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Genderpolitik in Lateinamerika

Lesedauer: 5 Minuten

10. August 2009

Die Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen ist nach wie vor ein wichtiges Thema in Lateinamerika. Das gilt für ihre körperliche Unversehrtheit ebenso wie für ihre Autonomie im wirtschaftlichen und politischen Bereich. Ein von CEPAL, UNDP und anderen internationalen Organisationen eingerichtetes “Observatorium der Geschlechtergleichheit” stellt krasse Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest.

So verfügen knapp 37 % der Frauen über 15 Jahren über kein eigenes Einkommen - bei den Männern sind es circa 11 Prozent. Der Anteil von Frauen an den politischen Entscheidungsgremien liegt nur bei ungefähr 20 %, und die Müttersterblichkeit, um nur einen Indikator für diesen Bereich herauszugreifen, schwankt zwischen 16 auf 100.000 Lebendgeburten in Chile und 670 in Haiti. (zum Vergleich: Brasilien 110, El Salvador und Nicaragua jeweils 170) Die katholische Kirche hat mit ihrer durchweg repressiven Haltung gegenüber den reproduktiven Rechten von Frauen einen erheblichen Anteil daran, politische Maßnahmen zu verhindern, die die Selbstbestimmung von Frauen ermöglichen würden. Nicaragua und El Salvador sind die beiden Länder auf dem Kontinent, in denen sogar der therapeutische Schwangerschaftsabbruch verboten ist.

Die Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in der Region haben die Geschlechterdemokratie als Querschnittsthema und als explizites Projektziel in ihrer Arbeit verankert.

Wir stellen vor: Die Genderarbeit des Regionalbüros Mittelamerika/Mexiko/Karibik

Im Regionalbüro Mittelamerika/Mexiko/Karibik nimmt vor allem die Einführung der Geschlechterperspektive in Organisationen und staatliche Institutionen einen wichtigen Stellenwert ein. Dabei werden nicht nur die Partnerorganisationen sensibilisiert und dabei unterstützt, ihre Arbeit geschlechtersensibel auszurichten.

Gender-Mainstreaming-Projekt in der Menschenrechtskommission von Mexiko-Stadt

Ein zentrales Projekt, das gemeinsam mit der Frauenorganisation Equidad de Género durchgeführt wird, ist z.B. die Einführung von Gender Mainstreaming in der Menschenrechtskommission von Mexiko Stadt. Denn nur wer weiß, dass Menschenrechtsverletzungen an Frauen andere sind als die an Männern, kann differenzierter auf die unterschiedlichen Schutzbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingehen. Gender Mainstreaming ist inzwischen fester Bestandteil der institutionellen Struktur und der Routine der Kommission geworden. Es wurden neue, geschlechterspezifische Programme ins Leben gerufen, der Haushalt wird inzwischen unter Gesichtspunkten der Geschlechtergerechtigkeit aufgestellt (Gender Budgets), und sogar die institutionelle Struktur wurde verändert.

Geschlechterdemokratische Umgestaltung der Stadtverwaltung von San Salvador (El Salvador)

Ähnliche Erfolge lassen sich auch aus San Salvador vermelden, in denen die Heinrich-Böll-Stiftung mehrere Jahre lang die geschlechterdemokratische Umgestaltung der Stadtverwaltung unterstützt hat. Der weibliche Anteil in leitenden Positionen konnte in dieser Zeit von 12 auf 48 % gesteigert werden, geschlechterspezifische Aspekte sind inzwischen in 90 % der operativen Planungsunterlagen der Stadtverwaltung zu finden, und auch die Budgets wurden entsprechend verändert. Nachdem die konservative ARENA-Partei die Bürgermeister-Wahlen für in der Hauptstadt Anfang 2009 knapp gewonnen hat, muss sich nun zeigen, wie nachhaltig die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung ist, und ob die geschlechtersensible Neuausrichtung auch unter der neuen politischen Führung Bestand haben wird. Das Beispiel hat jedoch längst Schule gemacht. Seit Ende 2008 fördert die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit UNFPA und UNIFEM die Einführung von Gender Mainstreaming in die Arbeit des Obersten Gerichtshofes des Landes.

Unterstützung der feministischen Presseagentur CIMA in Mexiko

Eine ganz andere Art von Gender Mainstreaming unterstützt die Heinrich-Böll-Stiftung mit der feministischen Presseagentur CIMAC. Die Agentur wurde 1988 gegründet, um nicht länger nur feministische Monatsbeilagen zu produzieren, sondern um die Lebenswirklichkeit von Frauen auf die Titelseiten zu bringen, und das Geschlechterverhältnis im Männerland Mexiko bei allen Themen berücksichtigt zu sehen. Inzwischen bietet CIMAC nicht nur Nachrichten an, sondern lehrt auch Journalistinnen und Journalisten den besonderen Genderblick. Zur Unterstützung dieser Anstrengungen haben sie inzwischen gemeinsam mit Kolleginnen und ein paar Kollegen ein nationales und ein trinationales (Mexiko, USA und Kanada) Netzwerk gegründet.

Klimaarbeit unter Genderperspektive

Auch in der Klimaarbeit möchte das Regionalbüro einen geschlechtersensiblen Blick fördern. Deshalb wird gemeinsam mit mexikanischen NGOs eine Studie erarbeitet zum Thema “Gender, Vulnerabilität und Adaption an den Klimawandel am Beispiel der Nordküste Yucatáns”. Die empirische Studie basiert auf Analysekategorien, die die Genderperspektive und den Klimawandel verbinden und Anhaltspunkte für geschlechterdifferenzierte Adaptationsmaßnahmen bieten sollen. Das Nationale Institut für Ökologie (Instituto Nacional de Ecología, kurz INE), Teil des mexikanischen Umweltministeriums, hat bereits Interesse bekundet, entsprechende Kriterien künftig bei der Ausarbeitung der Adaptationspläne der Bundesstaaten zu berücksichtigen.

Makroökonomie und Gender

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Regionalbüros ist das Thema Makroökonomie und Gender. Auch in Lateinamerika haben sich Frauenorganisationen wie in anderen Teilen der Welt bislang stärker auf die politische Sphäre, auf rechtliche Gleichstellungspolitik, auf die Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterpolitik konzentriert und weniger auf ökonomische Fragen. Es gibt erst relativ wenige Ansätze feministischer Ökonomie in Lateinamerika. Dazu gehört die Arbeit der lateinamerikanischen Netzwerke REPEM und Iniciativa Femenista de Cartagena, die mehrere theoretische und empirische Studien herausgegeben haben. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat einige dieser Arbeiten unterstützt, sowie die englische Übersetzung und Verbreitung gefördert. In Mexiko hat außerdem die Feministin Rebeca Salazar für die Heinrich-Böll-Stiftung einen theoretischen Rahmen zur Analyse von Freihandelsabkommen erarbeitet, und diesen in einer ersten empirischen Untersuchung am Beispiel des Bankensektors angewendet. Solche Arbeiten sind ein erster Anfang, die Ambivalenz ökonomischer Globalisierungsprozesse zu verstehen und ihre Auswirkungen geschlechterdifferenziert in Entscheidungsprozesse einzubringen.