Die vollständige, vorläufige Studie können Sie sich hier herunterladen (pdf, 71 Seiten, 452 KB).
» Update des Genderrankings 2010
„Es ist ein Mädchen“, daneben ein Kinderbild von Angela Merkel – so kommentierte die taz treffend die schwierige Geburt der CDU-Frau als Kanzlerkandidatin im Jahre 2005. Und sie hat sich bekanntlich auch im Endspurt durchgesetzt: Angela Merkel ist derzeit die einzige Regierungschefin in 27 EU-Mitgliedsstaaten, weitere zwei (Mary McAleese aus Irland und Tarja Halonen aus Finnland) sind Präsidentinnen. Mit der Bundeskanzlerin kamen weitere starke CDU-Frauen in Ministerämter – allen voran die Familien- und Frauenministerin Ursula von der Leyen, die etwas andere familienpolitische Akzente setzt als man sie von einer Konservativen erwarten würde.
Sind also Frauen in der Politik auf dem Vormarsch? Aus Sicht der Bundesfrauenministerin durchaus. In einer Broschüre des Ministeriums heißt es, Frauen seien "in den Parlamenten und Landesregierungen angemessen vertreten. Diese positive Bilanz lässt sich allerdings auf kommunaler Ebene nicht ziehen". Die Kampagne "FRAUEN MACHT KOMMUNE" des BMFSFJ soll Abhilfe schaffen: Frauen sollen dazu ermutigt werden sich stärker für kommunalpolitische Ämter zur Verfügung zu stellen. Als Höhepunkt der Kampagne soll in Aktionstagen z. B. in Hagen, Bielefeld und Erfurt für Frauen symbolisch ein roter Teppich vor den Rathäusern ausgerollt werden. In anderen Großstädten werden Politikmessen mit Parteien und Vereinen veranstaltet, um engagierte Frauen für das Alltagsgeschäft Kommunalpolitik gewinnen zu können.
Wir wollten es genau wissen:
Wie stark sind Frauen tatsächlich in der Kommunalpolitik (auch im Vergleich zur Bundes- und Landesebene) unterrepräsentiert? Was sind die Gründe für die Unterrepräsentanz? Welche Maßnahmen sind (unter Berücksichtigung der wichtigsten Ursachen) geeignet die Unterrepräsentanz von Frauen insbesondere in den Kommunalparlamenten abzubauen? Die Anlässe dafür sind vielfältig: Zum einen hat sich am 19. Januar 2009 der Tag zum 90. Mal gejährt, an dem Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen durften. 90 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich Geschlechterparität durchgesetzt haben sollte. Wie sieht die Bilanz des passiven Wahlrechts für Frauen aus? Zum anderen stehen im Superwahljahr 2009 in acht Bundesländern Kommunalwahlen an. Damit wird erneut die Frage virulent, wie die Kommunen als "Grundschule der Demokratie" mehr Politikerinnen-Nachwuchs bekommen können.
Wir haben das Forscher/innenteam Lars Holtkamp, Elke Wiechmann und Sonja Schnittke von der FernUniversität Hagen mit der Untersuchung von politischer Unterrepräsentanz von Frauen in Deutschland mit Schwerpunkt auf der kommunalen Ebene beauftragt.
Wir danken ihnen an dieser Stelle für die engagierte Arbeit.
Mit dieser Broschüre liegen nun erste Ergebnisse des bisher umfassendsten Forschungsprojekts zur kommunalpolitischen Unterrepräsentanz von Frauen in der Bundesrepublik vor. Im Rahmen dieses Projektes wurden alle vorliegenden Studien zu politischer Unterrepräsentanz von Frauen in Deutschland und im internationalen Vergleich analysiert, die Frauenunterrepräsentanz in allen Großstädten durch eigene Datenrecherchen vor Ort differenziert erhoben und dies ergänzt durch systematische Abfragen bei den Landesämtern für Datenverarbeitung, um auch die Situation im kreisangehörigen Raum angemessen erfassen zu können. Zusätzlich haben die Wissenschaftler/innen in 30 wissenschaftlichen Intensivinterviews das Thema Frauenrepräsentanz aus Sicht der betroffenen Kommunalpolitiker(innen) in sechs Großstädten erfasst.
Der endgültige Abschlussbericht wird im Mai 2009 in der Reihe Demokratie der Heinrich Böll-Stiftung publiziert.
Die Ergebnisse werden die Diskussion um die angemessene Vertretung von Frauen in Parlamenten und politischen Führungspositionen neu entfachen. Frauen sind zumindest in Großstädten mit durchschnittlich einem Drittel nicht schlechter vertreten als in Landesparlamenten und im Bundestag. Allerdings offenbart ein Gender-Ranking auf der Ebene der Großstädte, das mit dieser Studie erstmals vorliegt, eine große lokale Spannbreite: Während in München fast die Hälfte aller Ratsmitglieder Frauen sind, stellen die weiblichen Stadtverordneten in Salzgitter nur 15%! In kleineren Kommunen gibt es teilweise noch viel weniger Frauen in Stadt- und Gemeinderäten. Eine weitere Ursachenanalyse ergab, dass die Frauenanteile in den Kommunalparlamenten sich erheblich nach Parteizugehörigkeit unterscheiden, und noch viel mehr trifft das auf Frauen in kommunalpolitischen Führungspositionen zu. Dabei ist entscheidend, ob Parteien interne Quoten haben und wie ambitioniert sie diese umsetzen. Schon die starke Anwesenheit von ehrgeizigen Quotenparteien in Parlamenten erhöht über den Parteienwettbewerb auch den Frauenanteil der anderen Parteien (deswegen auch die starke Präsenz weiblicher Mitglieder im Münchner Stadtparlament).
Diese Broschüre wird den Leser/innen viele interessante und erhellende Details offenbaren.
Nur so viel sei an dieser Stelle noch vorweggenommen: Wer an der mangelnden Anwesenheit von Frauen in Stadt- und Gemeinderäten (und natürlich auch auf übergeordneten Ebenen) wirklich etwas ändern will, muss zumindest auch bei Parteien ansetzen – an ihren internen Rekrutierungs- und Nominierungsverfahren ebenso sowie an ihrer Bereitschaft, Quoten umzusetzen. Die hier vorgelegte Studie wird die Diskussion um die Quote beleben, auch um die Einführung von Paritätsgesetzen. Denn wo jene in Kraft sind, beträgt der Frauenanteil nahe 50%, wie das französische Beispiel belegt. Aber auch das Wahlrecht spielt eine nicht unbedeutende Rolle: So konnten unsere Wissenschaftler/innen zeigen, dass die Wähler/innen, wenn ihnen das Wahlrecht die Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren einräumt, Frauen in weit geringerem Maße diskriminieren als Parteien bei der Aufstellung von Listen und vor allem von Direktkandidat/innen.
Reformen, die auf das gleichstellungspolitische Engagement von Parteien und auf Wahlrechtsänderungen (Einführung von Kumulieren und Panaschieren in allen Kommunen sowie möglichst auf Landesebene) abzielen, haben auch den Vorteil, relativ leicht politisch gestaltbar zu sein. Die frohe Botschaft: Man muss nicht warten, bis annähernde Geschlechtergerechtigkeit in allen Lebensbereichen nach schwedischem Vorbild hergestellt ist. Faktoren wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterstützung durch den Partner und eine lokale "Anerkennungskultur", wie sie in einer kürzlich vom Bundesfrauenministerium vorgestellten Untersuchung im Rahmen der Kampagne FRAUEN MACHT KOMMUNE betont wurden, spielen sicher auch eine Rolle bei dem Versuch, mehr Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Lässt man aber Parteistrukturen sowie -kulturen und das Wahlrecht außer Acht, können Aktionen wie rote Teppiche auszurollen schnell zu rein symbolischer und damit letztlich folgenloser Politik mutieren.
Berlin, im Januar 2009
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Sabine Drewes, Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung
Henning von Bargen, Leiter des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie
- Gender-Ranking deutscher Großstädte 2010 (PDF, 16 Seiten, 120 KB)
- Pressemitteilung: Zweites Genderranking deutscher Großstädte: Frauenanteil sinkt
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Die Autorinnen
- PD Dr. Lars Holtkamp, Professurvertretung "Politik und Verwaltung" am Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität Hagen, Arbeitsschwerpunkte: Parteienforschung, Lokale Politikforschung, Politikfeldanalyse und Verwaltungswissenschaft: Lars.Holtkamp@FernUni-Hagen.de
- Dr. Elke Wiechmann, wissenschaftliche Angestellte am Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität Hagen, Arbeitsschwerpunkte: Gleichstellungspolitik, lokale Politikforschung und Verwaltungsmodernisierung: Elke.Wiechmann@FernUni-Hagen.de
- Sonja Schnittke, Studentin der Frauenstudien in Dortmund, Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik" Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik Vorläufiger Abschlussbericht des Forschungsprojekts "Frauenunterrepräsentanz in der Kommunalpolitik"