Der Bremser wird Vorreiter

Foto: Baumstämme, © knipseline, pixelio.de

Klimakehrtwende: Brasilien will die Entwaldung stoppen – und so CO2 einsparen

15. Februar 2009
Von Thomas Fatheuer und Anne Schnieders

Von Thomas Fatheuer und Anne Schnieders

Die Posener UN-Klimakonferenz im Dezember vergangenen Jahres brachte, wie bereits ihre Vorgänger, keine wesentlichen Fortschritte für ein Post-Kyoto-Klimaregime. Dennoch reiste die brasilianische Regierungsdelegation hochzufrieden aus Polen ab. Umweltminister Carlos Minc konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Schließlich hatten sowohl der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore als auch UNGeneralsekretär Ban Ki-moon Brasiliens Klimapolitik ausdrücklich gelobt: Al Gore betonte in seiner Rede, dass einige Entwicklungsländer, darunter Brasilien, nun eine führende Rolle bei den Klimaverhandlungen übernommen hätten, Ban Kimoon bezeichnete Brasiliens Wirtschaft gar als eine der "grünsten" der Welt. Tatsächlich sorgte die brasilianische Regierung für einen der wenigen Höhepunkte der Konferenz, als sie einen konkreten nationalen Klimaplan vorlegte, in dessen Mittelpunkt die Reduzierung der Entwaldung und der damit verbundenen Emissionen stehen. Die Pointe des Planes besteht darin, dass Brasilien, das als so genannter Nicht-Annex-I-Staat keine Reduktionsverpflichtungen im Kyoto-Protokoll übernehmen musste, damit freiwillige nationale Reduktionsziele verspricht. Der Auftritt in Polen markiert eine wichtige Änderung gegenüber jenen Leitlinien, die in den letzten Jahren das Verhalten in den Klimaverhandlungen geprägt hatten.

Nationale Interessen
In den Verhandlungen über ein internationales Klimaregime hatte Brasilien zunächst eine aktive Rolle gespielt – seine Diplomaten waren direkt an der Ausarbeitung des Clean Development Mechanism (CDM) als eines der zentralen Instrumente des Kyoto-Protokolls beteiligt. Danach aber zog sich das Land in eine klar formulierte Defensivposition zurück. Mehr noch: Die brasilianische Diplomatie entwickelte und verteidigte das Konzept der historischen Verantwortung, nach der auch die Emissionen der Industrieländer in der Vergangenheit zu berücksichtigen sind, bevor den Entwicklungsländern irgendwelche Bürden aufgelastet werden dürfen. Ihrem Vorschlag zufolge sollten Emissionen seit 1850, praktisch dem Beginn der Industrialisierung, berücksichtigt werden, um zu verhindern, dass Brasilien und andere Entwicklungsländer auf absehbare Zeit irgendwelche Reduktionsziele übernehmen müssten. Die brasilianische Regierung stellte damit das Recht auf (nationale) Entwicklung in den Mittelpunkt ihrer Klimapolitik,
während die vorschnelle Zustimmung zu Reduktionszielen hingegen die Gefahr berge, dass ungleiche historische Ausgangspositionen durch ein Klimaregime verfestigt würden. Diese defensive Haltung trug sie in den letzten Jahren in den Klimaverhandlungen demonstrativ zur Schau – so betont etwa der damalige Verhandlungsführer José Miguez, dass es ein Ziel ihrer Diplomatie gewesen sei, sogar freiwillige Reduktionsziele für Entwicklungsländer zu verhindern.

Umweltsünder und Musterknabe
Um die brasilianische Position in den internationalen Klimaverhandlungen zu verstehen, hilft ein Blick auf die besondere Stellung des Landes unter den größten CO2-Emittenten der Welt. Dank eines hohen Anteils erneuerbarer Energien am Energiemix gehört Brasilien zu den Ländern mit äußerst geringen CO2-Emissionen – dies erklärt sich aus einem extrem hohen Anteil von Wasserkraft an der Stromerzeugung (etwa 75 Prozent) und dem steigenden Einsatz von Agrotreibstoffen.
Es kann deshalb zu Recht darauf bestehen, dass es mit einem Anteil von 45 Prozent erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch (OECD Durchschnitt: 6,2 Prozent) kein geeigneter Kandidat für Reduktionsziele oder anderweitige internationale Verpflichtungen sei. Dieses Bild ändert sich aber, wenn Emissionen aus "Land Use Change" hinzugerechnet werden. Vor allem aufgrund des Abbrennens des Amazonas-Waldes rückt Brasilien so in die Spitzengruppe der weltweiten CO2-Emittenten vor – etwa zwei Drittel aller brasilianischen Emissionen stammen demnach nicht aus Verkehr oder Industrieproduktion, sondern sind Folge von Waldvernichtung und dem Abbrennen von Steppen.

Brasilien hat sich lange dagegen gewehrt, die Waldfrage in internationale Verhandlungen aufzunehmen, hauptsächlich aus Angst vor Einmischung in die nationale Souveränität. Seit dem Stern-Report, der 2007 im Auftrag der britischen Regierung die wirtschaftlichen Schäden des Klimawandels erstmals konkret bezifferte, hat jedoch ein Umdenken eingesetzt. So weist der Bericht darauf hin, dass die Reduzierung der Entwaldung ein relativ billiger und schneller Weg sein könnte, um Emissionen zu reduzieren. Immerhin stammen zwischen 20 und 25 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen aus Entwaldung. Auf der Bali-Konferenz 2007 wurde daher die Einbeziehung von Wäldern unter ein Post-Kyoto-Regime explizit festgeschrieben; für viele Beobachter war dies eine der wesentlichen Neuerungen des Verhandlungsprozesses der letzten
Jahre. Seit Bali trägt das Thema die prägnante Abkürzung REDD (Reducing Emissions from Deforestation und Degradation) – diese Entwicklung wäre nicht möglich gewesen, wenn sich die brasilianische Regierung nicht für die Einbeziehung der Wälder in die internationalen Klimaverhandlungen geöffnet hätte.

Schritt aus der Defensive
In Posen nun ist Brasilien einen weiteren Schritt nach vorn gegangen: Mit seinem nationalen Klimaplan legte es einen konkreten Vorschlag zur Emissionsreduzierung aus Entwaldung vor. Der Plan soll Maßnahmen zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels implementieren, enthält erstmals konkrete, messbare Ziele und umfasst auch Emissionen aus der Industrie, dem Energiesektor sowie den unterschiedlichen Arten von Agrotreibstoffen. Im Mittelpunkt steht jedoch der Wald – sowohl die Reduzierung der Entwaldungsraten im Amazonas-Gebiet als auch die Wiederaufforstung bereits abgeholzter Flächen.
So soll im Zeitraum von 2006 bis 2010 die illegale Rodung in Amazonien im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1996 bis 2005 um 40 Prozent zurückgehen, und bis 2017 nochmals in Vier-Jahres-Schritten um weitere 30 Prozent fallen.

Durch diese Reduzierung gelangten 4,8 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid weniger in die Atmosphäre. Der Schutz des Amazonas-Waldes soll zum Teil durch internationale Mittel finanziert werden; dafür wurde von der brasilianischen Regierung bereits ein Amazonas-Fonds eingerichtet, der als eine Art REDD-Mechanismus auf freiwilliger Basis ohne Einbindung in einen internationalen Emissionshandel verstanden werden kann.

Bis 2015 ist zudem geplant, den Verlust an bewaldeter Nettofläche ganz zu beseitigen – neben dem Schutz der existierenden Wälder sollen daher auch großräumig neue Waldflächen angepflanzt werden, die dann als Kohlenstoffspeicher zur Verfügung stehen.
"Wir werden einen besseren Plan vorlegen als China oder Indien und sicherlich einen besseren als andere Länder, die nicht einmal das Kyoto-Protokoll unterschrieben haben", sagte Staatspräsident Lula bei der Vorstellung in Posen.

Umweltminister Minc nutzte die Gelegenheit, für den nationalen Klimaplan und den Amazonas-Fonds zu werben: "Brasilien hat lange in der Defensive gespielt.
Wir möchten nun eine Führungsrolle übernehmen." Zumindest in Polen konnten Lula und Minc dafür viel Lob einheimsen und die Anklagebank als Umweltsünder verlassen. Doch so ambitioniert ihr Plan auch auf den ersten Blick erscheint, hält er einem zweiten Blick kaum stand. Die Kritik ließ folglich nicht lange auf sich warten, vor allem von Seiten der Nichtregierungsorganisationen.

So klingt eine Reduzierung illegaler Rodungen um etwa 70 Prozent bis 2017 zwar viel, doch bezieht sich das angestrebte Ziel auf einen Vergleichszeitraum, in dem die Entwaldung überdurchschnittlich hoch war. Eine Reduzierung bedeutet zudem keine vollständige Eindämmung, so dass bis 2017 im Amazonas-Gebiet nochmals eine Fläche abgeholzt wird, die mit mehr als 70 000 Quadratkilometer in etwa der Fläche Bayerns entspricht. Und auch das Wiederaufforstungsziel hat einen Haken: der größere Anteil der Fläche dient der Anpflanzung kommerziell nutzbarer Bäume wie Eukalyptus oder Pinien, die kaum mit einem natürlich gewachsenen Wald vergleichbar sind.
So umstritten die brasilianische Klimapolitik innenpolitisch auch bleibt – ihr internationaler Erfolg ist unübersehbar. Das Versprechen, durch die Reduzierung der Entwaldung etwa 4,8 Milliarden Tonnen CO2 einzusparen, steht für das ambitionierteste nationale Reduktionsziel weltweit. Brasilien wartet nun wie viele andere Entwicklungsländer darauf, dass die Industriestaaten es bei der Erreichung dieses Zieles finanziell unterstützen.

Im Rahmen eines neuen internationalen Klimaabkommens kann die Lula-Regierung damit nur gewinnen. Durch ihren Vorstoß in Posen ist es ihr gelungen, auf absehbare Zeit jegliche Belastungen für die industrielle Entwicklung des Landes abzuwehren und dennoch zu einem aktiven Spieler in der Waldfrage zu werden. Hier wird in Zukunft mit Brasilien zu rechnen sein – sowohl bei der Ausarbeitung der konzeptionellen Grundlagen für die Einbeziehung der Wälder als auch durch energisches Pochen auf die Verpflichtungen des Nordens, die Länder des Südens bei der Walderhaltung zu unterstützen.

Dr. Thomas Fatheuer leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro.

Mitarbeit: Anne Schnieders

» Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Internationale Politik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eV.