Zur Bürgerbeteiligung in der Beschleunigten Energiewende

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Der Netzausbau ist ein elementarer Bestandteil der Energiewende. Auch wenn die Bevölkerung generell für den Ausbau der Erneuerbaren Energien ist, treffen Bauvorhaben für ober- oder unterirdische Trassen oft auf zivilgesellschaftlichen Widerstand. Foto: MiGowa, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY 2.0

14. Juni 2011
Dorothee Landgrebe

Heinrich-Böll-Stiftung: Der Netzausbau ist bisher der Flaschenhals der Energiewende. Dafür wird oft der Widerstand vor Ort verantwortlich gemacht. Jetzt will die Bundesregierung den Netzausbau beschleunigen und zugleich bürgerfreundlicher gestalten. Wird der Gesetzesentwurf zum Netzausbau diesen Zielen gerecht?

Michael Zschiesche: Nein. Der Gesetzentwurf sagt, wir hatten nie Probleme wie in Stuttgart im letzten Jahr. Er ist daher die Fortsetzung alten Denkens mit untauglichen Mitteln. Ich glaube allerdings auch nicht, dass die Dimension der Problematik in der Ministerialbürokratie angekommen ist. Man kann heute den Ausbau von Infrastruktur nur beschleunigen, wenn man auf die Menschen zugeht, erklärt, informiert und sie wirklich beteiligt. Das Interesse daran müssen die Menschen spüren. Es reicht daher nicht, formale Beteiligungsregeln im Gesetz vorzusehen und zu denken, man sei nun besonders bürgerfreundlich.

Wie sollte man aus Ihrer Sicht die Bürgerbeteiligung beim Netzausbau gestalten, um mehr Akzeptanz für dieses Vorhaben zu erreichen?

Zunächst muss das Ziel des Gesetzes anders formuliert werden. Es geht nicht nur um den zügigen Ausbau der Netze, es geht auch um den bürgerfreundlichen Ausbau der Netze. Akzeptanz wird nur dann herzustellen sein, wenn bei der Bedarfsfeststellung größtmögliche Transparenz herrscht. Das ist der zentrale Punkt. An dieser Stelle, der Bedarfsprüfung sollten Bürger beteiligt werden. Nur so kann Vertrauen im Land entstehen. Ich würde für die Methode Bürgerkonferenz oder das Verfahren Planungszelle plädieren. Da kommen Bürgerinnen nach einer Zufallsauswahl zusammen. Das wäre echte Demokratie, wenn offengelegt würde, wer welche Interessen hat. Wenn man das nur mit einer formalen Beteiligung macht, ist das zu wenig.

Führt nicht mehr Bürgerbeteiligung zu einer Verlängerung der Verfahren?

Wie man`s nimmt. Wir wissen doch heute schon, wie viele Bürgerinitiativen es gegen den Netzausbau gibt. Wenn man realistisch ist, kann man doch nicht erwarten, dass diese Initiativen nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Ausbau zu verhindern. Also muss man erklären. Es gibt die Chance, dass sich vernünftige Argumente durchsetzen. Die Zeit hierfür muss man sich nehmen. Das sehe ich nicht als verschenkte Zeit. Mit Basta-Entscheidungen kann man mehr kaputt machen. Ich denke, die Mehrheit der Deutschen steht zum Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Außerdem plant die Bundesregierung im Rahmen eines Beschleunigungsprogramms bis 2020 zusätzliche Kraftwerkskapazitäten von zehn Gigawatt zu errichten. Zugleich verspricht sie mehr Bürgerbeteiligung. Können Beschleunigungsvorgaben und mehr Beteiligung zusammen realisiert werden oder befürchten Sie einen weiteren Abbau der Bürgerbeteiligung durch die Energiewende?

Ich befürchte, dass die Bunderegierung unrealistische Vorstellungen hat. Ich glaube, wer an sich richtige Ziele mit der Brechstange durchsetzen will, das kennt man ja aus dem privaten Bereich, erleidet häufig Schiffbruch. So wichtig eine gewisse Stringenz der Umsetzung ist, in einer Demokratie muss man sich schon bemühen, zu erklären, was wofür sinnvoll ist. Es muss nicht der letzte verstanden haben, worum es geht, aber die Mehrheit schon. Ich habe den Verdacht, hier sollen Tatsachen geschaffen werden, bevor realisiert wird, was da eigentlich geschieht.

Was würden Sie der Bundesregierung beim Kraftwerksbau und beim Ausbau der Erneuerbaren aus Sicht eines Umweltschützers und Beteiligungsexperten raten?

Bitte nehmen sie sich zunächst die Zeit für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren. Nehmen sie die Bürger mit, indem Sie sie frühzeitig einbinden. Lassen sie jeden wichtigen Schritt – zum Beispiel die Frage des Bedarfs des Ausbaus – von Bürgern überprüfen. Informieren sie mehr als sonst in formalen Verfahren. Geben Sie sich Mühe, Vertrauen aufzubauen. Dann geht es auch so schnell, dass es die Mehrheit gut findet und verstanden hat.  

Das Interview führte Dorothee Landgrebe

Michael Zschiesche ist Vorstandsprecher und Leiter des Fachgebiets Umweltrecht und Partizipation des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen e.V. Seit mehr als 20 Jahren ist er mit Projekten im Bereich Bürgerrechte im Umweltschutz aktiv. Michael Zschiesche ist Autor des Buches "Einmischen - rechtliche Wege der Bürgerbeteiligung im Umweltschutz". Er lebt in Berlin.

Übersicht der Interviews zur beschleunigten Energiewende

Am 6. Juni hat das Kabinett die Beschlüsse für eine beschleunigte Energiewende vorgelegt. Nach dem aktuellen Fahrplan sollen die zugrunde liegenden sieben Gesetzesentwürfe bis zur Sommerpause am 8. Juli durch den Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Am Samstag, den 25 Juni entscheiden Bündnis 90/die Grünen auf einem Sonderparteitag, ob sie den vorliegenden Beschlüssen zustimmen werden.

Wir werden in den nächsten Wochen Experten, Politiker und Verbandsvertreter zu diesem umfangreichen Gesetzespaket befragen, um die Folgen für die Wirtschaft, die Umwelt, die Bürger/innen und die Beschäftigten auszuloten.

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