Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Die Multinationalen Unternehmen werden für die Epidemie belohnt

Die Autorin Silvia Ribeiro ist Forscherin der ETC-Gruppe. Der Artikel erschien zunächst im spanischen Original auf www.boell-latinoamerica.org.

22. Mai 2009
Von Silvia Ribeiro
Von Silvia Ribeiro

Trotz der Manipulation von Information durch Behörden und Industrie ist es offensichtlich, dass das aktuelle Virus der Schweinegrippe (jetzt aseptisch Influenzavirus A/H1N1 genannt) seinen Ursprung in der industriellen Tierzucht hat. Die Behörden kannten die Gefahr der Pandemie, aber sie maßen den Warnungen von wissenschaftlichen Institutionen und sozialen Organisationen keine Bedeutung bei. Sie wollten den Interessen der großen agrar- und tierwirtschaftlichen Nahrungsindustrie und denen der transnationalen pharmazeutischen und biotechnologischen Großunternehmen nicht entgegen wirken, die mit den Krankheiten Profit machen.

Dafür sind diese fragmentierten Herangehensweisen nützlich, die die Ursachen des Problems nicht in Frage stellen: Notmaßnahmen werden ergriffen, wenn die Toten und Erkrankten nicht übersehen werden können. Gleichzeitig wird behauptet, dass sich die Krise durch noch mehr von den multinationalen Konzernen kontrollierte Technologie lösen lasse. Wenn es neue Viren gibt, werden neue Impfstoffe entwickelt – patentiert und verkauft durch die Unternehmen. Auch wenn ein Impfstoff gegen den jüngsten Virus gefunden werden sollte, die industrielle Tierzucht bleibt weiter eine Zeitbombe für die Entstehung anderer neuer Viren.

Der Vorgänger des Schweinegrippevirus, das sich heute durch die Welt verbreitet, wurde in den Schweinemastfarmen der USA schon 1998 festgestellt. Es stammte aus der Familie der H1N1-Viren, Verursacher der Grippenepidemie von 1918. 1998 vermischte es sich mit Segmenten der Vogel- und Menschengrippe sowie mit anderen Stämmen der Schweinegrippe, eine dreifache Kombination, die zuvor nie registriert worden war. Dies alarmierte die Forscher wegen des Potenzials weiterer Mutationen, z.B. der Verwandlung in eine Menschengrippe und/oder eine viel pathogenere Grippe.

Schon 1999 war dieses Virus bei 20,5 Prozent der industriellen Schweine in 23 Staaten der USA präsent, wie die Publikation Journal of Virology in jenem Jahr berichtete. Mehrere wissenschaftliche Autoren und Publikationen warnten in den Folgejahren, dass diese Viren sich in den industriellen Schweinezuchtanlagen ständig neu kombinierten, dort, wo viele verschiedene Stämme im Umlauf waren, die sich dann über die langen nationalen und internationalen Transporte von Tieren und Personen, die mit den Tieren in Kontakt standen, verbreiteten. Sowohl Tiere als auch Menschen können Virusträger sein, auch wenn die Krankheit nicht ausbricht. Parallel dazu kombinierten sich auch die menschlichen Grippenstämme neu, ebenso wie die der Vogelgrippe – mit dem Ergebnis z.B. der „berühmten“ Vogelgrippe H5N1, die ebenfalls durch industrielle Tierproduktionsbedingungen verursacht wurde.

Aus all diesen Gründen haben Wissenschaftler auf die bestehende Gefahr eines neuen Virusstammes, der auf und von Menschen übertragen wird, hingewiesen. Mit der aktuellen Epidemie wurde dies bestätigt und es kann wieder passieren, denn die Ursachen bleiben unangetastet.

Grippenviren kombinieren sich sehr leicht neu, aber bestimmte Bedingungen führen zu einer Beschleunigung des Prozesses: die Schaffung von Resistenzen in den betroffenen Organismen oder der gleichzeitige Befall desselben Organismus durch zwei oder mehr Stämme.

Beide Bedingungen existieren alltäglich in den industriellen Zuchtbetrieben. Wegen der Masse und der räumlichen Enge der Tiere, der infektiösen und warmen Luft, gibt es immer verschiedene „herumirrende“ Stämme, die ein einzelnes Tier gleichzeitig befallen können. Deswegen werden die Tiere massiv geimpft, wodurch Resistenzen entstehen und, als Antwort darauf, verändern sich die Viren erneut. Der Kontakt zwischen Schweinen, Zucht- und Wildgeflügel, Insekten, Keimen und Menschen findet ständig statt und ist innerhalb der Fabriken und von dort ausgehend unvermeidlich, wodurch eine Neukombination von Stämmen von verschiedenen Tierarten gefördert wird. Die gestressten Tiere bekommen außerdem Hormone und Antibiotika, und werden regelmäßig mit Insektiziden beregnet, was deren immunologisches System schwächt und die Zunahme des Einsatzes von Medikamenten mit sich bringt. All dies, zusammen mit Tausenden von Tonnen Gülle, wird in die Belüftungsbecken der Tierfarmen geführt und verschmutzt dabei die Gewässer und die Luft. In dieser oder ähnlicher Weise passiert es im Tierhaltungsbetrieb Carroll (angeklagt als eine der Quellen der Epidemie in Mexiko) und in den Anlagen der Firmen Smithfield, Tyson, Cargill und anderen großen Tierzuchtunternehmen.

Die Weltgesundheitsorganisation kennt dieses Panorama allzu gut, weshalb es eine Schande ist, dass sie den Namen der Schweinegrippe (die auch Menschen beeinträchtigt) zum neutralen „Influenza A/H1N1“ geändert hat, um die Unternehmen der industriellen Schweinezucht nicht mit dem in Verbindung zu bringen, was sie wirklich sind: die Verursacher der Epidemie.

Ebenso absurd ist es, dass die Regierung Mexikos die Schweinezuchtbetriebe mit einer Milliarde Pesos (ca. 56 Millionen Euro) subventioniert, damit die Industrie die Verluste ausgleichen kann, die sie durch die Epidemie erleidet: eine Epidemie, die sie selber provoziert hat. Sieben transnationale – oder mit großen mexikanischen Züchtern assoziierte Schweinezuchtbetrieben, unter denen sich auch das Unternehmen Caroll befindet, besitzen 35 Prozent der Schweineproduktion Mexikos.

Über die Verursachung von Gesundheits- und Umweltkatastrophen hinaus, haben diese Oligopole und deren Massentierzuchtfarmen den bäuerlichen Tierzüchtern und den kleinen Schweine- und Hühnerzüchtern ernsthaft geschadet. Bei ihnen können auch Viren vorhanden sein, aber es ist schwer vorstellbar, dass mehrere Stämme gleichzeitig auftreten und – sollte es doch vorkommen - würden sie nie eine Epidemie verursachen, da dort wenige Tiere in einem Stall gehalten werden und die Ställe voneinander getrennt sind.

Anstatt die Ursachen der Epidemie zu bekämpfen, werden jene belohnt, die sie produzieren.