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Historischer Regierungswechsel in El Salvador

Änhänger der FMLN auf dem Weg zum Wahllokal. Foto: Lee Shaver - Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

17. März 2009
Von Ingrid Spiller
Von Ingrid Spiller

„Ja, wir konnten!“ skandierten überglückliche Anhänger der Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) auf den Straßen San Salvadors, nachdem der Wahlsieg ihres Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes feststand. Etwa zwei Prozentpunkte beträgt der Vorsprung des ehemaligen Journalisten auf seinen Gegenkandidaten Rodrigo Ávíla von der rechtsgerichteten Regierungspartei ARENA.

Es ist ein neues Kapitel in der leidvollen Geschichte des mittelamerikanischen Landes, das seit 20 Jahren von der rechtsgerichteten ARENA-Partei regiert wird. Nach Ende des Bürgerkrieges 1992 war es ARENA, die von Roberto D’Aubuisson, dem berüchtigten Organisator der Todesschwadronen gegründet wurde, gelungen, in vier aufeinander folgenden Wahlen die Präsidentschaft zu gewinnen.

Von ARENA zu FMLN

Mit dem 15. März 2009 wurde dies Geschichte. Nach mehr als einem Jahr Wahlkampf, der vor allem in den letzten Wochen zu einer Schlammschlacht mutierte, entschied sich die Mehrheit für den Wechsel. Allen Angstkampagnen zum Trotz, die ARENA mit massiver Unterstützung der großen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender des Landes geführt hatte, gingen gut 51 Prozent der abgegebenen Stimmen an Mauricio Funes. Offensichtlich hatten die von rechter Seite aufgebauten Szenarien, nach einem Sieg der FMLN werde El Salvador von Terroristen regiert, unter den Einfluss von Hugo Chávez und Fidel Castro geraten und in Gewalt und Armut versinken, nicht ausgereicht, den Leuten die Hoffnung auf den „sicheren Wandel“, so der Slogan der FMLN, zu nehmen. Doch auch die FMLN hat den politischen Gegner nicht mit Samthandschuhen angefasst.

Der eigentliche Gewinner dieses Tages sind die Bürgerinnen und Bürger El Salvadors. Die Wahlen verliefen insgesamt friedlich und sauber, was nicht nur ein Verdienst der Wählerschaft, sondern auch der vielen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer ist. Es war beeindruckend zu sehen, wie ernst die meisten diesen Wahlgang nahmen. Unter den paritätisch von ihren Parteien nominierten Wahlhelfern herrschte in der Regel große Gelassenheit, und auch für die meisten der strittigen Wahlzettel konnte beim Auszählen eine schnelle und einvernehmliche Lösung gefunden werden.
Anders als der aggressive Wahlkampf hatte vermuten lassen, blieben Zusammenstöße und Auseinandersetzungen aus; dem Krieg der Worte folgte kein Krieg der Taten. Die Parteibasis scheint manchmal klüger zu sein als viele ihrer Funktionäre.

Sieg durch hohe Wahlbeteiligung

Der Sieg der FMLN ist wohl vor allem auf die hohe Wahlbeteiligung zurückzuführen. Während ARENA in etwa auf die gleiche Stimmenzahl erreichet wie bei der letzten Wahl, konnten Mauricio Funes und die FMLN sehr viel mehr Wählerinnen und Wähler an die Urnen bringen. Am Wahltag war das schon daran zu erkennen, dass nicht nur viele junge, sondern auch alte Menschen, die sich nur mit Unterstützung ihrer Angehörigen fortbewegen konnten, zu den Wahllokalen kamen.
 
So eindeutig das Wahlergebnis ausgefallen ist, so deutlich zeigt es die starke Polarisierung im Land. Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde deshalb die Rede des künftigen Präsidenten aufgenommen. Er schlug sehr versöhnliche Töne an und rief zur nationalen Einheit auf, insbesondere in diesen Zeiten einer globalen Wirtschaftskrise. Er werde Privateigentum, Meinungs- und Religionsfreiheit respektieren und eine Politik für alle machen, insbesondere auch für jene Teile der Bevölkerung, die außen vor standen. Er nannte das Wahlergebnis einen neuen Friedens- und Versöhnungsvertrag und versicherte ARENA, dass er sie als Oppositionspartei ernst nehmen werde.

Moderate Töne

Mit dieser Rede gab er - zumindest für die nähere Zukunft - den Ton an für den Umgang mit dem politischen Gegner. Der unterlegene Wahlkampfgegner Ávila schlug am Wahlabend moderate Töne an, als er seine Niederlage eingestehen musste und eine harte, konstruktive parlamentarische Opposition ankündigte. Der amtierende Präsident Saca ließ sich bis zum Folgetag Zeit, auf den Wahlausgang zu reagieren. Doch auch er zeigte sich schließlich staatsmännisch, lobte die Rede seines Nachfolgers als angemessen und versprach eine faire Machtübergabe an den neuen Präsidenten.

Es ist zu früh, die künftige Politik der neuen Regierung zu analysieren, zumal die Zusammensetzung des Kabinetts noch nicht feststeht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass große Teile der Partei, die aus der ehemaligen Guerillabewegung FMLN entstanden ist, wesentlich radikalere und orthodoxere Positionen vertreten als ihr Kandidat, der erst vor sieben Monaten Parteimitglied geworden war. Wie stark das innerparteiliche Ringen sein wird und wer sich letztlich durchsetzen kann, muss sich zeigen. Das Wahlprogramm, das in einem beispielhaften Konsultationsprozess mit der Zivilgesellschaft erarbeitet wurde, weist stark sozialdemokratische Züge auf. Nach der Wahlniederlage der FMLN-Bürgermeisterin von San Salvador, Violeta Menjivar, im Januar 2009 hatte die Parteispitze Mauricio Funes größeren politischen Spielraum gegeben, eine Entscheidung, die durch den Wahlsieg bestätigt wurde.

Reformen Marke Lula ?

Wie sich El Salvador außenpolitisch orientieren wird, ist noch nicht eindeutig. Allerdings ist bekannt, dass Funes dem brasilianischen Präsidenten Lula nahe steht. Funes' Frau, Wanda Pignato, ist mit Lula befreundet, und auch einige Berater des neuen Präsidenten stammen aus Brasilien.

Die Herausforderungen für Funes und die FMLN sind riesig, die Erwartungen nahezu unerfüllbar: Armut und Arbeitslosigkeit, eine der höchsten Migrationsraten Lateinamerikas, Kriminalität und Gewalt, die berüchtigten Jugendbanden (Maras) sowie eine mehrheitlich stramm rechts orientierte Unternehmerschaft, die das Land wahrscheinlich wirtschaftlich lahm legen könnte.
Unabhängig davon, in welchem Ausmaß diese Probleme gelöst werden können, ein Erfolg ist schon zu verzeichnen: El Salvador hat einen wichtigen Schritt auf dem Weg dahin gemacht, seine Demokratie zu konsolidieren.