Zur Entscheidung über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten

10. September 2010
Von Klaus Traube
Ein Analysepapier für den Deutschen Naturschutzring (DNR) von Klaus Traube

1. Reaktorsicherheit: vorgesehene Laufzeiten unverantwortlich
Die vorgesehene Verlängerung um 8 bzw. 14 Jahre bedeutet, dass die deutschen AKW so lange  in Betrieb sein werden („laufen“)  wie bisher noch keins der 441 derzeit weltweit betriebenen AKW.
Das älteste derzeit noch in Betrieb befindlichen deutschen AKW, Biblis A, begann 1974 die Stromerzeugung, hat also bisher eine Laufzeit von 36 Jahren absolviert. Es müsste nach der bisherigen gesetzlichen Regelung demnächst abgeschaltet werden, soll aber nunmehr noch acht Jahre weiter laufen. Mithin soll es erst nach 44 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden.
 
So „alt“ ist kein einziges der derzeit 441 weltweit in Betrieb befindlichen AKW; alle noch älteren (vor 1974 in Betrieb gegangenen) AKW wurden bereits abgeschaltet. Insgesamt wurden 125 AKW bereits stillgelegt, darunter auch viele Jüngere. Das geschah in der Regel aus Sicherheitsgründen, denn je älter, um so störanfälliger sind AKW.

Mit der neuen Regelung werden die meisten der 17 noch in Betrieb befindlichen deutschen AKW (19 weitere sind bereits abgeschaltet) noch längere Laufzeiten als Biblis A erhalten – und zwar bis zu 50 Jahren.1 Für derart langen Laufzeiten wurden die deutschen AKW von vornherein gar nicht ausgelegt.
 
Aus Sicherheitsgründen erscheinen daher die nun vorgesehenen Laufzeiten als unverantwortlich.
Hinzu kommt die ungeklärte Entsorgung des Atommülls. Die Laufzeitverlängerung führt zu noch mehr Müllmassen, die schon in den vorhandenen Zwischenlagern nicht mehr vollständig untergebracht werden können. Man kann sie noch auf Jahrzehnte hinaus nicht in ein sicheres Endlager verbringen; ob und wann evtl. es ein sicheres Endlager geben wird ist völlig ungeklärt. Das kürzlich zutage getretene Debakel im Lager Asse wirft ein grelles Schlaglicht auf die Problematik der Endlagerung.


2. Laufzeitverlängerung bremst Ausbau der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energien

Der Ausbau der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energien wird auf mehrfache Weise durch den weiteren Betrieb von AKW behindert, insbesondere wegen  mangelnder Flexibilität des AKW- Betriebs. Die Leistung von AKW lässt sich zwar bis herunter zu 50 - 60% der Vollast einigermaßen flexibel regeln, aber nicht im Bereich noch geringerer Leistung.
 
Mit dem weiteren Ausbau der Windkraft und Photovoltaik wird deren zeitlich fluktuierende Erzeugung in Zukunft zeitweise den gesamten Strombedarf decken. Dann sind alle konventionellen Kraftwerke abzuschalten, während sie zu anderen Zeiten den Strombedarf noch in erheblichem Maß decken müssen. Gaskraftwerke lassen sich flexibel regeln und nach Abschaltung schnell wieder anfahren; AKW benötigen dagegen nach Abschaltung vier bis fünf Tage bis zur Wiederaufnahme der Stromerzeugung. Häufigeres Abschalten wäre daher unpraktikabel, würde den AKW- Betrieb unwirtschaftlich machen, zudem die Reaktorsicherheit (wg. Materialermüdung)  gefährden. Dieser Systemkonflikt dürfte dazu führen, dass erneuerbarer Kapazitäten in Zukunft mit Rücksicht auf praktikablen AKW- Betrieb abgeschaltet werden, die derzeit gesetzlich fixierte Priorität ihres Einsatzes also in Zukunft obsolet wird. 

Nicht nur deswegen, sondern v.a. auch aufgrund der Zementierung der Marktmacht der vier großen Verbundunternehmen warnt die Kommunalwirtschaft, die Laufzeitverlängerung werde sie am Zubau erneuerbarer Kapazitäten behindern.

3. Der große Trick: Das Vergleichsszenario ohne Laufzeitverlängerung.
Die vorgelegten neun Energieszenarien – acht mit um 4 - 28 Jahren verlängerter Laufzeit und ein  Referenzszenario ohne Verlängerung – belegen angeblich, dass längere Laufzeiten volkswirtschaftliche Vorteile erbringen. Das gilt als Grundlage für den Regierungsbeschluss, die Laufzeiten für die acht ältesten AKW um acht Jahre und für die zehn neueren AKW um 14 Jahre zu verlängern.
Dieses angebliche Ergebnis beruht auf den Tricks,
  • für das Referenzszenario eine gegenüber den Verlängerungsszenarien nur mäßige Entwicklung („business as usual“) der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien vorzugeben,
  • zu suggerieren, ohne Laufzeitverlängerung werde tatsächlich diese vergleichsweise mäßige Entwicklung eintreten, wofür freilich keine Begründung geliefert wird, auch nicht geliefert werden kann,
  • auf dieser Basis ausschließlich dieses zahnlose Referenzszenario zu benutzen für den Vergleich der Effekte der Laufzeitverlängerung gegenüber „der“ Entwicklung  ohne Verlängerung.

Hier einige Beispiele für wesentliche unterschiedliche Ansätze im Referenzszenario gegenüber den Verlängerungsszenarien:

  • Jährliche Effizienzsteigerung 1,7 - 1,9 % gegenüber 2,3 - 2,5 %
  • Anstieg CO2- Preise auf 50 gegenüber 75 Euro/t
  • Anteil Erneuerbare an der Stromerzeugung 2050:  62% gegenüber 76 - 85%
  • Anteil Erneuerbare am End- bzw. Primärenergieverbrauch 2050: 20 bzw. 32 % gegenüber 35 bzw. 50%
  • Wärmeschutzstandards für Neubauten: im Referenz- Szenario um rund 1/3 niedriger als in den Verlängerungsszenarien

Um die hohen Anteile der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch (um 50% in 2050) zu erreichen, wird in den Verlängerungsszenarien u.a. ein massiver Einsatz von Biokraftstoffen im Verkehr unterstellt. Deren Anteil am Endenergieverbrauch des Verkehrs 2050 wird zu ca 53%  angesetzt (rund 800 PJ/a), im  Referenzszenario dagegen „nur“ zu rund 17%. Hinzu kommt ein Anteil des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien in den Verlängerungsszenarien für 2050 von 13% (im Referenzszenario 6%). Diese enorme Ausweitung des Anbaus von Biomasse erscheint als vollkommen unrealistisch, die Umweltfolgen wären nicht tolerierbar.
 
Diese und weitere erkennbar manipulierte Ansätze führen im Ergebnis dazu, dass die Treibhausgas- Minderungen im Jahr 2050 (gegenüber 1990)  in den Verlängerungsszenarios die Zielvorgabe 85%, dagegen im Referenzszenario nur 62%  erreichen.
 
Die gegenüber dem Referenzszenario ausgewiesenen wirtschaftlichen Effekte der  Laufzeitverlängerung bleiben trotz all dieser Manipulationen marginal. Das hatte zunächst auch Umweltminister Röttgen – im Widerspruch zum Wirtschaftsminister – publik gemacht. So werden für das Bruttoinlandsprodukt, den privaten und staatlichen Verbrauch, Exporte und Importe nur belanglose Unterschiede von weniger als 1% zwischen Verlängerungs- und Referenzszenario  ausgewiesen.  Mehrinvestitionen infolge der Laufzeitverlängerung werden im Zeitraum 2010 – 2050 zu durchschnittlich ebenfalls marginalen 12 Millionen Euro jährlich angegeben. Für die Strompreise ergeben sich nennenswerte Unterschiede nur im Bereich stromintensive Industrie. Als gewichtig kann allenfalls die durchschnittlich um die Größenordnung 100.000 vermehrte Anzahl Beschäftigter gelten. Dieser Effekt wird freilich dominiert durch Gebäudesanierung, was schlicht durch schärfere Sanierungsvorgaben in den Szenarien mit Laufzeitverlängerung erreicht wird.

Es ist barer Unsinn, zu unterstellen, Laufzeitverlängerungen würden zu schärferen, hier sogar zu ganz wesentlich schärferen Maßnahmen hinsichtlich Energieeffizienz und Ausbau erneuerbarer Energien führen. Das ausgewählte Referenzszenario unterstellt nicht nur dies, es fällt auch deutlich zurück hinter die bereits erkennbare, durch neuere Rechtsetzung eingeleitete Entwicklung des Energiesystems. So hatte die Bundesregierung bisher das Ziel gesetzt, die THG-Emissionen bis 2050 um 80 % zu mindern, während im Referenzszenario nur 62% erreicht werden. Diese Verwässerung von Zielen spiegelt sich auch in Details des Referenzszenarios.2 Wenn dennoch diese Szenarien- Ansätze nicht zum Ausweis erheblicher wirtschaftlicher Vorteile der Laufzeitverlängerung führen, dann lässt das den Schluss zu: Laufzeitverlängerungen werden wirtschaftliche Nachteile ergeben.
 
Angesichts der mit Laufzeitverlängerung einhergehenden

  • Gefährdungen der Reaktorsicherheit,
  • Verschärfung des ungelösten Atommüllproblems,
  • Behinderung des Ausbaus der Erneuerbaren Stromerzeugung
  • und Zementierung des Quasimonopols der vier großen Stromversorger

ist also kein Grund mehr für die Laufzeitverlängerung erkennbar, wenn nun auch das Argument, sie erbringe wirtschaftliche Vorteile, nicht ziehe. Sie wird dennoch durchgesetzt werden, da die Schwarzen und Gelben schon immer gegen den rot-grünen Atomausstieg gewettert haben.

 

1. Das ergibt sich aus dem aktuellem Stand der Reststrommengen (s. BSF Stand Ende Juni) bei Annahme einer jährlichen Auslastung von 82% entsprechend dem bisherigen Mittelwert  der Auslastung aller deutschen AKW.

2. So wird beispielsweise der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch 2020  im Referenzszenario mit 33,7% angesetzt, während die Bundesregierung kürzlich (im Aktionsplan Erneuerbare Energien)  38,6 % für erreichbar erklärte und dies der EU- Kommission meldete.

 

Prof. Dr. Klaus Traube ist energiepolitischer Berater des DNR und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Er war verantwortlich für die Entwicklung des schnellen Brüters in Kalklar und wurde danach zu einem scharfen Kritiker der Atomenergie.