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Das gebeugte Recht und die Rückkehr der Dinosaurier

Foto: Klaus Ehringfeld

10. Juli 2009
Von Gabriela Carías, Tegucigalpa

Von Gabriela Carías

„Die Freunde aus dem Viertel können verschwinden,
Die Sänger im Radio können verschwinden,
Die in den Zeitungen arbeiten, können verschwinden,
Der Mensch, den Du liebst, kann verschwinden,
Die in der Luft sind, können in der Luft verschwinden,
Die auf der Straße sind, können auf der Straße verschwinden.
Die Freunde aus dem Viertel können verschwinden,
Aber die Dinosaurier werden verschwinden.“
Die Dinosaurier – Charly García


Am 28. Juni 2009 beobachteten Lateinamerika und die Welt bestürzt, wie in Honduras der Staatsstreich als modus operandi, rechtmäßig gewählte Regierungschefs zu stürzen, ein Comeback feierte.

Geplante Volksbefragung illegalisiert

An diesem Tag wollte Präsident Manuel Zelaya unter Missachtung einer Gerichtsentscheidung, die das Vorgehen für illegal erklärte, eine unverbindliche Volksbefragung durchführen. Die Bevölkerung sollte sich dazu äußern, ob sie einverstanden wäre, bei den allgemeinen Wahlen im November eine vierte Wahlurne aufzustellen. Ursprünglich waren beide Verfahren durch das Gesetz zur Bevölkerungsbeteiligung aus dem Jahr 2006 und die Artikel 2 und 5 der Verfassung gedeckt. Es wurden jedoch mehrere Rechtsverordnungen in der Absicht verkündet, die Befragungen zu illegalisieren. Die jüngste dieser Verordnungen verabschiedete der Nationalkongress am 22. Juni. Darin wurde jegliche Befragung im Zeitraum der letzten 180 Tage vor den allgemeinen Wahlen untersagt.

In den alle vier Jahre in Honduras stattfindenden allgemeinen Wahlen werden der Präsident, die Abgeordneten des Nationalkongresses und die Bürgermeister_innen gewählt. Dafür werden in jedem Wahllokal drei Urnen aufgestellt. Beim Projekt der vierten Wahlurne, das nur bei einer positiven Reaktion auf die Befragung vom 28. Juni durchgeführt werden sollte, sollte die Bevölkerung dazu konsultiert werden, ob sie die Einberufung der verfassunggebenden Versammlung wünsche, um die Verfassung ab Beginn des Jahres 2010 zu ändern.

Welchen Zielen sollte die vierte Wahlurne dienen?

Grob zusammengefasst bestand die Argumentation der gesellschaftlichen Gruppen und Betreiber des Vorhabens der vierten Wahlurne darin, die Verfassung modernisieren und den wirklichen Bedürfnissen der Bevölkerung anpassen zu wollen. Eine bedeutende Zahl von Organisationen der Zivilgesellschaft sah in diesem Projekt die Chance, Verfassungsänderungen zugunsten ihres spezifischen Engagements durchführen zu können – und zwar auf eine sehr viel raschere Weise als über das normale gesetzgeberische Verfahren im Land.

Auf der anderen Seite meinten die gegen das Vorhaben eingestellten Sektoren, das gewöhnliche Verfahren zu Gesetzesverabschiedung genüge bereits den Bedürfnissen der Gesellschaft. Hinter den von der Regierung offen vorgebrachten Argumenten für eine Änderung verberge sich der implizite Wille, die ehernen Verfassungsartikel der Republik zu modifizieren, darunter diejenigen, die eine Wiederwahl des Präsidenten untersagen. Diese Gruppen führten auch an, dass Präsident Zelaya über die vierte Wahlurne internationalen geopolitischen Interessen entspräche, die dem Chavismus in Venezuela und dem kubanischen Sozialismus nahe stünden. 

Zunehmende Isolierung Manuel Zelayas

Nach und nach wuchs der Einfluss der gegen das Projekt opponierenden Gruppen bis zu einem Punkt, an dem Manuel Zelaya diesbezüglich ein „politisches Waisenkind“ wurde, der weder auf die Unterstützung des Kongresses, des Obersten Gerichtshofes, des Bundeswahlgerichtes, der Generalstaatsanwaltschaft, noch der Streitkräfte zählen konnte. Letztere hatte Präsident Zelaya in der Vergangenheit außerordentlich gestärkt, wahrscheinlich um dort Unterstützung für seine Präsidentschaft zu finden.

Der Unterschied dieses Staatsstreiches zu anderen ähnlichen Ereignissen aus der Vergangenheit der Region ist, dass die Verhaftung des honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya durch die Streitkräfte aufgrund einer Verfügung des Obersten Gerichtshofes des Landes stattfand. Dieses Staatsorgan rechtfertigte die Maßnahme juristisch wie folgt: Zelaya habe mit seiner Absicht, am 28. Juni die Volksbefragung durchzuführen, gesetzliche Verordnungen missachtet. Politisch und moralisch wurde die Maßnahme, so wie es Fernando Mires in seinem Artikel „Honduras: Der Dämon gegen den Teufel“ beschrieb, mit der Notwendigkeit begründet, der Umsetzung der angeblichen Absichten des Präsidenten vorzubeugen, im Falle einer positiven Antwort bei der Befragung noch am selben Tag zu einer verfassunggebenden Versammlung aufzurufen. Diese Versammlung würde zur Auflösung des Kongresses und des Obersten Gerichtshofes führen und unter dem Schutz Kubas und Venezuela sofort ein totalitäres Regierungssystem durchsetzen.

Die Annahme dieser Bedrohung war nach dem Kriterium der beteiligten Institutionen des Staates ein ausreichender Grund, einen Haftbefehl auszusprechen und den Präsidenten außer Landes zu deportieren. Ein schon an sich unbestritten verfassungswidriger Akt. Zudem gibt es für die Annahme bis zu diesem Moment keinen einzigen über den reinen Verdacht hinaus gehenden Beleg.

Staatsstreich mit Unterstützung von Legislative und Jurikative

Mit anderen Worten: Wir sehen uns einem von den Streitkräften des Landes im Bündnis mit Legislative und Judikative durchgeführten Putsch gegenüber. Ein Putsch, der sich auf die manipulierte und willkürliche Legalität einer nur oberflächlich existierenden Demokratie stützt. Aufgrund einer richterlichen Anordnung, die vielen gelegen kommt, scheint es plötzlich verfassungsmäßig und demokratisch, einen Präsidenten abzusetzen und ihn zu deportieren. Mit ihrer Gedankenakrobatik nennen die Putschgewalten ihren Staatsstreich eine „verfassungsmäßige Absetzung“ und gehen hinter einer künstlich konstruierten juristischen Legalität in Deckung. Gleichzeitig bitten sie die internationale Gemeinschaft, nicht vorschnell zu urteilen.

Falls Manuel Zelaya im Verfahren hinsichtlich der vierten Wahlurne jedoch gesetzwidrig vorgegangen sein könnte, so müssten seine Vergehen von den zuständigen Gerichten eingeordnet und beurteilt werden. Seine Absetzung müsste dann über die rechtlichen Wege und nicht durch den Gebrauch militärischer Gewalt einschließlich seiner unmittelbaren Deportation außer Landes geschehen. Dies ist ein offener Verfassungsbruch. 

Rolle der Medien

Auf nationaler Ebene haben die Medien eine Schlüsselrolle dabei gespielt, den Putsch als von der Allgemeinheit legitimiert darzustellen. In der jüngeren demokratischen Geschichte des Landes hat es eine mediales Kesseltreiben solchen Ausmaßes nicht gegeben. Die Meinungsäußerungen gegen die Absetzungsaktion, klein gehalten durch die Militarisierung der Radio- und Fernsehstationen, konnten auf nationaler Ebene keinerlei Gegengewicht zu den massiven Kampagnen schaffen, die den Putsch befürworten. Anfangs, weil die Militärs Radiostationen wie Radio Globo und Radio Progreso besetzten, und später aufgrund der zeitweisen Kappung der Stromversorgung sowie der aufgezwungenen landesweit ausgestrahlten Programme, um die Sendung von Nachrichten zu verhindern. Dazu kommt die Selbstzensur hinsichtlich kritischer Berichterstattung über die Putschregierung durch die dieser nahe stehenden Medien. Letztere stellen die Mehrheit.

Gespaltene Gesellschaft

Die honduranische Gesellschaft sah sich in den Tagen nach der Deportation des Regierungschefs einem ungleichen Kräftemessen gegenüber. Auf der einen Seite die Gesellschaftssektoren, die gegen den Staatsstreich und für die Rückkehr des Präsidenten eintreten und die den unterdrückerischen und autoritären Charakter der de facto-Regierung anklagen. Auf der anderen Seite die, die den Putsch begrüßen und der Welt zeigen wollen, wie demokratisch es ist, einen demokratisch gewählten Präsidenten angesichts seiner verwaltungstechnischen Fehler und relativen Unbeliebtheit mit militärischer Gewalt und ohne gerichtliches Verfahren zu stürzen. Die neuen Machthaber im Land wollen der Welt beweisen, dass die Maxime „der Zweck heiligt die Mittel“ nach wie vor Geltung hat.

Viele gesellschaftliche Gruppen akzeptieren die Aussetzung der Verfassungsrechte während der vor gut einer Woche verhängten Ausgangssperre. Es stört sie nicht, dass Bewegungs-, Presse- und Ausdrucksfreiheit verboten, staatliche Institutionen militärisch besetzt, und Volksdemonstrationen gegen den Putsch, die Verfolgung, Entführung und Verhaftung sozialer Führungspersönlichkeiten unterdrückt werden. Es stört sie nicht, dass die Bewegungsfreiheit der Personen aufgehoben ist und dass es Menschenrechtsverletzungen gibt, die bereits von internationalen Organisationen angeklagt werden. Diese gesellschaftlichen Gruppen sind üblicherweise die Verteidiger schlechthin der mit der liberalen Tradition verbundenen Grundfreiheiten. Nun billigen sie unter dem Putschregime Maßnahmen, die zuvor als nicht hinnehmbar galten. Alles unter dem Deckmantel einer elastischen Phantomdemokratie, die alle einschließt und allen vergibt, die an sie glauben, die sich aber mit ihren eigenen Handlungen widerspricht, indem sie sich als nicht putschistisch erklärt.

Situation der Menschenrechte in Honduras

Die von der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú angeführte „Delegation für Demokratie und Menschenrechte Guatemala-Honduras“ konstatierte bei ihrem Hondurasbesuch die Beteiligung aller rechtsstaatlichen Institutionen einschließlich des honduranischen Menschenrechtsbeauftragten Ramón Custodio am Putsch. Zugleich beschrieb sie „den unverhältnismäßigen Einsatz militärischer Gewalt zur Unterdrückung von Protestaktionen gegen die de facto-Maßnahme... die eine bedeutende Zahl von Menschenrechtsverletzungen beinhaltete... (die) zudem das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit gefährden“

Das Paradox einer „Putschdemokratie“ hat einstimmige Reaktionen ausgelöst. Die internationale Gemeinschaft droht mit diplomatischer Isolierung und verurteilt den Staatsstreich. Sie fordert die Wiedereinsetzung von Manuel Zelaya als Bedingung für jede Art von Gesprächen und nationaler Versöhnung.

Protestbereitschaft der Bevölkerung, internationaler Druck

Die Protestbereitschaft der Bevölkerung und der organisierten Zivilgesellschaft hinsichtlich der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung spielt sicherlich eine Schlüsselrolle. Dennoch scheint der wirksamste Ausweg aus der Krise der Einfluss der internationalen Organisationen auf die formalen politischen Kreise des Landes zu sein. Bilateraler und multilateraler Druck auf die de facto-Regierung könnte es ermöglichen, dass strategische einheimische Akteure – Unternehmersektor, Kongressabgeordnete, Medien – ihre Putschunterstützung abschwächen und die Regierung isolieren. Das könnte nach der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung förderlich sein, einen nationalen und internationalen Dialog zu eröffnen.

Sollten sich keine Gesprächsmöglichkeiten ergeben, wären die Auswirkungen einer politischen und wirtschaftlichen Isolierung in einem so armen und vom Ausland abhängigen Land wie Honduras dramatisch. Die Organisation Amerikanischer Staaten hat Honduras aus ihren Reihen ausgeschlossen. Dies kann Sanktionen verschiedener Dimensionen und Formen mit sich bringen, seien sie ökonomischer, politischer oder diplomatischer, bilateraler oder multilateraler Natur. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Isolierung könnten in einer tiefgreifenden Beeinträchtigung des Finanzsystems, einer verringerten Ölzufuhr, sowie niedrigeren Exporten und Importen bestehen. Die Weltbank hat ihrerseits angekündigt, die Zahlungen an das Land einzufrieren, solange die verfassungsmäßige Ordnung nicht wiederhergestellt ist. Es werden Reaktionen verschiedener diplomatischer Vertretungen der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft erwartet, die auf eine Isolierung zielen.

„50 Jahre zurück“

Charly García versprach Lateinamerika in seinem Lied „DIE DINOSAURIER“, dass Staatsstreiche, Unterdrückung und Entführung der Bevölkerung irgendwann einmal nur noch ein Gespenst vergangener autoritärer Regime sein würden. Leider sind die Dinosaurier auf den Straßen und in der Regierung von Honduras wieder aufgetaucht. Ihre Menschenrechtsverletzungen haben unauslöschliche Spuren im kollektiven honduranischen Gedächtnis hinterlassen. Über die Landesgrenzen hinaus könnten die Auswirkungen einer sich an der Macht haltenden honduranischen de facto-Regierung für Lateinamerika ein „50 Jahre zurück“ in der politischen Kultur bedeuten. Es wäre der traurige Bruch eines Versprechens, das mit so viel Hoffnung in einer Vergangenheit abgegeben wurde, die wir bereits unter dem schmutzigsten Schutt unserer Geschichte vergraben glaubten.

 

Gabriela Carías war von Juni 2006 bis Mai 2009 Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro El Salvador