Am 18. Mai 2010 lud die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit Brot für die Welt, Misereor und kolko e.V. zu einer Podiumsdiskussion ein. Aus Kolumbien waren die renommierte Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe aus Medellín und der Bischof von Granada, Monseñor Figueroa, gekommen. Außerdem nahm der Politologe und Autor Dr. Raul Zelik an der Abendveranstaltung teil.
Kontext
In Kolumbien werden täglich bis zu tausend Menschen von ihrem Land vertrieben. Politische Morde, Verschwindenlassen und Folter gehören zum Alltag. Schwerste Menschenrechtsverletzungen bleiben fast immer straflos. Häufig sind staatliche Sicherheitskräfte und Geheimdienste direkt an den Verbrechen beteiligt. Menschenrechtsverteidiger/innen, die sich gegen die Verbrechen zur Wehr setzen und auf Aufklärung drängen, werden verfolgt.
Am 19. Mai 2010 paraphieren die Europäische Union und Kolumbien ein Freihandelsabkommen, das von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften heftig kritisiert wird. Keine zwei Wochen später stehen am 30. Mai in Kolumbien Präsidentschaftswahlen an. Für diese zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Nachfolgekandidaten des aktuellen rechtskonservativen Präsidenten Uribe und dem Kandidaten der Grünen Partei ab.
Vor diesem Hintergrund sollte von den Podiumsteilnehmern die Politik der "Demokratischen Sicherheit" der vergangenen acht Jahre mit ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung beleuchtet und Perspektiven aus menschenrechtlicher und kirchlicher Sicht aufgezeigt werden.
Zusammenfassung zentraler Themen und Beiträge
Die Politik der „Demokratischen Sicherheit“
Die Politik der „Demokratischen Sicherheit“ war und ist das Aushängeschild der Regierung von Álvaro Uribe Vélez. Sein Nachfolger, der ehemalige Verteidigungsminister und derzeitige Präsidentschaftskandidat Juan Manuel Santos, will diese Politik natürlich fortsetzen.
Doch auch der Kandidat der Grünen Partei, Antanas Mockus, distanziert sich nicht davon. Zwar wird sie umbenannt in "Legale Sicherheit" und der Kampf gegen korrupte und mafiöse Strukturen wird betont. Aber auch er will sie im Grundsatz fortzuführen.
Das Politikkonzept der „Demokratischen Sicherheit“ Uribes geht von der aktiven Beteiligung alle Kolumbianer/innen an der Unterstützung der Regierung aus. Andernfalls werden sie als Gegner, sprich als Unterstützer/innen der Guerilla - sprich als Terroristen - betrachtet. In den vergangenen acht Jahren wurde das Land mit einem riesigen Netz von bezahlten Informant/innen und Bauernsoldaten überzogen, was die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten aufweicht bzw. aufhebt und unter anderem zur Militarisierung weiter Bereiche des Lebens geführt hat.
Hat diese Politik zu mehr Sicherheit im Land geführt? Nach Raul Zelik sind die Auswirkungen sozial und politisch selektiv. Allgemein kann gesagt werden, dass mehr Sicherheit für die einen eine größere Unsicherheit für die anderen bedeutet. Die einen, das ist die zahlenmäßig kleine Elite des Landes, zu der auch eine schmale Mittelschicht gehört und die in abgegrenzten Vierteln der größeren Städte wohnt. Sie können nun wieder ihre Landgüter besuchen und auf einigen wenigen und vom Militär bewachten Schnellstraßen an touristische Küstenorte fahren, an denen auch eine wachsende Zahl ausländischer Touristen sich sicher fühlen kann. Die anderen, das ist die große und ärmere Bevölkerungsmehrheit. Für sie ist diese Sicherheit nicht spürbar. Im Gegenteil: in ländlichen Regionen und seit ca. zwei Jahren auch in den Randbezirken großer Städte wie Bogotá oder Medellín liegen die Mordraten wieder so hoch wie zu den schlimmsten Zeiten der Drogenkartelle.
Die „Falsos Positivos“
Dabei handelt es sich nicht nur – wie es die Regierung gern darstellt – um Bandenkriege. Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen, wie die Vereinigung Jurídica Libertad, in der auch Liliana Uribe arbeitet, haben weit über 1.000 Fälle so genannter „falsos positivos“ dokumentiert: Fälle, in denen Zivilisten, meistens junge Männer aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen, von Militäreinheiten ermordet wurden, um sie dann als Erfolgsmeldungen, d.h. als im Kampf getötete Guerilleros, zu präsentieren. Die Soldaten erhielten als „Belohnung“ für getötete „Guerilleros“ zusätzliche Urlaubstage und größere Aufstiegschancen. Dieses Vorgehen ist als der Skandal der außergerichtlichen Hinrichtungen und der "falsos positivos" (falsche Erfolgsmeldungen) 2008 öffentlich geworden. Eine umfassende strafrechtliche Aufklärung steht in den meisten Fällen noch aus, die Täter und Hintermänner wurden noch nicht zur Verantwortung gezogen.
Statt dessen werden Anwaltsorganisationen, Angehörige von Opfern und Menschenrechtsorganisationen, die sich um Aufklärung bemühen, verfolgt und bedroht. Schriftliche Drohungen sind in der Regel von Nachfolgeorganisationen der paramilitärischen Gruppen unterzeichnet.
Paramilitärs weiterhin aktiv
Laut Regierungsangaben ist der Demobilisierungsprozess der paramilitärischen Gruppen in Kolumbien erfolgreich abgeschlossen. Seit Juli 2007 haben die Paramilitärs als organisierte Einheiten demzufolge aufgehört zu existieren.
Monseñor Figueroa kann aus seiner Diözese anderes berichten. Dort sind die gleichen Kommandanten mit den gleichen bewaffneten Kämpfern in den gleichen Strukturen wie vor dem Demobilisierungsprozess mit den gleichen Aktivitäten beschäftigt. Teilweise haben sich diese Aktivitäten ein wenig in Richtung Drogengeschäfte verlagert. Doch für die Bevölkerung und deren (Un-)Sicherheit macht dies keinen Unterschied.
Einen Unterschied macht jedoch die größere Militarisierung der Region durch eine verstärkte Präsenz des kolumbianischen Heeres. Monseñor Figueroa berichtet von drei Beispielen aus seinem unmittelbaren Bekanntenkreis.
Da ist zum einen eine Frau aus der Gemeinde, die ihren Sohn vermisst. Auf Nachfrage des Bischofs beim zuständigen Bataillon nach dem Verbleiben des jungen Mannes erhält er eine positive Antwort und dann die folgende Erklärung: Der Teenager sei von einer Militäreinheit erschossen worden. Die Gründe dafür konnte jedoch auch der Kommandant nicht erklären.
Zum anderen ist da der Priester aus einer der Gemeinden, der an der Ausfahrt des Ortes auf seinem Motorrad von einer Militäreinheit angeschossen wird. Zum Glück sind die Verletzungen nicht tödlich. Die Antwort der zuständigen Militärs lautet dieses Mal, sie hätten leider jemanden mit dem Priester verwechselt.
In seinem dritten Beispiel berichtet der Bischof von 13 Personen, die gleichzeitig verhaftet wurden. Die meisten sind Bauern, ein Priester aus seiner Gemeinde ist auch dabei. Sie werden beschuldigt, Unterstützer der Guerilla zu sein. Der Priester wird nach drei Monaten Untersuchungshaft entlassen, die Bauern erst nach 22 Monaten. Es konnten keine Beweise gegen sie gefunden werden. 22 Monate sind, neben der Angst um den Angehörigen, für kleinbäuerliche Familienbetriebe eine sehr lange Zeit.
Diese Beispiele machen deutlich, für welche Bevölkerungsgruppen die "Sicherheit" jedenfalls nicht gedacht ist. Viele Familien in ländlichen Regionen sehen sich aufgrund solcher Erfahrungen gezwungen, die Region zu verlassen und werden so zu Vertriebenen im eigenen Land. In Kolumbien gelten über vier Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge.
Mögliche Perspektiven
Liliana Uribe betont die Notwendigkeit, eine politische Verhandlungslösung für den bewaffneten Konflikt in Kolumbien zu suchen. Zurzeit wird der Vorschlag einer Unterstützungsgruppe von "Europäerinnen und Europäer für den Frieden" entwickelt. Eine Verhandlungslösung muss unbedingt die dem Konflikt zugrundeliegenden sozialen, politischen und vor allem auch wirtschaftlichen Ursachen mit einbeziehen.
Auch wenn Antanas Mockus wesentliche Teile der neoliberalen Wirtschaftspolitik Uribes fortführen will und bezüglich der Guerillagruppen auf eine militärische Lösung setzt, könnte seine Präsidentschaft positive Auswirkungen in anderen Bereichen haben. So gilt er zum Beispiel als nicht korruptionsanfällig und er ist nicht Teil der traditionellen Elite, die durch Vetternwirtschaft und ihre Verflechtungen mit dem Paramilitarismus diskreditiert ist. Sein Handlungsspielraum wäre jedoch begrenzt, da der kolumbianische Kongress von eben dieser Elite dominiert wird. Dennoch ist die Hoffnung vieler Kolumbianer/innen, dass unter seiner Administration die legalen – insbesondere auch die internationalen – Regeln und Verpflichtungen nicht nur ein größeres Gewicht hätten als unter der Regierung Uribe, sondern dass sie respektiert würden.
Christiane Schwarz setzt sich bei kolko e.V. für Menschenrechte für Kolumbien ein.