Von Eva van de Rakt
Auch nach dem eindeutigen Ja der Iren zum EU-Reformvertrag kann die Europäische Union noch nicht aufatmen. Nachdem der polnische Präsident Lech Kaczynski am 10. Oktober den Vertrag unterschrieben hat, wartet die Europäische Union derzeit nur noch auf seinen tschechischen Amtskollegen Václav Klaus.
Es ist noch unklar, wann und ob Václav Klaus das Reformwerk unterschreiben wird und fast überflüssig zu erwähnen, dass er den Vertrag von Lissabon strikt ablehnt. Wiederholt warnte er davor, dass durch die Ratifizierung des Vertrags die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten bedroht und das Demokratiedefizit innerhalb der EU zunehmen werde.
Im europäischen Rampenlicht
Mittlerweile weiß fast jeder: Václav Klaus ist kein Befürworter einer Vertiefung der Europäischen Integration. Die Flagge der Europäischen Union weht bis heute nicht über der Prager Burg. Der tschechische Präsident wettert leidenschaftlich, oft auch zynisch gegen die Reformierung der EU und liebt es, im europäischen Rampenlicht zu stehen. Er hat bis jetzt kaum eine Möglichkeit ausgelassen, europapolitische Themen zur Inszenierung seiner eigenen Interessen und Person zu nutzen. Für die Zukunft des europäischen Projekts ist das nicht förderlich. Ob die Interessen des aktuellen tschechischen Präsidenten auch die Interessen der Tschechischen Republik sind, muss an dieser Stelle stark bezweifelt werden. Man fragt sich immer wieder, mit welcher demokratischen Legitimation Václav Klaus im Ausland die Standpunkte der vom Volk gewählten Regierung unterläuft. Für Schlagzeilen sorgen seine umstrittenen Äußerungen nach wie vor. Man fragt sich auch immer öfter, wie es eigentlich zur Wiederwahl von Václav Klaus kommen konnte. Mirek Topolánek, dessen Kabinett während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im März 2009 gestürzt wurde, setzte sich 2008 noch für die Wiederwahl von Klaus ein. Mittlerweile bezeichnet der ODS-Vorsitzende Topolánek den ehemaligen Ehrenvorsitzenden der ODS Václav Klaus als einen politischen Gegner.
Der „Plan B“
In der Tschechischen Republik hat Václav Klaus nicht nur in Bezug auf die Ratifizierung des Reformvertrags wenige Verbündete. Kurz nach dem irischen Referendum wurde ihm zwar von rund 300 Demonstranten die Petition „Wir unterstützen unseren Präsidenten!“ überreicht. Zu der Demonstration hatte die Bürgerinitiative „D.O.S.T“ aufgerufen („Vertrauen. Objektivität. Freiheit. Tradition.“, „dost“ heißt übersetzt genug). Auf ihrer Homepage wirbt diese Initiative mit Slogans wie: „Wir lassen uns nicht von (Euro)Bolschewiken einschüchtern“, „Freiheit für Irland“ und „Nein zum Lissabonner Diktat“. Unter den Unterzeichnern der Petition sind Politiker, die allerdings eher am Rande des politischen Geschehens agieren. Petr Mach, Vorsitzender der außerparlamentarischen Partei SSO (Partei der Freien Bürger), gab bei der Überreichung der Petition kühn seinen „Plan B“ bekannt: Sollte der Vertrag von Lissabon ratifiziert werden, bleibe noch der Austritt aus der EU. Es ist selbstverständlich lächerlich anzunehmen, dass die Mehrheit der Tschechen einen Austritt aus der EU befürworten würde. Die tschechische Bevölkerung ist pro-europäisch eingestellt. Für einen EU-Austritt würde sich wahrscheinlich nicht einmal Václav Klaus stark machen.
Das Spiel auf Zeit
Auf das Ja der Iren reagierte Václav Klaus gelassen, verurteilte allerdings scharf die Wiederholung des irischen Referendums. Dabei war es auch ein Verdienst der tschechischen Übergangsregierung, dass man sich während des EU-Gipfels im Juni 2009 auf Garantien für Irland einigen konnte, die ein erneutes Abstimmen über den Vertrag von Lissabon möglich machten.
Gelassen reagierte Klaus, weil er nach dem irischen Referendum einen weiteren Trumpf in den Händen hält, der es ihm ermöglicht, das Unterzeichnen auf Ungewiss zu vertagen: Vergangene Woche legte eine Gruppe von ODS-Senatoren dem Verfassungsgericht eine Beschwerde gegen den Reformvertrag vor. Einen Teil des Vertrags hatten ODS-Senatoren schon 2008 prüfen lassen. Das Verfassungsgericht kam damals zu dem Schluss, dass die geprüften Teile im Einklang mit der tschechischen Verfassung stehen. Die Tatsache, dass die ODS-Senatoren die neue Beschwerde erst kurz vor dem irischen Referendum beim Verfassungsgericht einreichten, ist sicherlich kein Zufall. Die Taktik hinter den wiederholt beantragten Teilprüfungen ist leicht zu durchschauen: Die Ratifizierung soll so lange wie möglich herausgezögert werden. Das Spiel mit der Zeit ist für die EU kräftezehrend. Hinter ihm verbirgt sich die Hoffnung der ODS-Senatoren und des tschechischen Präsidenten, weitere Barrieren zu errichten und eventuell einen Ratifizierungsstopp zu erreichen. Eine neue Hürde auf dem Weg zur Ratifizierung könnte die Durchsetzung eines Referendums nach einer eventuellen Regierungsübernahme durch die britischen Konservativen sein. Vergangene Woche gab Klaus außerdem bekannt, dass er unabhängig von dem ausstehenden Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts eine Ergänzung der Grundrechte-Charta für nötig halte. Nur durch ein ergänzendes Protokoll, so Klaus, könne die Gültigkeit der Beneš-Dekrete gewährleistet werden. Die Beneš-Karte wird in Tschechien meistens dann gespielt, wenn Politiker mit einem schlechten Blatt das Spiel aufmischen wollen.
Das Phänomen Klaus
Václav Klaus lehnt nicht nur die Reformierung der EU ab, er ist auch einer der letzten Menschen, die den menschenverursachten Klimawandel bestreiten. Diesem Thema hat er ein ganzes Buch gewidmet, es heißt „Blauer Planet in grünen Fesseln – Was ist bedroht: Klima oder Freiheit?“.
Von den Fesseln, die Klaus & Co. der notwendigen Reformierung der EU gerne anlegen würde, wird sich die EU hoffentlich mit Diplomatie und Gelassenheit, aber auch mit der nötigen Entschlossenheit, befreien. Die Tatsache, dass die Tschechische Republik momentan von einer Übergangsregierung ohne politisches Mandat regiert wird, macht die Sache nicht einfacher. Klar ist: Václav Klaus wird versuchen, die Zeit und Aufmerksamkeit einzufordern, die er meint in Anspruch nehmen zu dürfen – auch wenn es vielen absurd erscheint. Kritik aus dem Ausland, so der Sekretär des Präsidenten, könne der Prager Burg gestohlen bleiben. Aber nicht nur im Ausland, auch in Tschechien selbst werden immer mehr Stimmen laut, die das Verhalten des Präsidenten skandalös finden und mögliche Konsequenzen in Erwägung ziehen. Václav Klaus scheint auch das wenig zu kümmern. Je greller das Rampenlicht, desto grotesker sein Auftritt.
Eva van de Rakt lebt und arbeitet seit 1997 in Prag. Sie ist Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in der Tschechischen Republik.
Dieser Artikel ist in gekürzter Form bei „der Freitag online“ erschienen.