„Das Kamel schreitet langsam voran, dafür aber Tag und Nacht“

Grand Bazaar-Teheran, Iran
Foto: kamshots. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

von Elisabeth Kiderlen

(iranisches Sprichwort)

5. Mai 2009

Von Elisabeth Kiderlen

Am 12. Juni 2009 wird in der Islamischen Republik Iran gewählt. Darauf bereiten sich nicht nur die politischen Gruppierungen, die Lager der Reformer, der Technokraten und Fundamentalisten, seit Längerem vor, sondern auch die Zivilgesellschaft.  Die Frauenrechtsaktivistinnen haben sich im Vorfeld der Wahl erstmals zu einer offenen Koalition aller engagierten Gruppen und interessierten Frauen und Männer zusammengetan. Und indem sie die Kandidaten mit ihren Forderungen konfrontieren, nutzen sie den Wahlkampf, um diese zu verbreiten und zu popularisieren.

1. Kein Wahlboykott wie 2005, stattdessen Einmischung

In der  iranischen Frauenbewegung, in den studentischen Organisationen, den Gewerkschaften,  den vielfältigen Gruppierungen der Reformer und der Aktivisten der Menschenrechts- und  Umwelt-NGOs herrscht die Meinung vor: Ein Wahlboykott wie 2005 führt in die Sackgasse. Damals hatte der Wächterrat fast alle Reformer von einer Kandidatur ausgeschlossen und so lancierten 600 Politiker, Intellektuelle und Studentenfunktionäre den Aufruf, nicht zu wählen, um die Abstimmung als Farce zu entlarven. Doch heute teilt die Mehrheit dieser Gruppierungen die Ansicht, dass ein Boykott keine Strategie zur Förderung von demokratischem Bewusstsein sei. Und außerdem habe der Boykott einem Mann wie Mahmoud Ahmadinedjad den Weg ins Präsidentenamt geebnet.

Im Aufruf zur Wahlenthaltung schlug sich damals auch der Frust über das Scheitern der Präsidentschaft des Reformers Mohammed  Khatami (1997-2005) nieder, das lähmende Gefühl, in der Islamischen Republik ließe sich nichts verändern. So  übergroß wie die Hoffnung, die Khatami anfangs auf sich zog, so umfassend war später die Enttäuschung über sein Zögern und seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit. Dabei hatte der freundliche Philosoph seine Anhänger schon früh gewarnt: „Ihr wartet auf einen Helden“, hatte er ihnen zugerufen, als die Kritik an ihm immer hartnäckiger wurde, „einen, der über Nacht das Wunder fundamentaler Veränderungen vollbringt. Aber wir werden uns nicht entwickeln, solange wir auf Helden warten.“

Der Boykott der Frustrierten griff. Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 war Mustafa Moin, der Kandidat der Reformer, schon nach dem ersten Wahlgang aus dem Rennen. Auch die Frauenbewegung verweigerte damals die Stimmabgabe, obwohl ihr die Präsidentschaft eines Reformers am meisten genutzt hatte: Während Khatamis zwei Amtsperioden und unter seinem Schutz begannen Frauengruppen, die sich bis dahin nur privat treffen konnten, als NGOs öffentlich zu agieren. 2004 gab es in Iran schon 50 NGOs von und für Frauen (heute sind es 280); 2004 wurde auch das Frauenkulturzentrum gegründet. Die sich formierende Bewegung hatte nun eine öffentliche Anlaufstelle und einen Treffpunkt.

Bei den jetzt anstehenden Wahlen setzen die Frauen offensiv auf Einmischung. Die Aktivistinnen der Kampagne „Eine Million Unterschriften für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz“ planen, alle Kandidaten nach ihrer Haltung zur Frauendiskriminierung zu befragen. Also konkret: Herr Kandidat, was werden Sie für die Frauen tun, wenn Sie Präsident werden? Sind Sie für gleiche Rechte von Männern und Frauen? Ist es Ihrer Meinung nach richtig, dass Mädchen schon mit neun Jahren strafbar sind, Jungens mit 15? Halten Sie es für gerechtfertigt, wenn Ihre Tochter nur die Hälfte dessen erbt, was ihr Sohn bekommt? Die Liste der zu stellenden Fragen ist lang.

Doch die Frauen haben keinen Zugang zu den Massenmedien, wo wollen sie also die Ergebnisse ihrer Befragungen  veröffentlichen? „Auf Blogs“, ist aus dem Umkreis der Kampagne zu hören. „Wir befragen die Kandidaten über E-Mail, die Journalistinnen unter uns gehen zu den Pressekonferenzen und stellen unsere Fragen dort öffentlich,  die Antworten machen wir bekannt. Es gibt Wege…“

Im Wege-Finden sind die Aktivistinnen geübt

Da sie keine öffentlichen Versammlungen oder Kundgebungen zur Verbreitung ihrer Forderungen abhalten dürfen, sammeln sie seit 2006 Unterschriften für die Gleichstellung von Frauen und Männern vor dem Gesetz im Face-to-face-Verfahren. Unendlich viele Gespräche haben sie geführt, um Frauen wie Männer aufzuklären, überall die kleinen Informationsbroschüren verteilt, die schnell und unauffällig von Hand zu Hand gleiten -  im Bus und im Taxi, in der U-Bahn und im Flugzeug, bei Familienfeiern, im Park und an der Universität. Zahra, eine der ganz frühen Aktivistinnen, erklärt den Jüngeren immer gern, wie sie es schafft, schnell viele Unterschriften zu sammeln: Bei einer Versammlung oder im Bus gehe ich immer zuerst auf die Frau zu, die am tiefsten verschleiert ist. Wenn ich diese überzeugt habe und sie unterschreibt, setzen auch alle anderen ihren Namen auf die Liste.

In den zwei Jahren seit Beginn der Kampagne hat sich ihre Basis verbreitert, überall im Land sind Gruppen und Grüppchen unterwegs, die sammeln, diskutieren, Überzeugungsarbeit leisten und ein Netzwerk bis hin zu den kleinen Städten in den fernen Provinzen knüpfen.  Auch ein Netzwerk von Männern hat sich zusammengefunden, das die Kampagne unterstützt. Bottom-up ist die Devise, es geht um nicht weniger als einen generellen Bewusstseinswandel im Land – und das im Kontrast zur Shah-Zeit, als die von offizieller Seite geförderte Frauenemanzipation in einem weitgehend analphabetischen Land ausschließlich die Sache kleiner gebildeter Zirkel der High Society war. Doch inzwischen stellen die Frauen mehr als 60 Prozent der Universitätsabsolventen und ihr Kampf um Gleichheit findet breiten Widerhall in der Gesellschaft.

Auch die Aktivistinnen weiterer Frauenkampagnen wollen sich an der Politikerbefragung beteiligen. Die Frauen der Stop Stoning-Initiative werden fragen, warum diese archaische Strafe nicht endgültig der Vergangenheit angehört. Warum kann es immer noch passieren, und das nicht nur in entlegenen Regionen, dass Frauen (und fast immer sind es Frauen) für Ehebruch gesteinigt werden, obwohl es eine Abmachung zwischen der Islamischen Republik Iran und der Europäischen Union gibt, auf diese Strafe zu verzichten? Die White Scarfs, die für den freien Zugang von Frauen in die Fußballstadien kämpfen, werden sich bei den Kandidaten erkundigen, warum die Gattinnen ausländischer Diplomaten bei den Spielen dabei sein dürfen, ihnen aber der Zugang verweigert wird. Und die Mothers for Peace werden um Auskunft bitten, warum Iran die Konflikte in der Region eher anheizt statt sie zu lösen und warum ihre Töchter verhaftet werden, nur weil sie Gleichheit mit den Männern fordern.

Die Forderungen

Am Freitag, dem 24. April tagten nun erstmals die Repräsentantinnen islamistischer und säkularer Frauengruppen und die Sprecherinnen der verschiedenen Kampagnen, um die Forderungen zu formulieren, mit denen die Kandidaten konfrontiert werden sollen.  Dem Zusammenschluss, der dem männlichen Staatsdiskurs die stets missachteten Wünsche des weiblichen Teils der Bevölkerung entgegenhalten will, geht es im Wesentlichen um zwei Aspekte: 

  • Die Islamische Republik Iran soll die UNO-Konvention gegen jegliche Diskriminierung von Frauen (CEDAW) unterschreiben.
  • Die Verfassung soll vorbehaltlos überprüft und alle Gesetze, die Frauen benachteiligen, sollen geändert werden.

Diese neue Koalition diene nicht der Unterstützung eines bestimmten Kandidaten, betonen die Frauen, sondern der öffentlichen Darstellung ihrer Ziele. Am Ende ihrer Sitzung übergaben sie der Presse ein Kommuniqué - so knapp wie explosiv. Hier wird nicht weniger als die Revision der Sharia-Gesetzgebung verlangt – und die kann auf zwei Wegen erreicht werden: entweder als Anpassung (und der entsprechenden öffentlichen Reformdiskussion) einzelner Gesetze an die heutige Zeit oder als Außerkraftsetzung der Sharia als solcher.

Auch Studentenbewegungen werden aktiv

Wie vernetzt die iranische Zivilgesellschaft inzwischen ist, zeigt sich an den parallelen Strategien gesellschaftlicher Gruppen. Hundert Tage vor den Präsidentschaftswahlen erklärte die größte Studentenorganisation Irans (Daftare Tahkime Vahdat), dass auch sie die Strategie des Wahlboykotts ablehne, weil die Präsenz von Reformern an der Regierung für die Zivilgesellschaft von Nutzen sei. Die Studenten kamen zum Schluss, dass sie unter bestimmten Bedingungen die Kandidaten der Reformer unterstützen werden. Ähnlich wie die Frauenbewegung wollen sie die Politiker mit  einem Katalog von Forderungen und grundsätzlichen Fragen konfrontieren, auf die sie klare Antworten und Dialogbereitschaft erwarten.

Die Erklärung der Studentenorganisation ist das Ergebnis eines intensiven dreimonatigen Diskussionsprozesses, an dessen Ende sie sich für „proaktives“  (tatsächlich ist dieses Wortungetüm schon bis Iran gelangt!) Handeln entschieden. Darin wird die Leistung der Administration von Präsident Ahmadinedjad verurteilt und die Notwendigkeit eines politischen Wechsels betont.  Daftare Tahkime Vahdat macht sich stark für „friedliche und allmähliche Reformen, die von den Organisationen der Zivilgesellschaft und den gesellschaftlicher Bewegungen“ (rooz-online, 8. März 2009) unterstützt werden.

Auch die Leistungen von Khatami – die größeren gesellschaftlichen Freiheiten während seiner Regentschaft, die erstmalige Durchführung von Lokalwahlen, die Förderung der Zivilgesellschaft - werden nach einer Phase enttäuschter Abwendung wieder gewürdigt. „Vor ihm hatte man nur die Wahl, eine treue Anhängerin des Regimes zu sein oder eine zum Schweigen verurteilte Oppositionelle. Jetzt gibt es etwas dazwischen und wir können auch was tun: nämlich uns für reale Veränderungen engagieren.“  (Interview im Teheraner Frauenkulturzentrum,  März 2005).

Resümee 1

Seit 1997, als Mohammed Khatami die Präsidentschaftswahlen gewann,  hat sich in der Islamischen Republik das Wissen um demokratische Verfahren wie auch das Selbstbewusstsein, danach zu handeln, verbreitet und gefestigt. Der Lernprozess verlief über drei Stufen: von der sehnsüchtigen Verklärung eines Hoffnungsträgers über den resignierten Fatalismus nach dessen Scheitern bis hin zu einem agilen und realitätstüchtigen Agieren und Vernetzen in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen.

2. Die „samtene Revolution“: die größte Gefahr für das Regime

„Globally praised, detained locally“ (auf der ganzen Welt gerühmt, zuhause verhaftet) titelte am 31. März 2009 www.campaign4equality.info, die Website der Kampagne “Eine Million Unterschriften.” Das war kurz nachdem bekannt geworden war, dass der iranischen Frauenbewegung der Eleanor-Roosevelt-Preis für Internationale Frauenrechte verliehen wird. Es ist der dritte internationale Preis für iranische Frauen  – 2003 gab es den Nobelpreis für Shirin Ebadi, 2008 - den Simone-de-Beauvoir-Preis und jetzt den Eleonor-Roosevelt-Preis für die Frauenkampagne. Fünf Tage vor dem Bekanntwerden waren zwölf Aktivisten verhaftet worden, zehn davon gehören der Kampagne „Eine Million Unterschriften“ an, vier davon sind Männer. Beide Nachrichten machten schnell die Runde – über Blogs und SMS, über Rundfunksender und Zeitungen im westlichen Ausland.

Die iranische Frauenbewegung hat es geschafft, für ihr Engagement und die Erfindungskraft, mit der sie ihre Kampagne führt, international Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erregen. Natürlich trägt die iranische Diaspora, die in der gesamten westlichen Welt verstreut ist, dazu bei. Doch zu einem ernst zu nehmenden Gegner des fundamentalistischen Regimes macht die Kampagne das unter Frauen mehrheitsfähige Anliegen: die Gleichberechtigung. Diese einfache und einsichtige Forderung treibt ihr immer neue junge Mitstreiterinnen und deren Mütter zu. Hinzu kommen die inneriranische Vernetzung in der gesamten Zivilgesellschaft, die Aufmerksamkeit der westlichen Menschenrechts-NGOs und die inzwischen internationale Anteilnahme an ihrem Kampf.

Als größte Gefahr für das islamistische Regime haben seine Vertreter inzwischen eine “samtene Revolution, einen weichen Umsturz“ (Ali Saeedi, Repräsentant des Geistigen Führers Ali Khamanei bei den Revolutionsgardisten) ausgemacht. Damit erklären sie indirekt die Frauenbewegung zu ihrem gefährlichsten Feind, da diese national und international am breitesten vernetzt ist. Und seit George W. Bush den Fonds zur Förderung von Demokratie in Iran auflegte, glaubt das Regime, dass der Protest der Frauen von amerikanischen Dollars finanziert werde.

Die Frauen sind für die gegenwärtig Regierenden auch deshalb ein schwieriger Gegner, weil sich die Kampagne strikt innerhalb der Islamischen Verfassung bewegt. Sie glaubwürdig zu kriminalisieren und zu stigmatisieren fällt also nicht leicht. Kommt es zu einer Anklage vor Gericht, lautet ein Vorwurf gegen die Frauen stereotyp „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und „Störung der öffentlichen Sicherheit“. Dafür werden sie zu Gefängnisstrafen, auch Peitschenhieben verurteilt. Eine junge Ärztin und Aktivistin starb unter ungeklärten Bedingungen im Gefängnis von Hamadan.

Die Kampagne ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen

Für das Regime ist die Kampagne auch deshalb so schwer in den Griff zu bekommen, weil sie sich flexibel, nicht hierarchisch und dezentral organisiert. Die Gruppen in den jeweiligen Ortschaften und Regionen entscheiden selbst, wie sie vorgehen wollen. Wenn sie Unterstützung anfordern, bekommen sie Hilfestellungen und Schulungen von den erfahrenen Kämpferinnen aus Teheran. So wächst die Bewegung kontinuierlich, schon längst hat sie die Begrenztheit der elitären Frauenzirkel der Shah-Zeit überwunden. Es scheint, als wäre sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die Frauen sind auch deshalb so schwer zu ächten, weil ihr Ruf nach Gleichberechtigung das Resultat der erfolgreichen Bildungsanstrengungen der Islamischen Republik selber ist: eine List der Geschichte. So sind es die jungen Frauen, die zumeist als erste in ihren Familien eine Universität besuchen, für die die Ziele der Frauenkampagne attraktiv sind.* Und die Mütter, oft auch die Väter, unterstützen ihre Töchter dabei, Selbstrespekt zu entwickeln und Respekt zu verlangen.

Nach zwei Jahren Kampagnen-Erfahrung gehen die Aktivistinnen souverän und bravourös mit Bedrohungen um. So wurden am 26. März (s. oben) zwölf Aktivisten verhaftet, am 29. März zehn von ihnen wieder entlassen. Innerhalb einer Woche sammelten Frauen- und Menschenrechtsaktivisten 900 Unterschriften für die Freilassung der beiden noch inhaftierten Frauen und stellten international Öffentlichkeit her. Ähnlich bei der Schließung des Menschenrechtszentrums von Shirin Ebadi. Am 21. Dezember 2008 wurde das Büro von islamistischen Milizen gestürmt und versiegelt, am 2. Januar 2009 protestierten 500 Aktivistinnen der Frauenbewegung und der Menschenrechts-NGOs davor, am 15. Januar 2009 verlasen sie eine Presseerklärung, am 18. Januar sprachen 18 Klienten ihrer Anwältin Ebadi öffentlich ihr Vertrauen aus, am 23. Januar lancierten sie eine Kampagne zu ihrer Unterstützung.

Währenddessen wird die Arbeit des Zentrums, wie etwa die Erstellung des „Menschenrechtsreports Iran 2008“, an einem anderen Ort fortgeführt. Auch das Komitee zur Überwachung der Wahlen im Juni, ebenfalls eine Initiative von Ebadis Zentrum, arbeitet  kontinuierlich weiter – wenn auch unter Behinderung, denn der neue Versammlungsraum wurde verboten. Die Befürchtung, dass die Wahlen von den Fundamentalisten an der Macht manipuliert würden, ist unter Reformern verbreitet, das Komitee versteht sich als freie Kontrollinstanz, auf die international gehört wird.**

Resümee 2

Die Hardliner sind zu der Meinung gekommen, dass für den langfristigen Erhalt ihrer Herrschaft, die breite Reformbewegung insbesondere der Frauen gefährlicher ist als die regime change-Bestrebungen von Präsident George W. Bush oder israelische Androhungen von Militärschlägen. Doch sie finden kein effektives Gegenmittel: Die Kriminalisierung und immer erneute Verhaftungen haben zwar insbesondere die Frauen in der Provinz eingeschüchtert und das Sammeln von Unterschriften behindert und verlangsamt, doch führen sie nicht zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Aktivistinnen. Die Frauen erzählen, dass sie beim Unterschriftensammeln selten mit Ablehnung konfrontiert werden, eher schon mit Resignation.

3. Die islamistischen Feministinnen

Pünktlich zur Wahl wird im Iran darüber diskutiert, ob eine Frau für das Präsidentenamt kandidieren darf und wie die entsprechende Stelle im Koran ausgelegt werden muss. Dabei geht es um die Auslegung des arabischen Begriffs „rejal“, der sowohl „Männer“ als auch „Persönlichkeiten“ bedeutet. Muss die neue Führung also unter Männern oder unter - auch weiblichen - Persönlichkeiten gesucht werden? „Seit der Revolution wiederholt sich diese Diskussion alle vier Jahre, es gibt keine endgültige Entscheidung. Seit zehn Jahren kandidiert Azam Taleqani, die kämpferische Tochter eines bekannten Ayatollah, fürs Präsidentenamt und seit zehn Jahren wird sie vom Wächterrat als nicht wählbar ausgeschlossen. So bleibt zumindest das Thema am Köcheln“, so die Aktivistin Mitra S.

Im März dieses Jahres passierte ein Gesetz das Parlament, das den Frauen die Kandidatur für das Präsidentenamt erlauben will. Und wie schon einmal in der Khatami-Zeit wurde es vom Wächterrat abgelehnt. Jetzt liegt es beim Schlichtungsrat, der bei Konflikten zwischen Parlament und Wächterrat das letzte Wort hat. Sein Vorsitzender ist Ali Akbar Hashemi Rafsandjani, ein Revolutionär der ersten Stunde und ein mächtiger Mann, der aber 2005 im zweiten Wahlgang gegen Ahmadinedjad unterlag. Vielleicht sind die Voraussetzungen für die Akzeptanz des Gesetzes dadurch besser geworden? Wenn es tatsächlich bestätigt würde, so Azam Taleqani gegenüber rooz-online vom 17.März 2009, würden die Rechte der Frauen ernster genommen und man würde „sie achten wie Männer“.

Azam Taleqani gehört der Islamic Iranic Participation Front (IIPF) an, einem 1998 von hundert führenden Reformern gegründeten Zusammenschluss. Sie war Abgeordnete im ersten Parlament nach der Revolution (1980 - 1984) und unterrichtet heute Frauen im armen Teheraner Süden. Und weil die Männer die heiligen Schriften (Koran, Sharia und Hadithe) immer zu ihren Gunsten auslegen, und damit die Frauen ihnen ihre eigene Interpretation entgegen halten können, lehrt sie Koranexegese - nach dem Muster ihres Vaters. Der 1979 gestorbene Geistliche hielt schon in der Shah-Zeit eine Neuinterpretation des Korans für unumgänglich, weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen völlig verändert hätten.

In der  iranischen Frauenbewegung gibt es zwei Strömungen. Zur einen gehören die mehr oder weniger säkularen  Frauen um die Kampagne „Eine Million Unterschriften“, die sich auf Demokratie und Menschenrechte berufen. Die andere wird in der Öffentlichkeit durch die etwa 30 Frauen aus dem Umfeld der government family repräsentiert, wie in Iran die saturierte Machtelite genannt wird. Der Unruhestifter Ahmadinedjad als agitatorischer Vertreter der Jahrgänge, deren prägende Erfahrung der Iran-Irak-Krieg ist, gehört nicht dazu.

Die etablierte islamistische Elite muss politisch nicht immer einer Meinung sein, die Einzelnen mögen sich sogar bekämpfen, aber sie haben 1979 gemeinsam die islamische Revolution zum Sieg geführt. Sie haben sich gegen die rivalisierenden Kommunisten und gegen das nationalistisch orientierte Bürgertum durchgesetzt, ihre Macht gefestigt, und sie sind durch unterschiedliche, nicht zuletzt auch familiäre Banden miteinander verbunden. Um ihren Teil des Kuchens zu ergattern, müssen die nachrückenden,  kriegserprobten Männerbünde der Generation Ahmadinedjad sich notgedrungen mit diesem Establishment anlegen – unter Berufung auf die Ideale und die Rigidität der Revolution. Und Gleichberechtigung der Frau stand damals eben nicht auf dem Programm.

Hingegen ist dreißig Jahre nach der Revolution das wohlhabende und einflussreiche Establishment zum Verteidiger fester Institutionen, geregelter Verfahren und sogar einer gewissen Liberalität geworden. Die Frauen dieser Elite sind ehrgeizig und machtbewusst und wollen Einfluss gewinnen. Als Beispiele seien neben Azam Taleqani drei weitere Frauen genannt: 

Auch über Zahra Rahnavard wird von den Frauen des Reformerlagers als mögliche Kandidatin gesprochen. Die Ehefrau des jetzigen Reformerkandidaten Mir Hossein Mousavi war Präsidentin der al-Zahra-Frauenuniversität, bis sie 2006 von den Fundamentalisten um Ahmadinedjad ihres Amtes enthoben wurde.

Auch Zahra Eshragi, die Enkelin des Republikgründers Imam Khomeini und Ehefrau von Mohammed Reza Khatami, dem Bruder des ex-Präsidenten, ist im Gespräch. Und Faezeh Hashemi, die Tochter von Rafsandjani, hat ebenfalls eine hervorgehobene Position. 1996 wurde sie mit den meisten Stimmen in Teheran zur Abgeordneten gewählt und engagierte sich für Frauensport. Sie gab Zan, eine Tageszeitung für Frauen, heraus, bis die Hardliner diese 1999 verboten.

Zeitweilig, aber nicht immer, arbeiten beide Strömungen der Frauenbewegung zusammen. So bei der Kundgebung „Eine Frau für Präsident“ 2005. Schon damals zeigte sich die Grenze der Kooperation: Während die säkularen Frauen auf den Wächterrat als „Konstruktionsfehler“ der Verfassung verwiesen, der auch die Arbeit einer Präsidentin behindern würde und demokratische Mehrheitsentscheidungen willkürlich als „unislamisch“ disqualifizieren könne, kritisierten die religiösen Frau nicht das System (Velayat-e fakhih), sondern die Ausübenden und ihre fehlerhafte, rückwärtsgewandte Interpretation der Schriften. Für die islamistischen Feministinnen ist nicht die Gleichheit vor dem Gesetz wichtig, sondern die Macht, nicht der Tschador-Zwang sei der Rede wert, sondern die Eroberung von Positionen.

„Solange dieses System besteht, hat etwa Shirin Ebadi keine Chance, ins Parlament zu kommen“, erklärt Banafsheh, Aktivistin der Kampagne. „Wir arbeiten von Fall zu Fall mit den islamistischen Feministinnen zusammen, auch weil sie uns nützlich sein können: Sie haben Macht, zumindest ihre Männer haben Macht.“ Das ist die pragmatische Position der säkularen Frauen. Andererseits stärkt eine Kampagne wie „Eine Millionen Unterschriften für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz“ auch die Position der islamistischen Feministinnen. Und den zumeist frommen jungen Frauen, die zum ersten Mal mit der Kampagne in Berührung kommen und deren Gleichheitsziele als ihre eigenen erkennen, sind diese Unterschiede erst einmal nicht wichtig. Ihnen geht es um mehr Respekt durch Vater, Bruder und Ehemann, um mehr Freiheit, um einen Beruf  und um Selbstbestimmung.

Resümee 3

Auf Umfragen und Vorhersagen sollte man in Iran nicht setzen - das hat die letzte Wahl gezeigt, die Ahmadinedjad an die Macht brachte, obwohl der Sieg von Rafsandjani sicher schien. Da mögen Wahlfälschungen eine Rolle gespielt haben, mit Sicherheit  aber auch der emotionale Appell an Gerechtigkeit, der Ahmadinedjad  insbesondere die ärmeren Iraner zutrieb, und sein Versprechen, dass die Ölgelder auf den Tischen der Armen landen werden. Und doch scheint es wahrscheinlich, dass es wegen der schlechten Wirtschaftsleistung der Regierung und den „verschwundenen“ Millionen aus dem Öleinkommen inzwischen eine Mehrheit jenseits der Fundamentalisten um Ahmadinedjad gibt. Zurzeit versucht Ahmadinedjad, sein Erfolgsrezept bei den Wahlen 2005 neu anzuwenden. Damals hatte er versprochen, dass die Ölmillionen nicht länger im Staatsbudget versickern, sondern direkt auf den Tischen der Armen landen. Heute verspricht er jeder Familie 300 Dollar. Finanzieren will es das durch die Abschaffung staatlicher Subventionen.

Zu den Politikern, die den jetzigen Präsidenten loswerden wollen, gehören inzwischen nicht nur die säkularen und reformerischen Kräfte, sondern auch wesentliche und prominente Repräsentanten der Konservativen (z.B. der Parlamentssprecher Ali Laridjani). Die Konservativen sind gespalten. Das ermöglicht Berührung und Zusammenarbeit  in den unterschiedlichsten Konstellationen zwischen Konservativen und Reformern. Nicht wenige „Prinzipalisten“ (Gruppe der Hardliner) haben sich dem Kandidaten der Reformer angeschlossen und auch in der „Assoziation der kämpfenden Geistlichen“ scheint sich eine Mehrheit für Mousavi herauszuschälen (Rooz-online 26.4.09). Die Fundamentalisten um Ahmadinedjad verstehen dieses „Überläufertum“ als Bestreben, „eine nationale Einheitsregierung“ zu bilden und kritisieren diese als „Verletzung der Ideen der Revolution“.

Was könnte das für die Frauen bedeuten?

Eine grundsätzliche Veränderung der Gesetzgebung, um „Gleichheit von Männern und Frauen“ zu gewährleisten, ist in nächster Zukunft nicht zu erwarten. Allerdings ist zu beobachten, dass auch unter den Konservativen und den Geistlichen viele eine Anpassung der Gesetze an die Moderne für notwendig erachten und dass die eine oder andere althergebrachte Regel (z.B. → Blutgeld) schon verändert wurde. Und die Frauen nehmen zunehmend ihre Macht und Einflussmöglichkeiten wahr:  So wurde ein Gesetzentwurf zur Erleichterung  von Polygamie wegen ihres stürmischen Protests und eines Go-Ins ins Parlament erst einmal zurück genommen. Doch solange die  Fundamentalisten sich auf die Armee, die Revolutionswärter (Pasdaran) und die islamistischen Milizen (Basidji) stützen können und über die Massenmedien verfügen, ist eine schnelle Veränderung der Machtverhältnisse kaum zu erwarten.

Wahrscheinlich ist, dass der Erfolg der Kampagne „Eine Million Unterschriften für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz“ der säkularen Frauen erst einmal die religiösen Reformerinnen stärkt und ihnen zu politischen Ämtern und Einfluss verhilft. Aber wenn sich die iranische Gesellschaft allmählich daran gewöhnt, dass es nicht nur immer mehr gebildete Frauen gibt und diese auch beruflich eine Rolle spielen und die Politik mitgestalten wollen, verändert sich auch das allgemeine Bewusstsein. Wie ein iranisches Sprichwort sagt: Shotor aheste miravad, vali shab-o-rooz (Das Kamel schreitet langsam voran, dafür aber Tag und Nacht).

Bemerkungen:

*Die Autorin hat selbst ein Semester 2005/2006 an der Universität von Isfahan unterrichtet und ist seither immer wieder zu Besuch in Iran gewesen. Ihre ehemaligen Studentinnen haben viel mit ihr über ihre Berufswünsche und die Reaktionen der Eltern und Verwandten gesprochen. Einige waren in der Kampagne engagiert, mehrere hatten unterschrieben, fast alle hatten davon gehört.
**Der Sekretär des Wächterrats, der die Zulassung der Kandidaten überprüft, Ayatollah Ahmad Janati, hat bereits erklärt, dass diejenigen, die für die Überwachung der Wahlen zuständig sind, die Möglichkeit „eines sanften Umsturzes des Regimes durch Wahlen“ im Auge behalten müssten (rooz-online 29.3.09). Mehrere Kommandanten der Revolutionsgardisten haben angekündigt, dass es Teil ihrer Agenda sei, die Reformer daran zu hindern, die Exekutive zu erobern. (rooz-online 3.3.09).

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