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Zum internationalen Frauentag aus Haiti

Dieses Fotos steht unter einer Creative Commons-Lizenz. Foto: bbcworldservice, flickr.com 

Fanm se poto mitan sosyete a! – Frauen sind die Stützpfeiler der Gesellschaft!

9. März 2010
Von Monika Falkenberg
Von Monika Falkenberg

Wir schreiben den 8. März 2010, 100 Jahre Internationaler Frauentag oder auch 8 Wochen nach dem furchtbaren Erdbeben in Haiti. In Haiti, wo sich die Frauen unter größter Anstrengung für sich und ihre Rechte einsetzen und wo vielerorts die Bedingungen noch einmal deutlich schwieriger geworden sind.

Frauentag in Haiti
Während Alice Schwarzer den Frauentag am liebsten abschaffen möchte, ist dieser Tag für die Frauen in Haiti ein Fest. Sie nutzen ihn, um wenigstens ein Mal im Jahr auf sich, ihre Wünsche und Belange, ihre Nöte und Forderungen aufmerksam zu machen. Sie nutzen ihn auch, um für einige Stunden ausgelassen zu feiern: so spiegeln sich ihre Themen in Liedern, Theaterstücken und Tänzen wider. Es wird freudig gelacht, leidenschaftlich gekämpft und hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt wie in diesem Lied, welches bei Märschen der Frauen durch die Ortschaften melodisch-rhythmisch gesungen wird: "Frauen, wir sind wie Schildgras! Sie können uns schneiden, sie können unsere Wurzeln verbrennen, wenn der Regen fällt, werden wir wieder blühen!"

Wie wird der Frauentag im Jahr 2010 in Haiti begangen? – Trotz des verheerenden Erdbebens vom 12. Januar, das Haiti als eines der ärmsten und labilsten Länder der Welt besonders hart getroffen hat, ist der Tag präsent: trotz Trümmern, Hunger und Tod. Dieses Jahr gedenken die Haitianerinnen dreier Feministinnen, die sich als Gründerinnen der drei größten Frauenorganisationen im Land aktiv um die Rechte der Frauen bemühten: Myriam Merlet – ENFOFANM, Anne Marie Coriolan – SOFA und Magalie Marcelin – Kay Fanm.

Obwohl die Haitianerinnen und Haitianer mit dem alltäglichen Leben und Überleben ausgelastet sind, verliert dieser Tag in den Wirren nach dem Erdbeben nicht an Bedeutung. Das "Ereignis" wie die Naturkatastrophe üblicherweise betitelt wird, hat viele der Frauen in noch größere Not gebracht. Umso wichtiger ist es, diese Not zu thematisieren! Und so zelebrieren die Frauen Haitis auch heute im Kleinen ihren Tag.

Das Leben vor dem "Ereignis"
Schon vor dem Beben war das Leben für die große Mehrheit der haitianischen Bevölkerung schwierig – so schwierig wie auch in anderen Ländern, in denen die ökonomische wie soziale Infrastruktur nur rudimentär vorhanden ist und Menschen verzweifelt Arbeit suchen, um ihre Familie ernähren zu können. Und auch schon vor dem "Ereignis" waren Frauen gegenüber Männern benachteiligt und das, obwohl sie in Haiti überdurchschnittlich aktiv sind und im Alltagsbild der Städte und Dörfer als Arbeiterinnen überaus sichtbar. Sie arbeiteten überwiegend im informellen Sektor als Händlerinnen auf dem Markt, als Bäuerinnen auf den Feldern, als Hausangestellte bei denen, die es sich leisten konnten, und einige wenige Frauen schafften es, in die Männerdomäne der Politik und Wissenschaft vorzudringen. Die Frauen waren und sind zumeist außerdem für den eigenen Haushalt und die Erziehung der Kinder verantwortlich und somit doppelt und dreifach belastet.

Mangelnde Anerkennung und Respekt vor den vielfältigen Tätigkeiten der Frauen, allzu oft auch Diskriminierung, häusliche Gewalt und Vergewaltigung waren schon vor dem Erdbeben ein gängiges Phänomen. Erst in den letzten 10 – 20 Jahren wurden Frauenhäuser gebaut, Frauenorganisationen gegründet, die mehr Einfluss hatten und Druck ausüben und so wenigstens einigen Frauen Unterstützung anbieten konnten. Ferner wurde die Situation der Frauen in Haiti öffentlich gemacht, Frauen wie Myriam Merlet, die ebenfalls Stabschefin des Frauenministeriums war, setzten sich für gerechtere Lebensverhältnisse ein, thematisierten Gewalt, insbesondere Vergewaltigung und Folter von Frauen als politisches Instrument sowie die verheerenden Auswirkungen auf die betroffenen Frauen. Bei vielen herrscht nun die Angst, dass die Bemühungen der letzten Jahre genauso unter den Trümmern liegen wie ihr Hab und Gut.

Aus diesem Grund wird speziell der Ideen, Forderungen und der Persönlichkeiten der drei verstorbenen Frauenrechtlerinnen gedacht. Die gebürtige Haitianerin und derzeitige Generalgouverneurin Kanadas Michaëlle Jean wird heute in Haiti eintreffen, einerseits um ihrem Volk ihr Mitgefühl auszusprechen und die Hilfsmaßnahmen zu begutachten, andererseits auch um daran zu erinnern, dass ein Aufbau ohne die weibliche Perspektive und die aktive Beteiligung von Frauen nicht funktionieren kann. Sie wie auch andere wissen, dass die Frauen Haitis die Stütze der Gesellschaft sind.

Das Leben nach dem "Ereignis"
Viele Menschen versuchen nach dem Beben in andere Landesteile zu kommen. "Hauptsache, raus aus der Stadt", erzählt Mme. Kimara, die aus der Provinzhauptstadt Hinche im Zentrum des Landes kommt. Ihr Wohnhaus existiert nicht mehr, berichtet sie, und die ersten Nächte schlief sie auf der Straße zusammen mit der Familie ihres Bruders. Die Nachbeben versetzten alle in Angst und Schrecken, aber auch die Sorge vor der Dunkelheit mit ihren Gefahren verunsicherte viele. Da ihre Mutter noch in Hinche wohnt, wird sie jetzt erst einmal zu ihr zurückkehren und sich dann überlegen, was sie machen wird. Sie weiß, dass sie im Vergleich zu anderen noch Glück gehabt hat.

All jene, die in den vom Erdbeben betroffenen Regionen bleiben müssen, werden in Notunterkünften untergebracht. Derzeit wohnen über 500.000 obdachlose Personen in provisorisch aufgebauten Zeltstädten, von denen einige bereits durch die früh einsetzende Regenzeit bedroht sind. Aufgrund der Eile, mit der die Hilfe benötigt wurde, konnte nicht immer an so genannte genderspezifische Nothilfe gedacht werden. Diese Form der Nothilfe ist für Frauen und Kinder gedacht, für die ein Erdbeben oder andere Naturkatastrophen ein doppeltes Unglück sind. Sie können nicht nur alles verlieren, sondern sind auch Vergewaltigungen oder brutalen Überfällen schutzlos ausgeliefert.

Die Realität in Haiti ist, dass viele Frauen im Freien, hinter aufgespannten Bettlaken oder unter Plastikplanen übernachten und sie so jeder sehen kann. Eine Frau berichtete, dass ziellos durch die Lager stromernde Männer als böse Wesen bezeichnet werden. Aufgrund dieser besonderen Notlage von Frauen gibt es Wochen nach dem "Ereignis" Organisationen, die Notunterkünfte sowie separate Latrinen und geschützte Waschräume für Frauen bauen. Außerdem gibt es zunehmend frauenspezifische medizinische Versorgung, die auch Medikamente zur sofortigen Behandlung nach sexuellem Missbrauch einschließen.

Die Verteilung der Nothilfegüter veranschaulicht einmal mehr den Status der Frau als die stützende Kraft der Familien. Sämtliche Waren wie Wasser, Reis, Bohnen, Öl und Salz, sowie Planen, Decken und Kleidung wurden beinahe ausschließlich an Frauen ausgegeben, da zum einen gehofft wurde, das so die Verteilungen ruhiger, geordneter und friedlicher ablaufen würden und zum anderen geglaubt wurde, dass die Hilfe bei den Bedürftigsten ankommt - Kinder, Frauen und Familien. Dabei standen auch der Schutz und der besondere Bedarf von Frauen und Kindern im Vordergrund.

Auch die langfristig angelegte Unterstützung soll Familien zu Gute kommen. Dazu gehören Saatgut und die Verteilung von Arbeitsmaterialien wie Werkzeug und Düngemittel. Der Wiederaufbau soll zügig angekurbelt werden und Frauen sollen besonders berücksichtigt werden.

"Ayiti cheri", wie die Haitianerinnen und Haitianer zärtlich ihr Land nennen und besingen, hatte vor dem Erdbeben so viel Potential wie schon lange nicht mehr, da es politisch ruhiger war, ökonomisch sicherer wurde und somit auch der Fokus auf rechtliche Umstrukturierung und sozialen Aufbau gelegt werden konnte. Dieses Potential, welches vor allem durch das Durchhaltevermögen und die Beharrlichkeit der Bevölkerung vorhanden war, ist auch trotz dieses schrecklichen Bebens nicht komplett verschüttet. Das Leid der Menschen und die Misere des Landes werden noch lange anhalten, aber wie die haitianische Schriftstellerin Kettly Mars formuliert: "Am Leben bleiben und das Leben fortführen. Tag für Tag, Stunde um Stunde. […] Vielleicht entspringt dieser Bewährungsprobe eine Kraft, die uns die Augen öffnet, die uns zu erkennen hilft, wer wir sind. Wir haben das Recht, jetzt mit reiner Leidenschaft zu träumen. Und doch brauchen wir auch die Kraft anderer gewiss für lange Zeit."


Monika Falkenberg arbeitete als Fachkraft des DED von 2007-2009 in Haiti.