürfen, wenn sie nett aussehen, ihr Gesicht in die Kamera halten, aber Medienmacht haben sie damit noch lange nicht. Sie glauben sich gleichberechtigt, aber spätestens mit der Geburt von Kindern wird es kompliziert. Also verschieben sie das Thema so weit wie möglich nach hinten. Wie schrieb Kerstin Grether so schön ironisch in der ZEIT, die Frauen von heute registrierten ihre Benachteiligung erst, wenn sie ihren ersten Gehaltsscheck sehen.
Dabei ist der Fortschritt, gemessen an dem, was war, enorm, die Konflikte werden auf der nächsthöheren Ebene ausgetragen. Als heute 30-jährigen Frauen geboren wurden, war in der Bundesrepublik gerade die Hausfrauenehe abgeschafft worden, die per Gesetz den Mann als Alleinernährer und die Ehefrau als Hüterin von Haus und Herd bestimmte. Ihre Mütter versuchten den zaghaften Ausbruch, hatten aber kaum Vorbilder. Bemerkenswert ist, dass ihre Töchter sich zwar zum Feminismus bekennen, sich aber mit Anfang 30 immer noch als Mädchen bezeichnen. Oder sich wenigstens nicht dagegen wehren, dass ihre Bücher „Neue deutsche Mädchen“ bzw. „Alphamädchen“ heißen. Es ist ja etwas anderes, ob sie diesen Titel ungewollt bekommen, wie einst Angela Merkel von ihrem Gönner Helmut Kohl, oder sich freiwillig in diese Kindchenschemarolle begeben. Angela Merkel konnte souverän darüber hinweggehen, weil sie schon ein Vierteljahrhundert vorher in Männerdomänen erwachsen geworden war.
Was die neuen deutschen Mädchen wollen
Die neuen deutschen Mädchen schwanken noch, ob das Erwachsenwerden sich lohnt. Mädchen heißt Unschuld - die Kleine darf noch üben. Wenn es schief geht, kann sie sich am Ende immer noch von David oder Christian auf einem weißen Pferd aus dem ganzen Feminismusschlamassel holen lassen. Oder sollte es eine ironische Replik auf die „späten Mädchen“ sein, wie früher die noch unverheirateten Frauen jenseits der 29 genannt wurden? Die Antwort darauf ist in den Büchern eher vage, was die neuen Feministinnen nicht wollen, ist klarer. Sie sind nicht gegen Männer und nicht gegen Sex. Sie wollen nicht polarisieren, aber sich auch nichts gefallen lassen. Sie haben nichts gegen Kinder, wollen sich die Mütterlichkeit aber lieber mit den Partnern teilen.
Ein Problem ist bei den ansonsten gut lesbaren Büchern wie „Neue deutsche Mädchen“ der Mittelklasse-Mainstream, in dem sie sich bewegen. Es fehlt das Subversive und es fehlt der Blick über den Tellerrand. Die Autorinnen bewegen sich in ihren Betrachtungen weitgehend unter ihresgleichen. Es gibt in ihrer Welt keine Migrantinnen, keine älteren Frauen, außer Müttern, keine Geschlechtsgenossinnen ohne Abitur und Perspektive. Es gibt nur sie im Vergleich zu ihren männlichen Pendants. Sie können das reflektieren und auch begründen, aber die Frage ist, ob das ausreicht, um eine Bewegung zu sein oder ob es nicht letztendlich doch nur ein Ego-Programm ist.
Der Fall Charlotte Roche
Auch Charlotte Roche gilt als Vertreterin des neuen Feminismus. Als Moderatorin war sie Ende der neunziger Jahre noch ein echtes Riot Grrrl, das mit scheinbar unschuldigem Gesicht Musiker sich um Kopf und Kragen reden ließ. Als es bei den Musiksendern dann mehr ums Geldverdienen als um Qualität ging, wurden Frauen wie Charlotte Roche oder Sarah Kuttner durch Klingeltöne ersetzt.
Roche wechselte die Profession. Mit ihren Bestseller „Feuchtgebiete“, in dem eine 18-jährige Ich-Erzählerin über ihr Leben einschließlich Scheidung, Scheidensekreten und Hämorrhoiden plaudert, bleibt sie jedoch weit hinter dem zurück, was sie im Fernsehen repräsentierte. Davon abgesehen, dass es literarisch weitaus bessere Darstellungen von Pornographie und Sekretabsonderungen durch Autorinnen gibt, bedient das Buch doch einige Klischees, wie das der Mutter, die an allem schuld ist. Und sich der Achselhaarrasur zu verweigern ist ja nun auch nicht gerade ein gefährlicher Tabubruch. Es reicht doch, wenn man es einfach nicht mehr tut und sich nicht drum schert, was andere darüber denken. Auch alle anderen blöden Vorstellungen eines weiblichen Schönheitsideals, das an die inzwischen abgeschaffte EU-Norm für Gurken (frisch, nicht zu krumm, bestimmtes Gewicht) erinnert, ließen sich bei entsprechendem Selbstbewusstsein negieren.
Der Feminismus braucht Netzwerke
Wenn der neue Feminismus Erfolg haben will, muss er Netzwerke in allen Hierarchien bilden, vom Kinderladen bis zur Kanzlerin. Der Makel des alten Feminismus lag ja gerade darin, dass Frauen bei ihrem Aufstieg viel zu selten Frauen mitgenommen haben, wenn sie sie nicht gar weggebissen haben. Auch Quoten wurden von ihnen oft als Hilfskonstruktionen abgelehnt, denn das Gute setze sich auch ohne Unterstützung durch. Dass das ein Trugschluss sein könnte, ahnen auch die neuen unter uns.
Annett Gröschner ist freie Dozentin und Autorin und war 1989 Mitbegründerin des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR und der Zeitschrift Ypsilon.