Die Arktis erfährt eine zunehmende Militarisierung, die es seit den Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat. Innerhalb des letzten Jahres haben größere Arktisanrainer, wie Kanada, Norwegen, Dänemark und Russland, eine enorme Verstärkung ihrer jeweiligen militärischen Kapazitäten im hohen Norden angekündigt. Sogar der neue Generalsekretär der Nato, Anders Fogh Rasmussen, hat sich kürzlich dieser Rhetorik angeschlossen und erklärte, dass es seine Absicht sei, die Rolle der Allianz in dieser Region zu stärken.
Es ist offensichtlich, dass die Arktisstaaten ihre Souveränität über die umstrittenen Gewässer ausweiten möchten, da durch die globale Erwärmung eine Unzahl von Schätzen freigelegt werden. Das Schmelzen des arktischen Eises wird das Erschließen von neuen Handelsrouten ermöglichen. Die Strecke von Shanghai nach New Jersey verkürzt sich zum Beispiel um 4.359 Meilen im Vergleich zur Strecke durch den Panama Kanal. Diese neuen Seehandelsrouten können zur Entlastung von Meeresengen wie dem Suez und dem Panama Kanal als auch der Malacca Meeresenge beitragen. Gleichzeitig würden der politisch instabile Nahen Osten und die Piraterie am Horn von Afrika gemieden werden.
Der Hohe Norden ist auch reich an natürlichen Ressourcen. Laut den US Geological Survey besitzt die Region rund 13 Prozent des weltweit unentdeckten Öls und 30 Prozent des unentdeckten Gases. Mit schwindenden Öl- und Gasreserven aus den konventionellen Feldern werden die Vorkommen aus der Arktis früher oder später angezapft werden müssen, um die weltweite Nachfrage zu stillen. Der zweimal im Jahr veröffentlichte Ressourcen-Report des Norwegischen Petroleum Direktorats, erschienen letzten Monat, veranschaulicht dies, indem er drauf hinweist, dass Norwegen weiter in die Arktis vordringen müsse, wenn es seine aktuellen Produktionszahlen erhalten wolle.
Über die Energieressourcen hinaus ist die Arktis Heimat wichtiger Fischbestände und wertvoller Metalle. Der Kabeljau in der Barentssee und der Seelachs im Fernen Osten Russlands allein machen rund 25 Prozent des weltweiten Fangs von Weißfisch aus. Darüber hinaus bieten die wirbellosen Tiere der Polarregion eine wertvolle Quelle für den Chemie- und Pharmaziesektor, da diese für die Herstellung von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten genutzt werden.
Der neue Kampf um die Arktis
Gleichzeitig treiben innerstaatliche Dynamiken die Militarisierung der Arktis an. Hier spielen die Sicherheits- und Verteidigungskreise der arktischen Staaten eine besondere Rolle, da diese sowohl ihren operationellen Spielraum als auch ihr Budget erweitern wollen. Die Tatsache, dass militärisches Imponiergehabe und Kampfübungen zur Verteidigung der Souveränität in der Region Politikern eine größere Beliebtheit bei den Wählern verschaffen kann, wird zweifellos von den Arktisregierungen nicht außer Acht gelassen. In diesem Zusammenhang nutzen Politiker und das Militär das Aufsehen, um ein dramatisches Bild eines neu entstehenden großen Kampfes um die Arktis auszumalen, einschließlich Kriege über Ressourcen und Bedrohungen nationaler Interessen und Souveränität.
Die Emotionen sind dadurch am Brodeln, dass viele Arktisanrainer außerordentlich empfindlich auf die Entwicklungen im hohen Norden reagieren, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass sie sich mit der Arktis identifizieren und sie als einen wesentlichen Bestandteil ihres kulturellen Erbes ansehen. Das verhindert zudem die Gestaltung rationaler Politik und erklärt warum klassisch harte Sicherheitsbedrohungen aufgebauscht werden. Ironischer Weise sind es jedoch genau diese Sturm und Drang-Aufrufe nach einer größeren militärischen Absicherung der Arktis, die sich im Rückkehrschluss zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung entwickeln und sich in einen Rüstungswettbewerb hineinsteigern könnten.
Die Tatsache ist, dass Angelegenheiten hinsichtlich der Souveränität und Ressourcen der Arktis, noch immer durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) geregelt wird, unter dem jedem Anspruchssteller ermöglicht wird seine exklusive Wirtschaftszone (EEZ) auszuweiten, insofern er nachweisen kann, dass die geologische Struktur des Kontinentalsockels eine Ausdehnung seiner kontinentalen Plattform ist. Zusätzlich bestätigten die arktischen Küstenstaaten ihre Verpflichtung zu UNCLOS bei einer Sitzung in Ilulissat (Grönland) im Mai 2008. Nicht Truppen, sondern Wissenschaftler und Politiker entscheiden folglich über das Schicksal der Arktis.
Stattdessen gehen wirkliche Bedrohungen der Souveränität von grenzübergreifenden Problemen und nichtstaatlichen Akteuren aus. Klimawandel und das Schmelzen der arktischen Eiskappen beeinflussen nicht nur das lokale Ökosystem und die indigene Lebensweise, sondern führen auch zu einem verhängnisvollen weltweiten Anstieg des Ozeanpegels, der für kleine Inselstaaten und andere tiefer liegende Gebiete zu einer großen Gefahr werden kann.
Neue Ressourcen mit neuen Konsequenzen
Eine schmelzende Arktis und der Zugang zu neuen Ressourcen und Transportwegen werden eine Reihe von Öl- und Gaskonzerne, Schifffahrtsgesellschaften, Reiseveranstalter und kriminelle Organisationen, von Menschenhändlern über Drogenkartelle bis hin zu terroristischen Gruppen, anziehen. Letztere wurden besonders durch die im Januar verabschiedete Präsidialrichtlinie der USA, die die mögliche Verwundbarkeit der Vereinigten Staaten durch terroristische und kriminelle Handlungen in der arktischen Region unterstreicht, hervorgehoben.
Gefragt ist nicht ein unkoordiniertes eifriges und emotionales Drängen auf ein größeres militärisches Engagement, sondern eine Verbesserung der zivilen Verwaltung und zwischenstaatliche Kooperation. Dies würde ein stabiles Abkommen über die Minderung der globalen Erwärmung, wie es zur Zeit verhandelt wird, die Schaffung eines leistungsfähigen multilateralen Regierungsmechanismus für die Arktis, welcher Umweltschutz, Navigation, Abbau von natürlichen Ressourcen und einen rechtlichen Rahmen beinhaltet, sowie eine effektive und koordinierte zivile Durchsetzung, um einen klaren Verhaltenskodex als auch Seedienstleistungen, wie Suche und Rettung, Überwachung, Wetterbericht und eine qualitative Kartierung, miteinschließen.
Die arktischen Staaten müssen sich besinnen und erkennen, dass eine Erhöhung ihrer militärischen Präsenz keinen Beitrag zur Lösung der Probleme der Region leisten wird, sondern nur zu einer Erhöhung der Spannung führen wird.
Roderick Kefferpütz ist verantwortlich für Energiepolitik, EU-Russland-Beziehungen und Entwicklungen in der Arktis im EU-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Brüssel.
Dieser Beitrag ist am 9. Oktober 2009 als Gastkommentar auf Zeit.de erschienen.