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Einwanderer ausdrücklich erwünscht: Wie die Gründung von „Internationalen Gärten“ die Integration fördert

Zum Konzept des Internationalen Gartens gehört, dass es keine Zäune zwischen den Parzellen und keine Vorgaben für Sorte und Menge der Bepflanzung gibt. Foto: Sandra Mora Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

13. Oktober 2010
Von Canan Topçu
Im Schatten von Birkenbäumen steht ein Tisch, und auf diesem sind Teller, Tassen, Kaffeekanne und Streuselkuchen platziert. Um den Tisch sitzen Frauen und Männer, ein paar Schritte entfernt spielt ein Mädchen auf dem Boden. Die Gruppe unterhält sich, es geht mal laut, mal leise zu, manche gestikulieren mit Armen und Händen, andere lehnen sich bequem zurück. Eine Szene wie diese lässt sich bei schönem Wetter jenseits des Zauns mit der Aufschrift „Internationaler Garten Rüsselsheim“ immer wieder beobachten.

In der Runde sitzen an diesem Nachmittag im Juli auch Dorothea Castor, Alisayid Hasan sowie Yildiz Yildirim mit ihrer Mutter Gülizar. Die Familienverhältnisse der aus der Türkei stammenden Yildirims sind kompliziert. Das war der Grund dafür, der geschiedenen Gülizar und ihren beiden Töchtern schnell eine freigewordene Parzelle zu geben. „Bei der Gartenarbeit kommen die drei auch mal auf andere Gedanken, außerdem gibt es hier immer jemanden, der ein Ohr für sie hat“, sagt Dorothea Castor, die zu den Initiatoren des Rüsselsheimer Gartenprojekts gehört. Ein Ohr hatten die Sozialpädagogin und andere deutsche Vereinsmitglieder auch, als Yildiz von ihren Problemen im Unterricht erzählte. Sie vermittelten der Schülerin, die seit sechs Jahren in Deutschland lebt, einen ehrenamtlichen Nachhilfelehrer. Jetzt hat die 20-Jährige an der Abendschule ihren Realschulabschluss geschafft.


Grüne Oase mit Spielplatz

Zur Rüsselsheimer Gartenkommune, die als Verein organisiert ist, gehören 16 Familien. Vor fünf Jahren haben sie ein verwildertes Areal ganz nach dem Konzept der Internationalen Gärten in Eigenarbeit zu dem gemacht, was es heute ist: eine grüne Oase mit Spielplatz, Parzellen, Brunnen, Gemeinschaftshütte und –flächen. Fluktuation gibt es kaum in der Kolonie, bisher gaben nur zwei Mitglieder ihre Parzelle zurück – aus gesundheitlichen Gründen und wegen Wegzugs. Nur einer musste seine Parzelle unfreiwillig verlassen: die Trinkgelage von Hassan, einem gebürtigen Marokkaner, passten der Mehrheit nicht in den Kram. Inzwischen läuft alles rund in Rüsselsheim, sogar im Winter kommen die Vereinsmitglieder zu geselligen Runden im Stadtteilladen zusammen.

Das Besondere der Internationalen Gärten ist – wie der Name verrät – die ethnische Vielfalt. Einwanderer sind ausdrücklich erwünscht - im Gegensatz zu vielen Kleingartenvereinen, die sich nicht um Migranten reißen, weil diese sich „nicht an die Satzung halten und auch Sachen grillen, die wir nicht so gerne riechen“, wie es aus dem Vorstand eines Kleingartenvereins in Frankfurt heißt. Offen werden solche Vorbehalte aber nicht ausgesprochen.


Bundesweites Netzwerk

Das Miteinander in Gartenanlagen kann funktionieren und bietet eine Gelegenheit zur gegenseitigen Annäherung – betont hingegen Christa Müller von der Stiftung Interkultur. Die Soziologin leitet die 2003 gegründete Institution, die das bundesweite Netzwerk Internationale Gärten koordiniert. Christa Müller und ihr Team beraten Initiativen, die einen Internationalen Garten aufbauen möchten, und veranstalten Praxisseminare wie etwa zur Bienenzucht. Zudem organisiert die Stiftung einmal im Jahr ein Netzwerktreffen und übernimmt für zwei Mitglieder der jeweiligen Initiativen sogar Reise- und Übernachtungskosten.

Säen, Gießen und Harken, das ermöglicht, Wurzeln zu schlagen – den Pflanzen und denen, die diese Arbeit verrichten. „Weil dabei schöne Erinnerungen wiederaufleben“, sagt Christa Müller. Nicht zuletzt trug ihre Begleitforschung dazu bei, dass die ab Ende der 1990er-Jahre zunächst in Göttingen und später in Berlin entstehenden Multi-Kulti-Anlagen zu einem „Erfolgsmodell“ wurden. Ihr 2002 veröffentlichtes Buch „Wurzeln schlagen in der Fremde“ löste einen Boom aus. Inzwischen gibt es bundesweit 104 Internationale Gärten, weitere 40 sind in Planung. Von einer „neuen Gartenbewegung“ spricht die Soziologin, die die Entwicklung seit 1999 verfolgt.


Keine Zäune

Zum Konzept des Internationalen Gartens gehört, dass es keine Zäune zwischen den Parzellen und keine Vorgaben für Sorte und Menge der Bepflanzung gibt - anders als in vielen Kleingartenvereinen, in denen es zum Problem wird, wenn auf einem Großteil der Nutzfläche etwa nur Pfefferminze oder Koriander wächst; es ist sogar erwünscht, dass Samen aus der Heimat gesät und Gemüse in vertrauter Weise angebaut wird. Es dürfen nur nicht Pestizide und Düngemittel verwendet werden. Für Heckenhöhe und Pflanzabstand gibt es keine Vorschriften, dafür Regeln für den sozialen Umgang: Alle sind gleich, niemand darf wegen seiner Religion oder Nation diskriminiert werden.

Es gibt auch Konflikte, nicht alles ist Friede, Freude, Falafel in den Multi-Kulti-Gärten. Probleme entstehen etwa, wenn sich jemand vor der Arbeit in den Gemeinschaftsflächen drückt oder doch Pestizide benutzt. Gestritten wird auch mal darüber, wer zuerst und wie lange gießen darf. „Es sind Probleme, die überall entstehen, wo so viele unterschiedliche Menschen zusammen kommen“, betont Christa Müller. Der Garten als Begegnungsstätte von Einheimischen und Eingewanderten sei eine Art Spielwiese für das Erlernen der Regeln des gesellschaftlichen Umgangs; der Garten sei ein künstlicher Raum, wo das Engagement in der Zivilgesellschaft einzustudiert werden könne; der Garten habe Symbolkraft, sei ein „Passagenraum zwischen Herkunft und Ankunft“; denn das Gärtnern biete eine Möglichkeit, Anerkennung zu finden und sozialen Erfolg zu haben.


Der Garten als Nährboden für das Miteinander

Es sind diese und weitere Ausführungen von Christa Müller, die auch in Rüsselsheim die Überzeugung wachsen ließen, dass ein Garten einen guten Nährboden fürs Miteinander bieten kann. Auf die Idee, solch ein Projekt in ihrer Stadt anzugehen, kam Dorothea Castor nach einem Radiobeitrag über Internationale Gärten und suchte nach weiteren Mitstreitern. Über den Kinderschutzbund fanden sich eingewanderte Familien, die Interesse an solch einer Gartenanlage bekundeten. Die Rüsselsheimer, die unter anderem aus Marokko, Palästina, Kosovo, Jordanien, Albanien und der Türkei stammen, schlossen sich zu einer Gruppe zusammen, luden Christa Müller zu einem Vortrag ein. Danach waren sie „Feuer und Flamme“, sagt Dorothea Castor. Sie erinnert aber auch daran, dass der Anfang schwer war. Die 60-Jährige ist eine Art Zugpferd des Rüsselsheimer Projekts. Ähnlich läuft es auch in anderen Orten ab: Meist sind es deutsche Frauen aus der Mittelschicht, die sich dahinter klemmen, damit alles wachsen und gedeihen kann.

Widerstände galt es - wie vielerorts - auch in Rüsselsheim zu überwinden. Als bekannt wurde, dass eine Bäuerin dem Verein einen brachliegenden Acker geben wollte, protestierten Landwirte und sammelten Unterschriften. Schließlich kam die Kommune zur Hilfe und stellte eine 2500 Quadratmeter große Fläche in Pacht zur Verfügung. Anfangs beriet und unterstützte der Fachbereich „Umwelt und Planung“ die Initiatoren, „inzwischen steht das Projekt auf eigenen Füßen und braucht uns nicht mehr“, sagt Frank Kachelmann vom Amt für Stadtplanung.


Pflanzen aus den Herkunftsländern

Wie in Berlin, Göttingen und anderswo trägt auch in der hessischen Stadt die Arbeit der engagierten Ehrenamtlichen inzwischen Früchte. In der Gartenanlage unweit des Stadtteils Dicker Busch - einer Hochhaussiedlung, deren Bewohner zum Großteil eingewanderte Familien sind – wachsen allerlei Pflanzen aus den Herkunftsländern derer, die die Parzellen bewirtschaften. Und der Garten ist zu einem Ort geworden, in dem Einwanderer und Einheimische auch über private Probleme sprechen.

„Hier komme ich zur Ruhe, denke ich nicht immerzu an zuhause“, sagt der 60-jährige Alisayid Hasan. Er ist Bürgerkriegsflüchtling aus Somalia und tat sich anfangs schwer mit seinem neuen Leben. Mittlerweile hat er Fuß gefasst in Rüsselsheim und mag die Atmosphäre in der Gartenanlage. Ähnlich äußert sich auch Ali Sbeitan, der sich als Palästinenser vorstellt und an diesem Nachmittag nur kurz vorbeischaut. Der 74-Jährige will noch zur Schulfeier seines Sohnes und ist wegen eines Blumenstraußes für die Lehrerin gekommen. Schnell stellt Dorothea Castor aus ihrer Parzelle für Ali Sbeitan einen bunten Bund zusammen.

Zwischenzeitlich gesellt sich das Ehepaar Yagup dazu. Kadra hat eine nicht gerade typische arabische Süßspeise mitgebracht: Schmandkuchen mit Mandarinen. In radebrechendem Deutsch erzählt die junge Frau, die vor neun Jahren als Braut aus Jordanien nach Rüsselsheim kam, dass sie den Kuchen nach dem Rezept ihrer deutschen Nachbarin gebacken hat. Die 35-Jährige erzählt auch von einstigen Landleben in der Heimat. Hier wohnt das Ehepaar mit fünf Kindern in einem Hochhaus. Daher freut sich Kadra über ihr Fleckchen Erde am Stadtrand von Rüsselsheim. In diesem Jahr hat sie Zucchini angebaut – es ist eine andere Sorte als die, die es hier zu kaufen gibt. Mit strahlendem Gesicht zeigt sie auf das prächtig wachsende gelbe Gemüse. Die Samen hat sich Kadra aus ihrer Heimat schicken lassen. Auf ihren Beeten hat sie auch jede Menge Satar, eine Thymianart, die in der arabischen Küche verwendet wird. So schlägt jeder auf seine eigene Art Wurzeln in Rüsselsheim.

Bibliografische Hinweise:
Christa Müller: „Wurzeln schlagen in der Fremde: Die internationalen Gärten und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse“, Ökom Verlag 2002, 16 Euro.

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Canan Topçu ist seit 1999 Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau und arbeitet zudem freiberuflich für unterschiedliche Medien. Die 44-Jährige ist Tochter türkischer Einwanderer und lebt seit 1973 in Deutschland.