Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Countdown to Cancun (1): Wenn Inseln versinken und Stürme das Land verwüsten

Lesedauer: 5 Minuten
Überflutetes Dorf in Punjab, Pakistan. Foto: United Nations Photo. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

26. November 2010

Marlene Canjura wünscht sich für ihre vier Kinder vor allem einen ordentlichen Schulabschluss, denn sie weiß, wie wichtig eine gute Ausbildung ist, um später für sich und eine Familie sorgen zu können. Sie und ihr Mann sind nur wenige Jahre zur Schule gegangen. Die Familie lebt vom Fischfang. Das Dorf, in dem die Canjuras wohnen, unweit der alten Hafenstadt Acajutla in El Salvador, wird oft von Stürmen heimgesucht, die zusammen mit heftigen Regenfällen auftreten und hier »Temporales« genannt werden. In den letzten Jahren kam es dabei zunehmend zu Überflutungen, wobei sowohl der Wind das Meer landeinwärts drückte als auch der Regen den Sensunapan-Fluss über die Ufer treten ließ.

Neuerdings sind auch Gegenden überflutet, die früher vom Wasser verschont blieben. Seit kurzem wohnen die Canjuras in einem von einer Hilfsorganisation finanzierten gemauerten Haus, das mehr Schutz vor dem Regen bietet. Von ihrer alten Wellblechhütte blieben nach dem letzten Unwetter nur noch die Grundpfeiler übrig – knietief stand das Wasser und floss tagelang nicht ab. Die Canjuras haben Glück, nicht alle in der Gegend um Acajutla leben in Steinhäusern. Die Hilfsorganisationen können nicht alle versorgen, die Not ist zu groß. Wir müssen hier sowohl Katastrophenhilfe leisten als auch den Menschen dabei helfen, sich verstärkt selbst vor Überschwemmungen zu schützen und sich für ihre Anliegen bei der Regierung stark zu machen, erklärt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Der steigende Meeresspiegel gehört zu den bekanntesten Auswirkungen des Klimawandels. Seit 1870 stieg er weltweit um durchschnittlich insgesamt etwa zwanzig Zentimeter, und heute ca. drei Millimeter pro Jahr. Bis Ende des 21. Jahrhunderts erwarten die Wissenschaftler einen Anstieg von etwa einem Meter, womöglich sogar zwei Meter. Weniger als ein halber Meter würde auf den Philippinen 500.000 Menschen obdachlos machen. Steigt der Meeresspiegel um einen Meter, verlöre Bangladesch etwa 17 Prozent seiner Fläche – die Heimat von Millionen Menschen. Ähnliches droht auch in anderen tief gelegenen und flachen Küstenregionen, z.B. an der ostindischen Küste, den dicht besiedelten, breiten Küstenflächen Chinas oder in Westafrika.

Wenn die globale Erwärmung auf über 3°C steigen sollte, könnten weltweit mehr als 300 Millionen Menschen gezwungen sein, dauerhaft ihre Heimat zu verlassen. Unmittelbar gefährdet sind zahlreiche Inselstaaten, insbesondere in der Karibik und im Pazifik. Mehr als die Hälfte der Einwohner auf diesen flachen Inseln lebt weniger als anderthalb Meter über dem Meeresspiegel. Steigt dieser, steigt auch die Gefahr von Überflutungen. Tropische Stürme zerstören nicht nur Straßen, Häuser, Fischerboote oder Trinkwasseranlagen, sie lassen auch die Küsten erodieren.

Vor der Küste Indiens sind in den letzten 20 Jahren vier Inseln der Sundarbans verschwunden, mehr als 6.000 Familien verloren dadurch ihre Heimat. Tuvalu und benachbarte Inselgruppen haben in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt drei Meter Land an der Küstenlinie verloren. Die Weltgesundheitsorganisation who schätzt, dass weltweit jährlich etwa 60.000 Menschen durch Unwetterkatastrophen infolge des Klimawandels ihr Leben verlieren. Die meisten sind Opfer vieler kleinerer, lokal begrenzter Ereignisse, aber es gibt auch immer wieder Katastrophen mit massiven und großflächigen Schäden, wie zum Beispiel 1999 im ostindischen Bundesstaat Orissa, als ein Zyklon 10.000 Menschenleben kostete.


Rund 98 Prozent der zwischen 2000 und 2004 von Unwetterkatastrophen betroffenen Menschen sind in den Entwicklungsländern zu Hause. Die meisten von ihnen leben in großer Armut und gehören oft marginalisierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen an. Häufig leben diese Menschen in Armenvierteln und den Favelas an den Berghängen, die nach starken Regenfällen der Gefahr von Erdrutschen ausgesetzt sind. Oder sie haben ihre Behausungen an ungeschützten Flussufern, wie zum Beispiel in Shanghai, wo die Stadtteile der etwa drei Millionen Wanderarbeiter nur knapp über dem Meeresspiegel an der Flussmündung des Jangtse liegen und regelmäßig überschwemmt werden.


Besonders die ärmsten Länder verfügen in der Regel nicht über ausreichende Finanzmittel für den Aufbau und Unterhalt von Schutzmaßnahmen oder Frühwarnsystemen. Der im Mai 2008 über Myanmar hereinbrechende Zyklon Nargis war auch deshalb so zerstörerisch, weil er die Bevölkerung unvorbereitet traf. 140.000 Menschen starben, 800.000 verloren ihr Zuhause. Oft reicht schon ein einziger Sturm oder eine einzige Überschwemmung, um die Lebensgrundlagen der Menschen komplett zu vernichten, denn sie haben wegen ihrer Armut keine Rücklagen, um sich von den Folgen zu erholen. Noch schlimmer aber wird es, wenn gleich mehrere solcher Ereignisse in relativ kurzer Folge auf dasselbe Gebiet treffen. Dann können auch Regionen, in denen die Menschen in der Vergangenheit erfolgreich der Armut entfliehen konnten, wieder dauerhaft in extreme Armut abrutschen. 

Mehr Informationen rund ums Klima


Publikation

Klima schützen, Armut verhindern

Der Klimawandel geschieht nicht erst morgen, er passiert schon heute – und er hat Folgen: Er lässt Ernten vertrocknen, verschlechtert die Trinkwasserversorgung in ohnehin trockenen Gegenden, begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten und überschwemmt mit sintflutartigen Regenfällen ganze Regionen.
All dies kostet jedes Jahr über hunderttausend Menschen das Leben und gehört auch seit jeher zu den Ursachen von Armut. Neu sind aber Zahl, Heftigkeit und Dauer solch extremer Ereignisse. Und es trifft vor allem Menschen in den Entwicklungsländern, obwohl sie in der Regel am wenigsten und häufig überhaupt nicht zu der Krise beigetragen haben. Den Klimawandel zu begrenzen ist die größte und dringendste Herausforderung dieses Jahrhunderts. Sie geht uns alle an. Und sie lässt sich meistern. Die anschauliche Publikation "Klima schützen, Armut verhindern" von Oxfam Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung sensibilisiert für diese Aufgabe und sagt, was zu tun ist.

Zum Warenkorb hinzugefügt: