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Gutes Theater, schlechtes Theater, oder gar kein Theater? – eine Kommentierung von Orozco’s „Das „Theater“ der Übergangsjustiz in Kolumbien“

Foto: Gato Azul (Quelle: flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative-Commons-Lizenz.

30. Mai 2010
Von Caludia Müller-Hof
Von Claudia Müller-Hof

In seinem Aufsatz „Das „Theater“ der Übergangsjustiz in Kolumbien“ diskutiert Orozco mit kritischem Blick den Prozess der unter dem Namen des Demobilisierungsgesetzes „Gerechtigkeit und Frieden“ bekannt ist. Er stellt dabei einen Paradigmenwechsel fest, denn früher – zuletzt noch in den Verhandlungen mit Guerillagruppen Anfang der 90er Jahre -  seien Friedensverhandlungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung geführt worden, während nun den AUC (Autodefensas Unidas de Colombia - Dachorganisation der paramilitärischen Gruppen) der Status politischer Verhandlungspartner versagt und sie zu einer „Horde gemeiner Krimineller“ degradiert würden.

Die Akteure

Indem er so anknüpfend die Demobilisierung als Friedensverhandlung behandelt, impliziert Orozco, dass hier die Gegner des kolumbianischen Konfliktes miteinander verhandeln. Doch nicht nur, dass – um den Prozess als Friedensprozess ernst zu nehmen - die Beteiligung eines der wichtigsten Akteure – der Guerillas – notwendig gewesen wäre. Sondern man kann Regierung/Staat und Paramilitärs nicht ohne weiteres als Antagonisten behandeln und ihre Verbindungen auf Einzelfälle korrupter Parapolitiker reduzieren. Dass weite Teile des Parlaments, des Geheimdiensts und vieler weiterer staatlicher und Regierungsstellen unter paramilitärischem Einfluss stehen und standen, ist ein Phänomen, das im Lichte seiner Wirkung auf die gesamte Konfliktdynamik gesehen werden muss. Die Paramilitärs sind ursprünglich ins Leben gerufen und zeitweise vom Staat legalisiert und ausgerüstet worden, um die Interessen der wirtschaftlichen und politischen Elite, aus der auch die Regierungen bisher immer erwachsen sind, gegen die Guerilla zu schützen. Richtig ist sicher, dass der Paramilitarismus so stark und mächtig wurde, dass er nicht mehr nur Handlanger dieser Elite war, sondern selbst mit dieser Elite verschmolz und im eigenen Interesse tätig wurde. Dabei ist es auch zu "Kollateraldifferenzen" gekommen, bezüglich der Verteilung von Posten und Privilegien, Drogenmarktanteilen, Land und anderen Ressourcen. Eifersüchteleien und Hahnenkämpfe kommen in den besten Familien vor. Verhandlungen darüber berühren aber nicht die Fragen des eigentlichen Konflikts in Kolumbien, sind also keine Friedensverhandlungen im historischen Sinne.

In diesem Zusammenhang ist die richtige und wichtige Feststellung Orozcos von Bedeutung, dass die staatliche Verantwortung aus dem Prozess von „Gerechtigkeit und Frieden“ ausgeblendet ist. Allerdings setzt er sich damit nicht weiter auseinander, obwohl doch diese Tatsache den gesamten Demobilisierungs-Prozess in ein anderes Licht stellen dürfte. Kann es denn überhaupt eine Transformation des Konflikts zum Postkonflikt geben, wenn die Rolle eines Konfliktakteurs verschwiegen wird? Welchen Übergang begleitet dann die Übergangsjustiz?

Keine Transformation ohne Verhandlung

Meiner Ansicht nach gibt es also keinen Transformationsprozess in Kolumbien, denn: 1., weder Regierung noch Guerilla sind verhandlungsbereit; 2., der Demobilisierungsprozess lässt die Interessenlage der Hauptkonfliktparteien unberührt. Nicht nur die Auslieferungen der Paramilitärs, die zu viel wussten, zeugen davon, sondern auch etwa die Tatsache, dass keine Wahrheitskommission eingerichtet wurde, sondern stattdessen eine Kommission für Versöhnung und Wiedergutmachung, die sich gerade nicht mit der Wahrheit beschäftigen soll. Die Kontinuität des Konfliktes wird, 3., auch darin deutlich, dass sich unter denjenigen, die bisher die Zielopfergruppen waren, auch weiterhin die Opfer des Konfliktes finden lassen: die entrechtete Landbevölkerung, kritische Journalistinnen und Gewerkschaftler, Menschenrechtler und Oppositionspolitikerinnen. Die militärische Konfliktlogik vom Fisch, dem das Wasser genommen werden muss, womit Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Militarisierung der Zivilgesellschaft gerechtfertigt werden, findet unverändert Anwendung im Zuge der demokratischen Sicherheit und zivil-militärischen Kooperation.

Transitional Justice

Dementsprechend kann man hier auch nicht von Übergangsjustiz sprechen. Der Begriff Transitional Justice (TJ) relativiert nicht Gerechtigkeit, sondern er bezeichnet die Tatsache, dass Gerechtigkeit in Transformationsprozessen eine besondere Rolle hat, nämlich – anders als im Strafprozess – die Rechte der Opfer und die gesellschaftlichen Interessen an sozialem Frieden zu berücksichtigen. Gerechtigkeit ist eines der unverzichtbaren Kennzeichen der TJ, ebenso wie die Suche nach Wahrheit. Einen TJ-Prozess bzw. die Verteidigung von Menschenrechten – wie Orozco es tut - dafür zu kritisieren, dass sie „rückwärtsgewandt“ statt „vorwärtsgewandt“ sei, erscheint bizarr, weil doch mittlerweile breite Einigkeit darüber besteht, dass sich beides nicht ausschließt, und dass man konstruktiv die Zukunft nur gestalten kann, ohne in die Gefahr der Wiederholungstat zu fallen, wenn man die Vergangenheit aufarbeitet, und versteht, was genau man in Zukunft vermeiden möchte.

Die Opferrechte

Zu diesem Lernprozess gehören auch die Opfer als aktive Player – dafür stehen die Opferrechte. Entgegen dem Eindruck, den Orozco vermittelt – haben allerdings die Opfer im kolumbianischen Prozess keine Teilnahmerechte in den Verfahren, sie können nicht einfordern, zum Prozess zugelassen zu werden, Fragen an die mutmaßlichen Täter zu richten oder Beweisanträge zu stellen, sind vom Ermessen der Staatsanwaltschaft abhängig, und auch davon, ob sie es sich leisten können, zu den Audienzen anzureisen, ob sie das Risiko eingehen können, sich als Opfer und Zeuge zu outen. Denn das könnte sie das Leben kosten, so zeigt es der Mord an der Opfervertreterin Yolanda Izquierdo am 31. Januar 2007.
Vor allem aber fehlt mir bei Orozco eine Auseinandersetzung mit dem Warum und Wozu der Opferrechte, für die Opfer, und für den gesamtgesellschaftlichen Prozess einer Konflikttransformation. Er begnügt sich mit einer abstrahierten Gegenüberstellung von „Täterrechten“ und „Opferrechten“, wobei die Gefahr bestünde, dass letztere „überhand“ nähmen. Es geht aber nicht darum, ein mathematisches Gleichgewicht zu wahren; denn weder konkurrieren noch kollidieren Täter- und Opferrechte; beide müssen kompromisslos geschützt werden. Allerdings ist es ungewohnt, Opferrechten Raum einzuräumen, im normalen Strafprozess existieren sie so gut wie nicht. Diese Steifheit im Umgang mit Neuem ist auch Orozco anzumerken.

Gar kein Theater

Ein letztes Wort zu dem Mittel der Theateranalogie, das Orozco wählt. Er meint, diese Analogie dränge sich schon ohne weitere Begründung auf. Das ist allerdings nicht zwingend. Sondern nur, wenn man suggerieren möchte, es handele sich bei den Demobilisierten-Verfahren um eine Abbildung, eine Interpretation, eine Kommentierung der Realität. Denn das ist es, was das Theater auszeichnet. Einen Gerichtsprozess auch? Vielleicht. Gerade im Bereich der TJ aber oder in Prozessen, die als solche gehandelt werden, meine ich, passt diese Analogie nicht. Denn solche Verfahren sind mehr als bloß Abbildungen, sie schaffen Realität, sie sind gesellschaftliche Prozesse, sie produzieren  gesellschaftliche Transformation.

Und auch die Demobilisierten-Verfahren produzieren Realitäten, sie organisieren und regulieren das Sagen, Verschweigen, Filtern, Ändern von Wahrheiten, sie legitimieren eine konstruierte Wahrheit und schließen Gegenwahrheiten aus. Sie schaffen Realität, indem sie Opfer re-traumatisieren, mutmaßlichen Tätern Freiheit zusprechen; ja sie können sogar Recht und Unrecht neu definieren und die Gefahr der Wiederholungstat schaffen - das geht über die Interpretation, die das Theater ist, hinaus.

Orozco schlussfolgert, dass die "Gerechtigkeit-und-Frieden"-Prozesse als Theater „gescheitert“ seien, wegen Mangels an Publikum. Dem würde ich entgegen setzen, dass sie im Gegenteil bisher sehr erfolgreich die Interessen der Regierung gefördert haben: Sie haben der internationalen Öffentlichkeit einen Schein-Postkonflikt präsentiert, bei dem die Wahrheit nur soweit ans Licht kommt, dass sich Regierungen beruhigen lassen, ihre Freihandelsabkommen weiter verhandeln und ihre Investoren ermutigen können. Und zugleich haben sie sicher gestellt ist, dass  Präsident, Staat und Regierung von jeglicher Verantwortung freigestellt werden. Also doch ein Theater? Nein, denn die Re-Traumatisierungen, Verfolgungen der Opfer, Rehabilitierungen der Paramilitärs, Straflosigkeiten usw. sind trauriges Ergebnis dieses Prozesses. Der Weg zu einer wirklichen Konflikttransformation im Verhandlungsweg scheint so immer schwieriger zu werden.


Claudia Müller-Hof arbeitet am ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights)

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