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"Journalisten zahlen in Mexiko einen hohen Preis für investigative Berichterstattung"

Lesedauer: 4 Minuten
Zeitungen in Mexiko. Foto: ishiba, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

 

22. Juni 2011
Zwar wird in der mexikanischen Presse oft über Gewalttaten berichtet, wirklich kritischer Journalismus findet jedoch aus Angst vor Übergriffen nur selten statt. In Mexiko gehört Ciudad Juarez zu den gefährlichsten Städten, dennoch gibt es eine kleine Gruppe von Reportern, Fotografen und Kameramännern, die bereit sind, tägliche Berichterstattung mit gesellschaftlicher Verantwortung zu leisten. Ein Interview mit Luz del Carmen Sosa Carrizosa.


Heinrich-Böll-Stiftung: Wie ist die aktuelle Situation an der Nordgrenze Mexikos?

Luz del Carmen Sosa Carrizosa: Ciudad Juarez befindet sich in einer typischen Situation der Gewalt, in der sich die Gewalttaten verschärft haben, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer Anzahl, sondern auch in der Zunahme der Brutalität und dem damit verbundenen Verlust menschlichen Lebens. Juarez steckt in einer schweren Krise, die durch die allgemeine Straflosigkeit entstanden ist, denn die für die Morde verantwortlichen Personen werden nicht festgenommen. Seit 2008 bis heute sind mehr als 8.700 Morde passiert. Gleichzeitig sind neue Verbrechensformen hinzugekommen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Entführungen, Erpressungen, Überfälle oder Gewalt innerhalb der Familie. In Ciudad Juarez herrscht deshalb leider eine absolut chaotische Situation.

Unter welchen Bedingungen arbeiten die Medien in Ciudad Juarez?

Unter hohem Risiko. In Ciudad Juarez sind zahlreiche Überfälle erfolgt, die unter anderem zum Tod von zwei Journalistenkollegen, Armando Rodríguez und Luis Carlos Santiago Orozco, führten. Ich denke, wir haben einen sehr hohen Preis bezahlt. Trotzdem besteht das Interesse der Journalisten daran, die journalistische Tätigkeit fortzusetzen, uns nicht geschlagen zu geben und diesen anprangernden Journalismus weiterzuführen, der für einen Wandel in der Gesellschaft notwendig ist. Zurzeit gibt es in Ciudad Juarez eine Gruppe von Reportern, Fotografen und Kameramännern, die bereit sind, diese tägliche Arbeit mit gesellschaftlicher Verantwortung zu leisten. Deshalb glaube ich, dass – obwohl Juarez als die Stadt mit dem höchsten Risiko für die Ausübung des Journalismus gilt – wir Journalisten zu dieser Arbeit bereit sind.

Wie arbeiten Sie als Journalistin?

Ich gehe jeden Tag mit meinem Fotografen auf die Straße. Wir sind immer zusammen. Wenn wir losgehen, wissen wir nicht, was uns der Tag bringen wird. Wir berichten über verschiedene Gewalttaten, aber auch über die Bürger, die ihren normalen Alltag leben und ganz gewöhnliche Dinge tun, die jedoch in diesem herrschenden Klima der Unsicherheit zu außergewöhnlichen Dingen werden. Wir kritisieren den gescheiterten Staat, in dem wir leben und ich denke, dadurch ist es uns gelungen, die Menschen in unserem Land und in der Welt über die Situation in Juarez zu informieren. Ich kann dir sagen, dass ich einen langen Arbeitstag habe, der etwa zwölf Stunden oder länger dauert. Aber ich glaube, es lohnt sich. Es lohnt sich, diese Arbeit zu tun.

Inwieweit kontrollieren die Drogenbosse die Berichterstattung?

Ich möchte über das Unternehmen sprechen, in dem ich arbeite. Es werden in der Redaktion Entscheidungen zu bestimmten Ereignissen getroffen, zum Beispiel zu Videos, die im Internet hochgeladen werden, zu den so genannten „Narcomantas“ (Transparente, auf denen Botschaften/Erklärungen/Drohungen und Ähnliches stehen), oder den Botschaften, die sie bei den Leichnamen hinterlassen. Man muss den Inhalt der Information einschätzen und sehen, ob sie wirklich ein Ereignis darstellen, über das berichtet werden sollte, denn wir wollen keine Sprecher der Drogenhändler sein. Es gibt jedoch auch ernsthafte Vorwürfe, die über diese Transparente publik gemacht werden, die dokumentiert und untersucht werden sollten. Denn sie weisen auf die Korruption des mexikanischen Staates und den Schutz hin, der speziell der Gruppe des Kartells Sinaloa gewährt wird. Deshalb glaube ich, es muss der Inhalt der bewerteten Information analysiert werden, um zu entscheiden, ob etwas veröffentlicht wird oder nicht. Es gibt bereits einen nationalen Pakt der großen Kommunikationsmedien, bei dem sie sich für die Selbstzensur entschieden haben. Dies kann man respektieren. Es sind Entscheidungen, die respektiert werden, aber ich denke, es muss mehr Verantwortung dahingehend geübt werden, was von dem, was wir erleben, verbreitet wird und was nicht.

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Luz del Carmen Sosa Carrizosa ist Journalistin

 
 
 

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