Interview: Zur rechtlichen Zulässigkeit des Atomausstiegs

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In der Schaltzentrale des Kernkraftwerks Lubmin werden nur noch Fotos von Touristen gemacht. 1995 wurde der letzte Reaktorblock stillgelegt und das Kraftwerk rückgebaut, was im Jahr 2012 abgeschlossen sein soll. So reibungslos wird jedoch die Abschaltung der noch in Deutschland vorhandenen Kernkraftwerke wohl nicht von Statten gehen. Die Energiekonzerne fordern Entschädigungen und klagen gegen Teile der Regierungsbeschlüsse, wie die Brennelementsteuer. Foto: CmdrCord, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

14. Juni 2011
Dorothee Landgrebe
Heinrich-Böll-Stiftung: Der größte Energiekonzern E.on hat bereits gegen die Brennelementesteuer geklagt, der Stromkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) könnte sich anschliessen. Die Brennelementsteuer wurde im letzten Herbst mit dem Argument eingeführt, man wolle auf die Weise Gewinne aus der Laufzeitverlängerung zu Gunsten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der Sanierung der Schachtanlage Asse abschöpfen. Nach Meinung der Konzerne ist sie eine rechtswidrige Sonderbelastung - jetzt, da den Konzernen Milliardeneinnahmen aus der Laufzeitverlängerung entgehen. Stimmen Sie der Auffassung der Konzerne zu?

Remo Klinger: Die Klage der Energieversorger gegen die Beibehaltung der Brennelementsteuer hat keine Erfolgsaussichten. Steuergesetze sind immer mit Belastungen verbunden, die von den Betroffenen dann als „Sonderbelastungen“ bezeichnet werden; der Gesetzgeber hat hierfür aber einen sehr weiten Spielraum. Im Übrigen ist es wirklich grenzwertig, wenn sich die Energieversorger nicht wenigstens teilweise an den Milliardenkosten für die Sanierung des Endlagers Asse beteiligen wollen, nachdem sie die finanziellen Schäden und gesundheitlichen Risiken der Asseanlage über Jahrzehnte hinweg mit verursacht haben.

Eon und RWE fordern zudem eine Entschädigung für den Atomausstieg. Sie argumentieren, dass es mit der sofortigen Stilllegung von acht Anlagen und dem schrittweisen Betriebsende der verbleibenden neun wahrscheinlich nicht möglich sein werde, die von Rot-Grün seinerzeit beschlossenen Strommengen vollständig zu produzieren. Muss der deutsche Steuerzahler den Konzernen zahlen?

Auch für ein Ausstiegsgesetz besteht ein weitgehender rechtlicher Spielraum des Gesetzgebers. Insbesondere haben die Energieversorger keinen weitergehenden Bestandsschutz und keinen Anspruch darauf, dass die in der Vereinbarung mit der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2000 angegebenen Strommengen wirklich produziert werden dürfen. Im Übrigen ist auch die Prämisse der Energieversorger falsch: Auf der Grundlage des Energiekonsenses 2000 hätte ältere Reaktoren bereits seit dem Jahre 2007 sukzessive abgeschaltet werden müssen. Die Energieversorger haben dies dadurch zu vereiteln versucht, dass sie kurz vor Ablauf der Reststrommengen in den älteren Reaktoren die Stromproduktion beendet haben, in der Hoffnung auf bessere Zeiten unter einer schwarz-gelben Regierung. Dass dieses Kalkül gescheitert ist, gehört zu den erfreulichen Nebenaspekten des nunmehr beschlossenen Atomausstiegs. Eine Klage der Energieversorger auf Entschädigung hat daher ebenfalls keine Erfolgsaussichten.

Was sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Atomausstieg?

Das Gesetz greift in den Bestand von Betriebsgenehmigungen ein. Die unterschiedlichen Behandlungen der einzelnen Kraftwerksbetreiber muss begründet werden und darf nicht willkürlich geregelt werden. Im Übrigen ist der Gesetzgeber weitgehend frei.

Genügen die Beschlüsse aus Ihrer Sicht diesen Anforderungen?

Ob der aktuelle Gesetzentwurf diese Voraussetzungen erfüllt, ist zweifelhaft. Die endgültige Stilllegung der bereits vorübergehend stillgelegten acht Reaktoren ist wegen des Alters dieser Reaktoren und der Störanfälligkeit des Reaktors Krümmel gut begründet. Auch das „gestufte“ Stilllegungsverfahren in den nächsten zehn Jahren ist zulässig. Es fehlt aber eine nachvollziehbare Begründung für die Auswahl und die Reihenfolge der Reaktoren, die in dem gestuften Verfahren vorzeitig die Betriebsgenehmigung verlieren.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass bereits die letzte Änderung des Atomgesetzes, mit der die Restlaufzeiten langfristig verlängert wurden, gesetzestechnisch und handwerklich dilettantisch war. Dieses Gesetz hätte daher auch vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand gehabt. Die gesetzestechnischen Mängel des aktuellen Entwurfs setzen den Bund einem erheblichen prozessualen Risiko aus, das ohne weiteres vermeidbar wäre. Im Ergebnis besteht die Gefahr, dass sich die Bundesregierung diese Risiken wieder durch milliardenhohe finanzielle oder steuerliche Zugeständnisse an die Energieversorger abkaufen lassen muss. Auch für das aktuelle Gesetz gilt mithin, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, ein handwerklich sauberes, verfassungskonformes Gesetz vorzulegen.

Das Interview führte Dorothee Landgrebe

Dr. Remo Klinger ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und auf Umwelt- und Planungsrecht spezialisiert. Er befasst sich seit Jahren mit Prozessen gegen kerntechnische Anlagen.

Übersicht der Interviews zur beschleunigten Energiewende

Am 6. Juni hat das Kabinett die Beschlüsse für eine beschleunigte Energiewende vorgelegt. Nach dem aktuellen Fahrplan sollen die zugrunde liegenden sieben Gesetzesentwürfe bis zur Sommerpause am 8. Juli durch den Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Am Samstag, den 25 Juni entscheiden Bündnis 90/die Grünen auf einem Sonderparteitag, ob sie den vorliegenden Beschlüssen zustimmen werden.

Wir werden in den nächsten Wochen Experten, Politiker und Verbandsvertreter zu diesem umfangreichen Gesetzespaket befragen, um die Folgen für die Wirtschaft, die Umwelt, die Bürger/innen und die Beschäftigten auszuloten.

Dossier

Mythos Atomkraft

 Nach dem Atomunfall in Japan ist die Atomdebatte wieder aufgeflammt. Das Dossier liefert atomkritisches Know-How zu den großen Streitfragen um die Atomenergie.

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