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Tiefere Töchter

 Karte des Irak. Quelle: Wikimedia Commons. Die Karte steht unter einer Creative Commons Lizenz.

18. Februar 2011
Layla Al-Zubaidi, Beirut
Von Layla Al-Zubaidi

An Jobs für Sicherheitskräfte mangelt es im Irak nicht: Seit 2003 gehört es zum Alltag der Iraker, auf Schritt und Tritt angehalten und durchsucht zu werden – ob in öffentlichen Behörden, Schulen und Universitäten, vor militärischen Anlagen, Busbahnhöfen und den tausenden Checkpoints im Land. Woran es mangelt, sind Frauen, die bereit sind, in diesem Sektor zu arbeiten.

Bereits seit Jahren beschäftigt das Innenministerium weibliche Sicherheitskräfte in Schulen, Krankenhäusern und anderen, vor allem zivilen Einrichtungen. Aber er braucht sie zunehmend auch für weitere Aufgaben. Denn nicht nur Männer verüben Bomben- und Selbstmordanschläge, die bis heute tausende Iraker und Irakerinnen das Leben kosteten, auch Frauen gehören zu den Täterinnen – vor allem in den Provinzen Diyala und Bagdad, gefolgt von Mossul, Anbar und Kirkuk. Von allen bis jetzt identifizierten Selbstmordattentäterinnen sollen 55 entweder Ehepartnerinnen oder Töchter von Anführern der Al-Qaida gewesen sein, die sich insbesondere in Diyala festgesetzt hat.


Frauen werden auf Selbstmordattentäterinnen angesetzt

So entstand die Idee, eine Sicherheitseinheit ins Leben zu rufen, in der nur Frauen beschäftigt sind. Um die Aufgaben zu erledigen, die für Männer aufgrund gesellschaftlicher Tabus schwierig sind: Frauen an Checkpoints untersuchen, die Bewegungen und Kommunikation weiblicher Verdächtiger überwachen und besonders gefährdete Orte beobachten, an denen sich viele Frauen aufhalten. Ausgesucht für dieses Experiment wurde die Stadt Bagdad und die Hauptstadt der Diyala-Provinz, Baqouba. Im Jahr 2007 war es dann so weit:  In Zusammenarbeit mit der irakischen Polizei gründeten die amerikanischen Truppen die Einheit  „Töchter des Irak“.  
Als Modell dienten die zivilen, zirka 100.000 Mann starken Einheiten “Söhne des Irak”, die Stadtteile überwachen und nach Bomben suchen. Zirka 300 Frauen meldeten sich freiwillig als „Töchter des Irak“ und lernten, wie man Menschen untersucht und mit explosivem Material hantiert. Im August 2008 schlossen die ersten 130 Frauen ihr Training in Diyala ab. Zunächst bezogen sie ihre Gehälter von den US-Truppen, seit 2010 ist die Einheit der „Töchter des Irak“ der lokalen Polizei unterstellt.

Die Website der US-Botschaft in Bagdad preist die „Töchter des Irak” als Einnahmequelle für Frauen, als Instrument des „Empowerment“ von Frauen sowie als wichtigen Schritt in die Demokratie an. Zunehmend aber wird Kritik laut. Einige fragen sich, warum die „Söhne des Irak“ bewaffnet sind, nicht aber dessen „Töchter“. Ihre Arbeit ist nicht weniger gefährlich. Wijdan Adel, die Leiterin der Einheit in Diyala, überlebte im Oktober 2010 nur knapp einen gezielten Mordversuch. Presseberichte kritisieren, dass die Besatzungstruppen und die irakische Regierung das Elend alleinstehender Frauen ausnutze. Denn die meisten der freiwilligen Rekrutinnen sind Witwen, die ihre Ehemänner in Anschlägen verloren haben und damit auch das Familieneinkommen. Nun sind sie auf die mageren Gehälter angewiesen. Und selbst diese werden – insbesondere nach Übernahme der Einheit durch die irakische Polizei – nur noch sporadisch gezahlt. Immer häufiger beschweren sich die „Töchter des Irak“, dass die Leitung der Einheiten die Gehälter in die eigene Tasche stecke. Einige Frauen drohten im November 2010 mit Aufgabe ihres Dienstes, sollten ihre Gehälter nicht bezahlt werden, auf die sie bereits seit sieben Monaten warteten.


Für höhere Positionen kaum ausgebildet

Hanaa Edwar, prominente irakische Frauenrechtlerin und Direktorin der Iraqi Al-Amal Association, einer Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, berichtet, dass sich bereits zahlreiche der weiblichen Sicherheitsbeamtinnen – und zwar aus allen Bereichen – mit Beschwerden über sexuelle Belästigung an sie gewandt hätten. Anzügliche Bemerkungen und körperliche Annäherungen begännen bereits bei den Einstellungsgesprächen und reichten von den Kollegen in der Polizei bis zu Vorgesetzten in den höchsten Rängen des Innenministeriums. Für sie ist das kein Zufall: Fast jeder Gefängniswärter und Polizist sei bestechlich, wenn es zum Beispiel um Beschwerden von Frauen über häusliche Gewalt geht. Wie sollten sich also ausgerechnet im Sicherheitssektor Frauenrechtsstandards durchsetzen können?

Das irakische Innenministerium, sagt sie, nehme Frauenrechte bis heute nicht ernst. Andernfalls würde es Frauen nicht nur an den Checkpoints einsetzen, sondern auch für Positionen mit Entscheidungsbefugnis ausbilden.  Warum sollten Frauen nicht Offiziersränge einnehmen, nicht auch für polizeiliche Untersuchungen verantwortlich sein? Warum sollten sie nicht Anzeigen und Beschwerden entgegennehmen und Aufsicht in den Gefängnissen führen? Nicht nur Feministinnen, auch einige männliche irakische Offizielle bemängeln, dass die Fraueneinheit „Töchter des Irak“ nicht ausreichend in eine langfristige Sicherheitsstrategie eingebunden ist. Nur die Zahl der Frauen an Checkpoints zu erhöhen, so auch sie, könne auf Dauer kein Erfolgsrezept sein.

Noch hat der irakische Staat es in der Hand, die Frauen zu halten und damit sein Land ein wenig sicherer zu machen. Verpasst er diese Chance, werden die Frauen, die er so dringend braucht, in anderen Jobs unterkommen, sobald sich die wirtschaftliche Situation auch nur halbwegs verbessert hat. Eine große Chance wäre auf lange Zeit verspielt.

Böll.Thema 1/2011: Wie Frauen und Männer gemeinsam Frieden schaffen

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