Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Arabisch-iranische Filmtage 2008: „Ich will Heimaterde bearbeiten“

Lesedauer: 5 Minuten

Der Filmemacher Massoud Bakhshi im Gespräch

31. März 2008

„Well played“ - 3. Arabisch-iranische Filmtage

Simone Schmollack: Sie haben einmal gesagt, dass im Iran das Kino durch das Leben geschaffen wird, dass Iraner keine Geschichten erfinden müssen, weil die Straßen voll davon seien. Sind Sie deshalb Dokumentarfilmer geworden?

Massoud Bakhshi: Ich glaube immer noch an diesen Satz. Der Alltag im Iran ist voller dramatischer Wirklichkeiten und Widersprüche. Für junge Filmemacher ist das Kino eine gute Art, diesen Alltag zu durchdringen und zu erklären. Aber auch ein Weg sich selbst zu finden. Trotzdem sollte ein Film immer ein Film bleiben, ob nun als Dokumentation oder als Fiktion.

Ist es in einem Land wie Iran nicht leichter, fiktive Spielfilme zu drehen? Allein, um der Zensur zu entgehen.

Jeder Film, egal, ob Dokumentar- oder Spielfilm, setzt sich ungewollt dieser Politik aus, jeder Filmemacher wird mit ihr konfrontiert. Die Kunst dabei ist, einen Film so zu konzipieren und so zu drehen, dass er sich von der Politik distanziert, ohne unpolitisch zu sein, und es dadurch schafft, über seine Zeit hinaus lebendig zu bleiben.

Bei den Dreharbeiten zu Ihrem letzten Film „Tehran Has No More Pomegranates“ waren Sie der Zensurbehörde Ihres Landes gnadenlos ausgeliefert. Die verbot Ihnen teilweise zu zeigen, wie sich die iranische Gesellschaft verändert hat.

Für Außenstehende stellt sich das immer anders dar, als wir es erleben. Die westliche Welt sieht immer nur die Probleme der Gegenwart. Darüber vergisst sie den Blick in unsere Geschichte und den Blick auf unsere Kultur. Die ist sehr alt und sehr reich und hat eine eigene Komplexität. Meine Filme handeln immer von dieser Komplexität, das ist mein Thema.

Haben Sie und Ihre Protagonisten während der Dreharbeiten oder danach Repressalien erlitten?

Bisher noch nicht. Wir haben aber auch keine Auseinandersetzungen mit Personen geführt, sondern mit einer Kultur. Dafür muss niemand Repressalien fürchten.

Andere iranische Filmemacher wie die Familie Makhmalbaf drehen häufig im Ausland, weil sie viele Stoffe im eigenen Land nicht umsetzen können. Wie ist das bei Ihnen?

Ich kann mir nicht vorstellen, einen Film über den Iran im Ausland zu drehen. Künstler, die das können, ob sie einen Film machen oder ein Buch schreiben, sind in meinen Augen Genies. Thomas Mann war so einer und Hermann Hesse.
Ich will kulturelle Arbeit im eigenen Land leisten, im sprichwörtlichen Sinne meine Heimaterde bearbeiten.

Wie wichtig sind Ihnen Historie und Religion?

Geschichte und Islam sind für die junge Generation im Iran genauso wichtig wie moderne Kultur. Die jungen Menschen beschäftigen sich viel mit diesen beiden Strängen. Der Westen sieht leider nur, dass die iranische Identität stark mit dem Islam verwoben ist. Aber der Islam ist nicht allein eine Religion, sondern ein kulturelles Phänomen. Das zu ergründen, daran sollte die jetzt Welt arbeiten.

Und das passiert nicht?

Westeuropa und die USA haben auf den Iran leider einen eingeschränkten Blick und eine fertige Theorie. Wenn sie sich nicht öffnen, werden sie nie mehr erfahren als das, was sie glauben zu wissen.

Aber was ist mit den Menschenrechten, die im Iran mit Füßen getreten werden?

Es kommt oft zu Missverständnissen. Im Westen wird eine iranische Frau sofort gleichgesetzt mit einer kuwaitischen Frau, nur weil beide islamisch sind. Aber das ist ein großer Irrtum. Zwischen beiden Frauen gibt es einen Unterschied so groß wie ein Ozean. Die iranische Frau ist viel moderner und weltoffener. Keine Nation in der islamischen Welt hat eine so große geistige und seelische Freiheit wie die im Iran. Wenn ein Volk den Islam modernisieren kann, dann die Iraner.

Der Westen hat also Schuld?

Der Westen ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er das Wichtigste im Leben vergisst: die zwischenmenschlichen Dinge. So wie in einer Liebesbeziehung kann man auch ein Volk mit nur einem Wort verletzen. Wer geliebt werden will, muss verzichten können, muss Opfer bringen. Freunde zu finden ist schwierig, Feinde findest du an jeder Ecke.

Wer muss sich denn nun auf wen zu bewegen?

Es geht vor allem darum, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Sonst werden wir uns immer falsch verstehen.

Zurück zu Ihren Filmen. Sie beschäftigen sich immer mit dem Alltag im Iran, mit einer Ausnahme: „Hi, Tokyo“ wagt den Sprung in eine völlig andere Kultur.

Ich habe Musik aus dem 18. Jahrhundert auf Bilder des heutigen Tokio gesetzt, eine der modernsten Städte der Welt. Japan ist für mich ein Rätsel. Dort kommen Tradition und Moderne zusammen und versuchen, die Balance zu halten.

Dieses Bild haben Sie ja auch vom Iran?

Ja. Auch mein Heimatland versucht, gleichzeitig eine alte und eine neue Zivilisation zu halten. Mit einem Unterschied. Wir Iraner sind ständig im Konflikt mit uns: Was sollen wir aus unserer Vergangenheit behalten?

2004 haben Sie am Talent Campus der Berlinale teilgenommen. Damals haben Sie sinngemäß gesagt, Sie wollen das Kino neu erfinden. Ist Ihnen das gelungen?

Es war eine wunderbare Zeit damals, ich habe das Seminar von Mike Leigh …

… dem großen britischen Underclass-Filmer …

… besucht, obwohl ich Dokumentarfilmer bin. Mike Leigh hat über die Führung von Schauspielern referiert. Das war großartig. In den vergangenen Wochen habe ich oft in meinem Mitschriften gelesen und gedacht, wie Recht er doch hat. Ich arbeite nämlich gerade an meinem ersten Spielfilm.

Worum geht es?

Das wird nicht verraten. Aber so viel kann ich sagen, ich möchte ihn zur Berlinale 2009 einreichen.


Massoud Bakhshi, geboren 1972 in Teheran, ist Filmemacher und  Landwirtschaftsingenieur. Er hat in Italien Filmregie und in Frankreich Kulturfinanzierung studiert. Er arbeitet als Filmkritiker, Drehbuchautor und Produzent. Seine Filme wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Avini-Preis 2007 für den besten Dokumentarfilm (Iran).

Interview: Simone Schmollack