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Packen wir’s ein

Lesedauer: 7 Minuten

Auch Konsumkinder können die Welt verbessern

27. Oktober 2008
Fred Grimm
Buch-Autor Fred Grimm ("Shopping hilft die Welt verbessern") über Chancen und Grenzen der neuen grünen Verbrauchermacht

Manchmal fragt man sich, ob das alles wahr sein kann: Bio-Karotten bei Aldi oder Lidl, Biomilch bei Plus, Bio-Cola im der Szene-Bar. Die Kantine serviert Currywurst "aus artgerechter Tierhaltung". Man findet Ökomode bei H&M und C&A. Bei Douglas steht Naturkosmetik aus Hand gezupften Rosenblättern im Regal. Greenpeace kämpft mit Uschi Glas und der "Bild-Zeitung" gegen den Klimawandel. Und auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt sieht man so viele umweltfreundliche Prototypen, dass sie beim nächsten Mal wohl "Grüne Woche" heißt.

Plötzlich sind alle "Öko". Automanager, TV-Sternchen, Ölkonzerne, Supermärkte und natürlich auch die Bundeskanzlerin. Der einstige Kampfbegriff, der fanatische Latzhosenträger vom lebensfreudigen Teil der Menschheit separieren sollte, klingt plötzlich nach Verantwortung für die Welt, nach Wissen, Gesundheit und Genuss. Vor allem in Verbindung mit Dingen, die wir kaufen können. Das Label "Öko" ist ein Versprechen, dass wir Konsumkinder ("Ich bin doch nicht blöd") tatsächlich nicht blöd sind. Dass uns kurz vor der Klimakatastrophe doch noch einfällt, wie wir die Erde bewahren statt sie zu zerstören. Dass wir lernen wollen, wie wir uns ernähren und kleiden, wie wir arbeiten, reisen und unser Geld anlegen können, ohne dass es die Welt kosten muss. Nach jüngsten Umfragen wollen mittlerweile 70 Prozent aller Deutschen wissen, wie viel Kohlendioxid bei der Herstellung und dem Transport eines Produkts anfällt. Dreiviertel  der Befragten erklärten, sie würden den klimafreundlicheren Artikel bevorzugen und dafür – zur Not – auch mehr bezahlen.

Jute statt Plastik – ein charmanter Gedanke in lumpigem Gewand

Ende der 70er Jahre startete die Aktion »Jute statt Plastik«. Damals lernte ich, dass unsere Welt eine bessere wäre, wenn alle Menschen für 1,50 Mark eine Jute-Tasche kauften, die Frauenkooperativen aus Bangladesch genäht hatten. Die hellbraunen Taschen waren die ersten stillen Boten der Fairtrade-Idee: direkter Handel mit Produzenten in den Entwicklungsländern, denen man Garantiepreise über dem Weltmarktniveau zahlt. Ein Teil der Gewinne geht an Bildungs-, Gesundheits- und Sozialprojekte. Insgesamt kaufte ich sieben Stück. Schauderhafte Teile, die beim fünften Tragen rissen und bei Regen stanken wie nasser Hund. Die Kampagne hat sich trotzdem in mein Gedächtnis gebrannt. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass das Was, Wo und Wie meines Konsums etwas mit der Art und Weise zu tun hat, wie unsere Welt funktioniert. Dass unser verschwenderischer Umgang mit Ressourcen wie Öl, aus dem man Plastik gewinnt, und unsere Haltung gegenüber der Dritten Welt miteinander zusammenhängen. Und, nicht zuletzt, dass ein politisch sinnvoller Gedanke niemals dauerhaft Erfolg haben wird, wenn man ihn auf einer Tasche spazieren trägt, die aussieht wie ein überfahrener Kartoffelsack. Trotz millionenfach verkaufter Jute-Taschen wurden am Ende der Aktion in Deutschland so viele Plastiktüten verteilt wie nie zuvor.

Ethischer Konsum entstand Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre aus dem Geiste der Konsumverweigerung. Klaglos trank man den bitteren Solidaritätskaffee aus Nicaragua und nahm hin, dass man mit der fair gekauften, kreischbunten Indiomütze aussah als wäre einem ein Blumentopf auf den Kopf gefallen. Wer damals ein guter Mensch sein wollte, kaufte selbst Gemachtes oder spuckte – wie die Punks – der Konsumgesellschaft seine Verachtung ins Gesicht. Motto: »Ich kaufe, also bin ich ein Schwein.«

Die Kinder der 80er und 90er Jahre wuchsen mit zwei widersprüchlichen Botschaften auf: dem Rausch der Oberfläche und der Sehnsucht nach Tiefgang und Moral. Die Popper, die Anfang der 80er Jahre mit ihren Föhnfrisuren, Karoschals und Karottenjeans angaben, waren Vorboten eines Konsum-Narzissmus, bei dem nichts so sehr zählt wie das richtige Label zur richtigen Zeit: »Ich kaufe, also bin ich.« Ihre direkte Gegenbewegung, die Alternativen, kultivierte den Verzicht auf Körperpflege als Waffe im politisch-kulturellen Kampf. Allein die inneren Werte zählten. Ihr parlamentarischer Arm, die Grünen, leistete apokalyptische Konsumkritik und präsentierte sich vorzugsweise im Selbstgestrickten, mit wallenden Röcken oder fleckigen Jeans. Überall lauerten Gefahren: Chemie im Essen und in der Kleidung, giftige Dämpfe aus dem Kinderbett, mit Waschpulver und Putzmitteln getränkte Abwässer, die unsere Flüsse vergifteten, mit allem, was darin schwamm.

Genuss und gutes Gewissen

Auf sonderbare Weise scheinen sich beide Großströmungen – die Popper und die Alternativen – gerade zu etwas ganz Neuem zu vereinen. Wir leben in einer Zeit, in der die sozial-ökologischen Werte der Elterngeneration und das Bedürfnis der Jüngeren, sich durch die Art ihres Konsums als Persönlichkeit zu definieren, eine glückliche Verbindung eingehen. Grün ist heute auch eine Lifestyle-Option mit Glamour-Faktor geworden. Hollywood-Stars wie Natalie Portman werben für ökologisch produzierte Mode und George Clooney erklärt einem die Segnungen von Elektroautos. Der „Ethische Konsum 2.0“ verbindet Genuss und gutes Gewissen, Lifestyle und sozial-ökologisches Bewusstsein. Und er reflektiert die zunehmende Macht der Verbrauchers, denen dank des Internets eine Fülle von Informationen zur Verfügung steht, nach denen sie ihre Kaufentscheidung bewusster treffen können. Diese neue Gegenöffentlichkeit im Netz macht die Sache für unethisch produzierende Firmen schon jetzt immer schwerer. Ob Kinder Fußbälle zusammennähen, Textilarbeiterinnen wie Sklavinnen gehalten werden, Getränkekonzerne Grundwasservorräte aufbrauchen, Autohersteller bei Schadstoffangaben schummeln, Computerfabriken die Umwelt verpesten oder Supermarktketten Gammelfleisch verkaufen – irgendwann kriegt es jemand heraus, und dann wissen es bald alle. "Die Menschen möchten sorgenfrei konsumieren und akzeptieren weder Missstände in den Produktionsstätten noch Umweltsünden", erklärt Michael Otto vom gleichnamigen Versandhauskonzern. Das Konsum-Motto unserer Zeit könnte also lauten: "Ich kaufe. Also bin ich der Bestimmer." 
 
Aber vielleicht ist das alles auch nur ein Traum und wir sind doch keine sensiblen, neuen Konsumenten, die beim Einkauf auch an Mutter Erde denken. Im Frühsommer 2006 erschien in der Wochenzeitung "Die Zeit" ein übellauniger Artikel, der es uns so richtig besorgte. "Selbst schuld!", lautete die Überschrift, darunter stand: "Ob Niedriglöhne, Stellenabbau oder Umweltzerstörung. Was uns als Bürger empört, fördern wir als Kunden." Beim Einkaufen sind uns alle Werte egal. Wir wollen es billig und schnell, ermattet von einer bösen Welt, die wir sowieso nicht ändern könnten. Wirklich? Unsere Konsumgewohnheiten ändern sich, sobald die Alternativen besser, finanzierbar, attraktiver und erreichbar sind. Seit das deutsche Bio-Siegel deutlich erkennbar und einheitlich auf ökologisch erzeugten Lebensmitteln prangt, explodieren die Umsätze. Über 46 000 Produkte tragen mittlerweile das schwarz-grüne Zeichen, und wir, die wir uns angeblich so wenig Gedanken machen und am liebsten alles billig haben wollen, greifen immer öfter zu; fünfmal so oft wie vor der Einführung des sechseckigen Zeichens, obwohl Bio-Lebensmittel 15 bis 25 Prozent teurer sind. Und seit das "Transfair"-Siegel auf Kaffee, Fußbällen oder Schokolade klebt, zeigen wir, dass uns auch diese Idee ein bisschen mehr wert ist. Der Umsatz mit Fairtrade-Waren stieg weltweit im vergangenen Jahr von einer Milliarde auf 1,6 Milliarden Euro.

Natürlich werden wir nur durch unseren Konsum allein die Welt nicht retten. Neben dem "Stimmzettel Einkaufswagen", von dem der Soziologe Ulrich Beck spricht, werden wir den richtigen schon auch noch eine Weile brauchen. Aber warum sollen wir nicht beim Einkaufen damit anfangen? Jeder Schritt zählt. Täglich werden in Deutschland 150 Millionen "Konsumentscheidungen getroffen", übersetzt: Wir kaufen was. Wann immer wir in Kaufhäusern, Trendshops, Tante-Emma-Läden oder Bio-Supermärkten ein Angebot sehen, das umweltschonend und ohne Ausbeutung von Mensch oder Tier produziert wurde, tun wir uns und unserer Welt doch bitte einen Gefallen: Packen wir’s ein.

Fred Grimm

Der Journalist und Autor Fred Grimm lebt in Hamburg. Er arbeitete viele Jahre für den "Stern", unter anderem als Ressortleiter für die Bereiche Ausland sowie Unterhaltung und Medien. Er war Redaktionsleiter der Computer-Zeitschrift "konrad", Autor bei "Tempo" und "Max". Heute schreibt er für Magazine von "GQ" bis "Emma", von "Player" bis "Best Life", entwickelt Magazine und TV-Formate.