Kommunaler Klimaschutz 2008 – Eine Standortbestimmung aus der Sicht des Klima-Bündnis e.V.

1. Oktober 2008
Von Joachim Lorenz und Ulrike Janssen

Von Joachim Lorenz und Ulrike Janssen

2007 war das Jahr der „unbequemen Wahrheiten“: IPCC-Berichte, Stern-Report, Al Gore-Film und die massive Zunahme an sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels. Klimaschutz stand im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte und auch auf kommunaler Ebene ist seitdem ein „Neustart“ zu verzeichnen: Viele Städte und Gemeinden setzen sich jetzt Klimaschutzziele, beschließen Konzepte und ergreifen neue oder tiefgreifendere Maßnahmen.

Ein Rückblick
Die letzten 15 Jahre im kommunalen Klimaschutz waren im Wesentlichen geprägt durch „Pionierarbeit“ und den Kampf um die Anerkennung der Rolle der Kommunen. Mit der Gründung des Klima-Bündnis im Jahr 1990 haben sich Kommunen zusammen geschlossen, welche die globale Herausforderung des Klimawandels schon früh angenommen haben. Erfahrungsaustausch, die gemeinsame Entwicklung von Maßnahmen, aber auch die Bündelung der Stimmen in Richtung Berlin bzw. Brüssel für bessere Rahmenbedingungen waren die wichtigsten Aufgaben des Netzwerks. Die Mitgliedschaft im Klima-Bündnis ist mit der freiwilligen Selbstverpflichtung verbunden, die CO2-Emissionen bis spätestens 2030 gegenüber dem Wert von 1990 zu halbieren. Ein ehrgeiziges, aber für den Erhalt des Klimas unumstritten notwendiges Ziel, das durch das Herunterbrechen auf Legislaturperioden („minus 10 Prozent CO2 alle fünf Jahre“) im Jahr 2006 konkretisiert wurde.

Wo stehen wir?
Eine Analyse kommunaler CO2-Bilanzen für die Jahre 1990 – 2005 zeigt aber eher ernüchternde Ergebnisse: Selbst Vorreiterstädte wie Freiburg, Hannover, Frankfurt am Main oder München haben gerade einmal eine Reduktion um 7, 10 oder 12 Prozent ihrer CO2-Emissionen erreicht. Die Ursachen für die Nicht-Erreichung bzw. Nicht-Erreichbarkeit anspruchsvoller lokaler Reduktionsziele sind bekannt: Bis zu 40 % Steigerung des Stromverbrauchs in Haushalten, Gewerbe und Dienstleistungen und die Steigerung des Verkehrsaufkommens machen viele Erfolge zunichte, die im direkten kommunalen Einflussbereich erzielt wurden. In vielen Handlungssektoren wurden die Potenziale bei weitem nicht erschlossen, sei es, weil Kommunen finanziell nicht ausreichend ausgestattet sind, andere Prioritäten setzen oder ihren Einfluss auf wichtige Verbrauchssektoren eingebüßt haben. Aus dieser Zeit kann aber auf einen großen Erfahrungsschatz und viele Erfolgsmodelle zurückgegriffen werden. Etablierte – weil erwiesenermaßen erfolgreiche und sich auszahlende – Instrumente sind vor allem das Kommunale Energiemanagement, Anreizsysteme zum Energiesparen wie Fifty-Fifty in Schulen oder das Contracting für Heizungsanlagen und Beleuchtung in öffentlichen Einrichtungen.

2007: Ein neues Umfeld
Mit den IPCC-Berichten im Frühjahr 2007, Stern-Report, dem Film „Eine unbequeme Wahrheit“, dem Friedensnobelpreis für Al Gore und IPCC, „Peak Oil“ und stark ansteigenden Energiepreisen stehen Klimaschutz, aber auch Energieversorgungssicherheit und regionale Wertschöpfung mit einem Schlag im Zentrum der öffentlichen Diskussion.
Die Politik folgt mit einem ambitionierten Ziel (minus 40% Treibhausgasemissionen bis 2020), bisher zwei Klimapaketen und der Klimaschutzinitiative mit dem Förderprogramm für Kommunen.
Relevant für deutsche Kommunen ist auch das Energie- und Klimapaket der EU mit seinen „3 x 20 bis 2020“-Zielen und die eng damit verbundene neue Initiative „Konvent der Bürgermeister“ (Covenant of Mayors). Kommunen, die sich verpflichten, die EU-Ziele zu übertreffen sollen Zugang zu besonderen Förder- und Investitionsprogrammen erhalten. Das Klima-Bündnis unterstützt diese Initiative, da die EU hier zum ersten Mal die Rolle der lokalen Ebene explizit würdigt und ihr konkrete Einfluss- und Fördermöglichkeiten eröffnet.

Irrwege
Die Anerkennung der Bedeutung des Klimaschutzes erfordert entsprechende Weichenstellungen, die den ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Dies trifft jedoch nicht auf alle vorgeschlagenen Lösungen zu:

  • Neue Kohlekraftwerke: In ihrem Aufruf vom Herbst 2007 fordern die Klima-Bündnis-Kommunen eine langfristige Energieversorgungsstrategie zum Umstieg auf eine klimaverträgliche Stromerzeugung, neue Kraftwerke nur in Kraft-Wärme-Kopplung und nur dort, wo der Wärme-Absatz gewährleistet ist. Außerdem darf es keine Zuteilung von zusätzlichen Emissionszertifikaten für neue Kraftwerke geben.
  • Eine noch in der Entwicklung befindliche und äußerst zweifelhafte end-of-pipe-Technologie (Carbon Capture and Storage – CCS) darf den Bau von neuen Kohlekraftwerken nicht rechtfertigen. Sie verhindert außerdem wichtige Investitionen in den Ausbau bereits vorhandener erneuerbarer Energien.
  • Die Agrotreibstoffe entwickelten sich vom Hoffnungsträger zum Problemverstärker. Die heftigen Reaktionen gegen eine einseitige Entscheidung der EU zur Steigerung der Beimischung sog. „Biokraftstoffe“ auch von UN-Organisationen zeigen deutlich, dass Lösungsansätze sorgfältiger auch unter Einbeziehung der Nord-Süd-Thematik diskutiert und beschlossen werden müssen. Die Gründung des Klima-Bündnis wurde gerade deshalb in Partnerschaft mit den indigenen Organisationen der Regenwälder vollzogen, um die globale Dimension unseres Handelns zu beleuchten.
  • Eine Resolution des Klima-Bündnis zum Thema „Kompensation von Emissionen“ wendet sich vor allem gegen den Begriff der „Klimaneutralität“. Die Vermittlung des Eindrucks, dass Emissionen im privaten Bereich, bei Unternehmen oder durch Staaten „kompensiert“ oder gar „neutralisiert“ werden können, birgt die Gefahr, dass der Druck für die Diskussion von Lösungsstrategien vermindert wird. Der „Ablasshandel“ als schnelle Lösung gewinnt immer mehr an Attraktivität. Die kritischen Untersuchungen des CDM-Instrumentariums im Rahmen des Kyoto-Protokolls zeigen jedoch deutlich, dass damit weder effektiver Klimaschutz noch eine nachhaltige Entwicklung eingeleitet werden konnte.

Neustart im kommunalen Klimaschutz
Aufbauend auf dem Wissen um seine Notwendigkeit und auf dem Erfahrungsschatz aus früheren Jahren muss der kommunale Klimaschutz jetzt in die Fläche gehen und er braucht „Mainstreaming“, d.h. die frühzeitige Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten in allen Handlungsfeldern und Arbeitsbereichen der Kommune. Dazu gehören vor allem:

  • die Entwicklung von integrierten Strategien, die Energieeffizienz, Energiesparen und die Nutzung Erneuerbarer Energien verzahnen,
    Institutionalisierung und Professionalisierung des kommunalen Klimaschutzes, d.h Zuweisung von genügend Personal und Mitteln, Schaffung von Arbeitsstrukturen, Entwicklung von Richtlinien für alle Abteilungen, …
  • die konsequente Ausübung der Vorbildfunktion der Kommune, z.B. durch Energiemanagement in allen öffentlichen Einrichtungen, Einführung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements für die Verwaltung und Festsetzung des Passivhausstandards bei Sanierung und Neubau von kommunalen Gebäuden,
    die Nutzung der Marktmacht von Kommunen durch flächendeckende Leitlinien zu Energieeffizienz und Klimachutz in der öffentlichen Beschaffung,
    die Schaffung von zusätzlichen Anreizen für die energetische Sanierung des Gebäudebestands, sei es durch Energieberatung, lokale Förderprogramme oder die Qualifizierung von Handwerkern,
  • das Betreiben einer energie- und solaroptimierten Planung und
  • die stärkere Vernetzung von kommunalen Aktivitäten auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene.

Vier neue Herausforderungen für Kommunen sind:

Steigende Energiekosten, Energiearmut
Die kommunalen Energiekosten rangieren auf Platz 3 nach Sozialhilfe und Personalkosten. Durch die unabsehbar steigenden Energiepreise müssen alle Arten von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz derzeit neuen Schub erfahren. Energieeffizienz erhält aber auch eine Schlüsselfunktion bei der Daseinsvorsorge. Die Sanierung des Wohngebäudebestands, allen voran dem städtischer Wohnbaugesellschaften, steht dabei an erster Stelle. Dazu gehören aber auch Projekte wie Cariteam (Frankfurt am Main), einem Energieeinsparservice für Haushalte mit geringem Einkommen, bei dem zugleich Arbeitslose als Energieberater ausgebildet werden, oder das Projekt Energieschuldenprävention in Nürnberg.

Dezentralität als Leitbild einer zukunftsfähigen Energieerzeugung
Die Nutzung Erneuerbarer Energien erfolgt in den meisten Fällen durch kleinere, dezentrale Anlagen, wodurch den Kommunen eine stärkere Rolle in der Energieversorgung zukommt. Wichtig sind alle Maßnahmen, die eine „Rekommunalisierung“ der Energieversorgung vorantreiben, z.B. durch Stärkung oder Neugründung von Stadtwerken, Netzrückkauf oder derartige Gestaltung von Konzessionsverträgen, die eine Eigenerzeugung aus Erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung ermöglichen. Dazu kommen die Förderung von Solarenergie- und Biomassenutzung, das Betreiben eigener Wärmenetze sowie die Initiierung und Unterstützung von Beteiligungsgesellschaften mit BürgerInnen und die Entwicklung von regionalen Strategien (z.B. 100% Erneuerbare Energie-Regionen).

BürgerInnen in kommunale Energie- und Klimaschutzpolitik einbeziehen
Mit Zielkonzepten, die sich an der Dezentralität der Energieerzeugung orientieren, müssen die BürgerInnen in unterschiedlichen Stufen und Intensitäten in die Entwicklung des Konzepts eingebunden werden, z.B. durch Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen, die Schaffung eines lokalen Akteursnetzwerks oder lokaler Klimaschutz-/Energieforen. Die Kommune tritt als Moderator für die verschiedenen lokalen Akteursgruppen auf, um zu eigenständigen Beiträgen zu motivieren, diese zu koordinieren und damit die Wirkung der Aktivitäten zu vervielfachen.

Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel
Extremwetterereignisse, Hitzeperioden und Überschwemmungen zeigen schon heute, mit welchen Herausforderungen Kommunen in der nahen Zukunft umgehen müssen. Die Klimaveränderungen erfordern neue Ansätze in Stadtplanung, Gebäudeausführung und Energieversorgung, wobei sich große Synergien mit Klimaschutzmaßnahmen herstellen lassen.

Was fehlt?
Viele der neuen Regelungen und Novellierungen bedeuten Fortschritte für den kommunalen Klimaschutz. Energie-, Bau-, Planungs- und Mietrecht bieten jedoch noch zahlreiche Ansatzpunkte, um Kommunen explizite Rechte und Einflussmöglichkeiten einzuräumen, um diese Gesetze auszugestalten und Vorgaben über den Rahmen des Bundesgesetzes hinaus festzulegen. Dies betrifft insbesondere die weiterhin juristisch strittigen Fragestellungen der Verankerung von Energiekennwerten oder Vorgaben zur Nutzung erneuerbarer Energien oder KWK in der Bauleitplanung und den Anschluss- und Benutzungszwang für Nah- und Fernwärme. Hier sind nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes vor allem die Bundesländer gefordert.
Im Verkehrsbereich steht eine Umkehr vor allem bei der Finanzierung des ÖPNV (Sicherung bzw. Aufstockung der GVFG-Mittel über 2013 hinaus, keine Kürzung der Regionalisierungsmittel für den SPNV und Erhalt des Querverbunds), die Abschaffung aller (entfernungsabhängigen) Anreize zum Siedeln und Pendeln im Umland, die Umwandlung der Kfz-Steuer in eine Verbrauchssteuer und die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel an.

 

Kontakt:
Klima-Bündnis e.V., Ulrike Janssen, u.janssen@klimabuendnis.org, http://www.klimabuendnis.org/.

Ulrike Janssen

Leiterin der Europäischen Geschäftsstelle des Klima-Bündnis

Joachim Lorenz

Vorsitzender des Klima–Bündnis – Alianza del Clima e.V. und Referent für Umwelt und Gesundheit der Landeshauptstadt München

Dossier

KlimaKommunal: Aufbruch ins klimaneutrale Zeitalter

Alle Kommunen in Deutschland werden aufgefordert, klimapolitisch aktiv zu werden. Die anlässlich des kommunalpolitischen Bundeskongresses am 24.-25. Oktober vorgestellte Münsteraner Erklärung  "Städte und Gemeinden als Vorreiter für den Klimaschutz" und aktuelle Beiträge zum kommunalen Klimaschutz finden Sie in unserem Dossier.