USA: Der Abschied von der Atomrenaissance

Luftaufnahmen des Kernkraftwerks Three Mile Island nahe der Stadt Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Im März 1979 ereignete sich hier eine Reaktorunglück.
Foto: Todd MacDonald (Quelle: Flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY 2.0).

14. März 2011
Von Arne Jungjohann
Von Arne Jungjohann

Die Katastrophe im japanischen Atommeiler Fukushima wirft für die Atomkraft in den USA unbequeme Fragen auf. Allen voran in Kalifornien macht man sich jetzt Sorgen. Denn die dortigen vier AKWs stehen in besonders erdbebengefährdeten Gebieten. Die Atomlobby beschwichtigt , dass die Katastrophe in Japan nicht auf die Vereinigten Staaten übertragbar sei. Schließlich seien Erdbeben dieser Größenordnung sehr unwahrscheinlich. Außerdem verfügten US-Atomkraftwerke über ein umfassendes Sicherheitssystem, das eine ähnliche Katastrophe verhindern würde. Doch lange dürfte sich diese Argumentation nicht halten lassen.

In den USA bedienen aktuell 104 Reaktoren rund 20 Prozent der landesweiten Stromnachfrage. Dank der vielfältigen Werbekampagnen und intensiver Lobby-Arbeit der letzten Jahre ist die Atomkraft in der Öffentlichkeit weithin akzeptiert. Da die Atomwirtschaft eine der wenigen Stimmen aus der Industrie ist, die mehr Klimaschutz fordert, herrscht mit weiten Teilen der Umweltbewegung ein Waffenstillstand. Präsident Obama will neue Atomkraftwerke in Milliardenhöhe subventionieren. Ginge es nach den Republikanern, würden gar 100 weitere AKWs gebaut.

Doch schon länger steht die politisch gewollte Renaissance der Atomkraft auf finanziell wackligen Beinen. Explodierende Kosten und billiges Erdgas machen der Industrie zu schaffen. Wall Street sind die Neubaupläne schon lange zu teuer und zu risikioreich. Der Vorfall in Fukushima dürfte weitere Hoffnungen der Atomindustrie auf neue Milliarden-Subventionen der öffentlichen Hand begraben. Jetzt rufen erste Abgeordnete und Atomexperten nach einem Moratorium für Neubauten in erdbebengefährdeten Gebieten und fordern eine Überprüfung der Sicherheitspläne im Fall von Naturkatastrophen. Dass 23 der US-Reaktoren der Baureihe in Fukushima entsprechen, dürfte weitere Fragen nach der Sicherheit im Unglücksfall aufkommen lassen.

In diesem Zusammenhang wird die Nuclear Regulatory Commission (NRC) ins Zentrum der Diskussion rücken. Sie ist die Bundesbehörde, die die Einhaltung von Sicherheitsstandards überwacht und über Laufzeitverlängerungen der Kraftwerke entscheidet. Bislang hat die NRC alle Anträge durchgewunken: 59 Reaktoren haben die Zusage für eine längere Laufzeit von  40 auf 60 Jahre in der Tasche, für 20 weitere Anlagen sind Anträge eingereicht. Die Genehmigungspraxis ist dabei äußerst lasch. Peinlich für die NRC: Bei einer internen Untersuchung im September 2007 kam heraus, dass in 70 Prozent aller Zusagen die Formulierung aus den Anträgen der Industrie wortgleich in die Zulassung der Behörde kopiert wurden. Atomexperten wie Michele Boyd von den Physicians for Social Responsibility gehen davon aus, dass die Altanlagen der 60er und 70er Jahre als Neubau heute nicht mehr genehmigungsfähg wären. Dennoch wird eine Verlängerung der Laufzeiten genehmigt.

Fukushima weckt in den USA Erinnerungen. Im März 1979 wurde eine Explosion im AKW Three Miles Island durch Ablassen eines explosiven Gasgemisches gerade noch verhindert. Ursache waren Konstruktionsmängel und menschliches Versagen. Tote gab es zum Glück keine. Doch war das Reaktorunglück in Harrisburg ein Warnschuss und das zumindest vorübergehende Ende der großspurigen Pläne der US-Atomindustrie. Nicht unwahrscheinlich, dass sich die USA mit Fukushima nun endgültig von den Gedankenspielen einer Atomrenaissance verabschiedet.

Arne Jungjohann ist Politikwissenschaftler und leitet das Umweltprogramm der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C.

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