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A. L. Kennedy: "The Blue Book"

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A.L. Kennedy

Die Schriftstellerin A. L. Kennedy wurde 1965 im schottischen Dundee geboren. Sie studierte Theaterwissenschaft und Schauspiel, übte sich in diversen Gelegenheitsjobs, darunter als Puppenspielerin für Kinder. 1991 debütierte sie mit einer Sammlung von Kurzgeschichten, zwei Jahre später erschien ihr erster Roman Einladung zum Tanz.


Kennedy arbeitet für Theater und Fernsehen, schreibt sowohl Drehbücher als auch im Dokumentarbereich, unterrichtet Kreatives Schreiben an der University of Warwick , verfasst Kolumnen u.a. für den Guardian und tritt regelmäßig als Standup-Comedian auf. Gleichzeitig zu diesen vielfältigen Aktivitäten entsteht ungefähr im Zweijahrestakt ein neues Buch, mal eine Sammlung von Erzählungen, mal ein Roman. Für ihre Werke wurde sie mit zahlreichen internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Zu ihren im deutschen Sprachraum prominentesten Titeln zählen Stierkampf (erschienen 1999/2001), Alles was du brauchst (1999/2002), Paradies 2004/2005 und Day (2007). Im Jahr 2011 erschien ihr Roman The Blue Book, dessen deutsche Übersetzung Das blaue Buch im Herbst 2012 im Hanser Verlag erscheint.


Frau Kennedy, wir machen mit unseren Gästen gern eine Art Frage-und-Antwort-Spiel – eine Check-List zum Thema Schreiben. Okay?

Kennedy: Okay.

Fangen wir an: Sind Sie eine disziplinierte Schreiberin oder warten Sie, bis die Lust Sie überfällt?

Kennedy: Ich bin Schottin, ich bin Calvinistin. Das sagt eigentlich schon alles. Und ich arbeite zu sonderbaren Zeiten, denn ich bin ein Nachtmensch. Ich arbeite lang, arbeite viel, bin viel krank, man sieht ja auch, ich bin recht dick. (Anm. d. Fragenden: Ironie. Siehe Fotos!)  Das kommt davon, dass ich nur Schokolade esse. Eine vorzügliche Ernährungsweise für eine Schriftstellerin. Für mich gibt’s nur Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit.

An welchem Ort oder an welchen Orten schreiben Sie?

Kennedy: Eigentlich habe ich ein Arbeitszimmer. Aber gerade ziehe ich um, von Glasgow nach London. Darum habe ich momentan kein Arbeitszimmer. Mein Arbeitszimmer war rot, sehr sehr rot. Wenn man jetzt die Augen zumacht und gegen das Licht schaut, ungefähr so rot war es. Ich mochte das, auch wenn es sonst niemand mochte. Leider ist die Decke meines Arbeitszimmers zusammengebrochen, und zwar gerade, als ich das Haus verkaufen wollte. Im Moment habe ich also fast kein Haus, kein Arbeitszimmer, darum schreibe ich in Hotelzimmern, in Zügen, an allen möglichen Orten.

Worauf können Sie beim Schreiben nicht verzichten – außer auf Schokolade?

Kennedy: Ich glaube, ich tue sonst fast gar nichts. Ich könnte nicht nicht-schreiben. Dann gibt es auch einen Mann meiner Wahl, ohne den ginge es auch nicht. Also diese beiden Dinge: Das Schreiben und dieser nette Gentleman, auf die könnte ich nicht verzichten.

Hhm, unsere Frage lautete eigentlich, was Sie zum Schreiben brauchen…

Kennedy:
Ach so, zum Schreiben? Na, das ist dann eigentlich auch dasselbe. Ich weiß übrigens nicht, ob das deutsche Wort „nett“ so ganz treffend ist für diesen Freund. Nett klingt etwas langweilig. Na ja. Jedenfalls tue ich eigentlich nichts außer schreiben. Und weil ich viel unterwegs bin, und er auch viel unterwegs ist, schreibe ich ihm. Gelegentlich schreibt er zurück. Winzige Nachrichten. Männer schreiben ja nicht. Also noch mal: Ich tue nichts außer schreiben. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt.

Gibt es etwas, das Sie beim Schreiben keinesfalls ertragen können?

Kennedy: schwierig… nein, eigentlich nicht. Oder meinen Sie jetzt, dass mich jemand anschubst zum Beispiel? Stimmt, das könnte ich nicht so gut leiden. Aber weil man die Aufmerksamkeit beim Schreiben so sehr nach Innen richtet, ist das Drumherum nicht so wichtig. Da kann ein Feuer ausbrechen, Züge können entgleisen, da kann viel passieren, was man gar nicht wahrnimmt. Darum sind Schriftsteller manchmal so schlechte Eltern, oder schlechte Partner. Wenn einer müde ist, oder traurig, krank, genervt – das macht einem nicht so viel aus, weil man einfach mit der Aufmerksamkeit woanders hingeht. Wenn die Umgebung laut ist, das ist natürlich schlecht. Aber dafür gibt es ja Ohrstöpsel. Das Einzige, was ich überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn jemand hinter mir steht. Oder im Zug, wenn jemand neben mir sitzt und rüberschaut, und ich versuche gerade etwas zu schreiben, wo sich Leute näherkommen, sie sind nackt, es geht heftig zur Sache, und dann guckt jemand auf meinen Bildschirm. Neulich hatte mir jemand eine DVD mit der Blechtrommel gegeben, und ich dachte, schön, dann schaue ich mir im Zug einen wertvollen Film der europäischen Kultur an. Und plötzlich, im Zug nach London, fiel mir auf, wenn jetzt jemand rüberschaut, dann sieht das teilweise aus wie Kinderpornografie, mit dem kleinen Jungen und der großen Frau. - Ja, wenn jemand hinter mir steht und mir über die Schulter schaut, das mag ich nicht.

Was ist für Sie der schönste Moment am Schreiben: Das Anfangen…

Kennedy (unterbricht): Schrecklich! Alle Momente des Schreibens sind schrecklich.

Oh. Gut, dann lassen Sie uns zusammenfassen: Anfangen ist schrecklich, Weitermachen ist schrecklich, und wenn Sie das Manuskript abgeben, fühlen Sie sich auch schrecklich?

Kennedy: Ja, genau. Nein, alles am Schreiben ist wunderschön und alles schrecklich zugleich. Es ist ein wundervoller Beruf. Es ist wundervoll, das zu tun, was dein Herz dir zu tun aufträgt. Aber es ist eben auch schrecklich, weil du das Einzige tust, was dein Herz dir aufträgt, darum musst du es sehr gut machen! Sonst bricht dir ja das Herz! Einen Roman zu beginnen jagt einem Angst ein, weil es der Anfang ist. Die Mitte ist schwierig, weil man schon müde ist, und der Anfang liegt hinter einem, es ist nicht mehr so aufregend, aber man ist noch nicht am Ende angelangt. Und wird da vielleicht auch nie ankommen! Und das Ende ist schlimm – weil es eben das Ende ist. Alles muss stimmen, alles muss perfekt zusammenpassen. Und dann muss man sein Buch jemand anderem geben, schrecklich! Es ist ja nicht so, wie wenn man sein Kind jemand Anderem vorstellt. Kindern vergibt man alles, weil sie süß sind. Nein, es ist eher so, wie wenn man seinen Freund jemandem vorstellt, der Familie. Meine Bücher sind nicht wie ein süßes kleines Baby, meine Bücher sind eher wie ein schrankartiger Kerl, mit dem niemand gerechnet hat. Und trotzdem will man, dass die anderen ihn mögen. Weil er ja viel mit einem zu tun hat. In diesem Fall, weil man ihn sogar selber gebaut hat, aus lauter kleinen Stücken. Es ist ein bisschen so, als hätte man sein eigenes Frankenstein-Monster gebaut und geht zu seiner Mutter und sagt: Das hier ist mein Freund! Du musst ihn lieben! So wie ich! Dabei hängen ihm die Fetzen nur so runter. Und darum ist es also schrecklich, aber gleichzeitig eben wunderschön. Aber das ist ja bei allen wichtigen Dingen so, sie sind schrecklich und wunderschön.

Kommt am Ende der Roman heraus, den Sie geplant hatten, oder sind Sie selbst vom Ergebnis überrascht?

Kennedy: Irgendwie beides. Bei manchen Romanen  ist einem vollkommen klar, wie sie enden müssen, nur hat man überhaupt keine Ahnung, wie man da hingelangen soll. Ich lege meine Planungen normalerweise auf drei Jahre an, es gibt da so Fixpunkte, die ich ansteuere, aber ich weiß noch nicht, was dazwischen passiert. Manchmal denke ich vorher, es wird in eine bestimmte Richtung gehen, aber dann kommt es ganz anders. Was gut ist, weil dann sagt einem der Roman, wo er hin will. Und wegen dieser Drei-Jahres-Planung kann es eigentlich auch gar nicht mehr der Roman sein, den ich geplant hatte, es ist mehr so, dass man auf jemanden hinschreibt, und dann trifft man ihn. Und sobald man ihn trifft, ist alles anders. Ich kann vorher alle Räume entwerfen, und alle Figuren, und dann lasse ich die Figuren in die Räume, und sie begegnen einander, und dann wird alles ganz chaotisch – so muss es auch sein! Und dann muss ich umschreiben und flicken. Insofern ist es immer der Roman, den ich geplant hatte, und einer, der mich überrascht. Wenn er mich nicht überraschen würde, wäre das ein schlechtes Zeichen, dann wäre er tot. Dann wäre der Freund, den ich mir zusammengebastelt habe, tot, und ich könnte mich nicht auf die Zinne meiner Burg stellen und laut rufen: Er lebt! Das will man doch. - Entschuldigung, ich schaue wohl zu viele schlechte Filme.

Sie haben einmal gesagt, irgendwann während des Jahres 1986 hätten Sie sich entschieden, Schriftstellerin zu werden und sich dem vollkommen zu widmen, es also nicht nur auszuprobieren oder sich langsam anzuschleichen, sondern zu versuchen, so gut zu schreiben, wie Sie können. – Können Sie uns erklären, wie es zu dieser Entscheidung kam?

Kennedy: Nein, eigentlich nicht. Das war eine verrückte Entscheidung. Obwohl, eine Freundin meiner Mutter hat mir neulich geschrieben, als ich mit der Uni fertig war, habe sie mich gefragt, was ich denn tun wolle, und ich hätte sofort geantwortet: Ich werde schreiben. Das fand sie bewundernswert, weil ich so entschlossen und voller Enthusiasmus war. – Nur kann ich mich überhaupt nicht erinnern, diese Frau je getroffen zu haben. Ich wusste nicht, was ich tun würde. Ich wusste allerdings, was ich gerne tat, und was ich tun könnte; und zwar könnte ich anfangen, eine Kurzgeschichte zu schreiben, und sie fertigstellen. Das dauerte drei Monate. Es wäre mir auch egal gewesen, wenn es eine ganz schlechte Kurzgeschichte gewesen wäre, die nur noch mehr zum Elend der Welt beiträgt. Die Entscheidung war gefallen, bevor ich davon wusste. Ich hasse diesen Vergleich, aber es gibt keinen passenderen: Es ist, wie wenn man sich verliebt. Es ist eins dieser Dinge, die passieren, ohne dass du es merkst, du merkst es erst, wenn es geschehen ist, und du weißt, dein Leben, wie du es dir bisher vorgestellt hast, ist vorbei. Du merkst plötzlich: Ach so, da geht’s lang, okay. Und dann folgst du dem entweder, oder du versuchst, dich dagegen zu wehren. In der Schule hatte ich eine Englischlehrerin, die großartig war, in dem Sinne, dass sie furchtbar schlecht war. Sie hasste das Unterrichten. Sie hatte immer etwas Anderes tun wollen. Sie hasste jede Minute, die sie unterrichten musste. Sie war nicht unsympathisch, sie war ein guter Mensch, sie war nur einfach absurd unglücklich. Und das Gute war: Immer wenn ich sie sah, nahm ich mir vor, ich würde nie etwas tun, was ich nicht tun will, denn dann passiert genau das. Man stirbt. Als ich Schriftstellerin wurde, ging es mir also darum, nicht zu sterben. Sondern mich zu verlieben. In jemanden, an dem man immer weiter herumbauen muss. - Ist das nicht ganz schön verrückt?

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Das Interview führte Hilal Sezgin, freie Journalistin