Archivierter Inhalt

Demokratiearbeit im Nahen Osten und Nordafrika

Lesedauer: 4 Minuten
Tahrir Platz. Bild: Hossam el-Hamalawy. Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0. Original: Flickr

Gerade vor dem Hintergrund des arabischen Frühlings hat die Debatte um Demokratisierung in der Region eine gänzlich neue Bedeutung bekommen. Länder mit vormals fest etablierten autokratischen Regimen wurden zum Zentrum der breitesten Demokratisierungswelle seit 1989. Wie weit diese Welle noch tragen wird, bleibt in Anbetracht widersprüchlicher Entwicklungen und anhaltender Auseinandersetzungen zu beobachten.

Grundsätze und Hauptthemen der Demokratiearbeit:

Die Demokratiearbeit bildet als Querschnittsthema einen Kernbereich der Auslandsarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung. Unsere Arbeit zielt auf ein partizipatives Demokratiemodell ab, das sich den heterogenen Strukturen der jeweiligen Gesellschaften anpasst.

In den Staaten, die sich in Transformationsprozessen befinden, stehen die demokratische Ausgestaltung der Verfassung sowie deren Grundprinzipien im Mittelpunkt. Die Umsetzung einer neuen demokratischen Ordnung will bewältigt werden während sich Entscheidungsträger/innen gleichzeitig mit der juristischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Wichtig ist hierbei, jedes Land in seiner individuellen Situation zu betrachten und nicht aufgrund der Gleichzeitigkeit der Umbrüche auf eine Gleichheit der politischen und sozialen Lage zu schließen. Die Geschichte des jeweiligen Landes sowie spezifische wirtschaftliche und politische Strukturen bedingen unterschiedliche Ausgangssituationen für den jeweiligen Umbruch.

Arbeit in den Büros:

In anderen Staaten, wie etwa  im Libanon, verlangen Krisen der jeweiligen Demokratiemodelle ein Umdenken. Der Libanon ist formal eine Demokratie, mit regelmäßigen Wahlen, einer regen Medienlandschaft und aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die politische Auseinandersetzung findet jedoch vor allem entlang ethno-konfessioneller Konfliktlinien statt, sodass die politischen Parteien jenseits ihrer jeweiligen Gruppenzugehörigkeit kaum ein Parteiprogramm vorweisen können und sich mehrheitlich ihrer strategischen Position und dem Kampf um die Kontrolle von Ressourcen widmen. Dies hemmt die notwendige demokratische Auseinandersetzung mit Governance-Problemen wie Korruption, Nepotismus, Intransparenz und Nichterfüllung staatlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge, sowie mangelnde soziale und ökologische Gerechtigkeit. Zudem hat die Situation im benachbarten Syrien eine zunehmend destabilisierende Wirkung auf das Land, was die schwierige politische Lage verstärkt und Differenzen zu verschärfen droht. Gleichzeitig gibt es jedoch eine rege junge kulturelle und politische Szene, die für politische Auseinandersetzung jenseits der ethno-konfessionellen Gräben wirbt und nach Alternativen zu den bestehenden Strukturen sucht. Im Büro der hbs Beirut sind die Komponenten Konfliktbearbeitung und Demokratie eng miteinander verknüpft. Unter den Schlagworten Staatlichkeit und Partizipation beschäftigt sich das Büro vor allem mit dem Entwurf von Staatsbürgerschaft in heterogenen Gesellschaften wie dem Libanon und Fragen der Rechtsstaatlichkeit.

Das Büro Tel Aviv arbeitet mit Partnern, die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Rechte von Minderheiten, vor allem der arabischen Minderheit, sowie für Bürger- und Menschenrechte einsetzen. Infolge der sozialen Proteste, die im Sommer 2011 breite Massen in verschiedenen israelischen Städten auf die Straßen brachten, kooperiert das Büro auch verstärkt zu Fragen sozialer Gerechtigkeit. Die Demokratiearbeit des Israel-Büros steht im Kontext des ungelösten Nahostkonflikts, der Konsequenzen der fortdauernden Besatzung des Westjordanlandes und der Blockade des Gazastreifens für die Bevölkerungen in Israel und Palästina.

In Ramallah steht die Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure, die sich für demokratische Reformen einsetzen, im Vordergrund. Auch hier kooperiert die Heinrich-Böll-Stiftung sowohl mit Graswurzelinitiativen und professionell arbeitenden NGOs als auch mit Instituten, die sich der Demokratieforschung im Kontext des Konfliktes widmen. Ein weiteres Thema dieser Programmkomponente ist der Reformbedarf in Jordanien.

Mit der Eröffnung ihres neuen Büros in Tunis hat die hbs begonnen, ihr Nahostprogramm auch auf Nordafrika auszudehnen. Die Arbeit hat Mitte 2012 begonnen und konnte auf frühere Kooperationen mit tunesischen Blogger- und Frauenrechtsorganisationen zurückgreifen. Die langjährige Zusammenarbeit mit ägyptischen Menschenrechtsorganisationen wird von Tunis aus neu gestaltet. Im Kontext der politischen Transformation arbeitet die hbs mit zahlreichen neuen Partnerorganisationen an Demokratieentwicklung und politischer Partizipation. Im Ökologiebereich wird sich die hbs auf das Thema eines demokratischen und gerechten Umgangs mit natürlichen Ressourcen in der Region konzentrieren.