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Israelis für Achmadinejad?

19. Juni 2009
Von Jörn Böhme
Von Jörn Böhme, Tel Aviv

Der Ausgang der Wahlen im Iran und die folgenden Ereignisse hatten es nicht einfach, in Israel Aufmerksamkeit zu finden. Gemeint ist hier nicht die steigende Gleichgültigkeit gegenüber politischen Ereignissen. Gemeint ist auch nicht die Beschäftigung der Öffentlichkeit mit der Matratze, die angeblich mit einer Millionen Dollarnoten vollgestopft war und die die Tochter der Besitzerin weggeworfen hatte, nachdem sie ihrer Mutter als Überraschung eine neue gekauft hatte. Und schließlich ist auch nicht der Fall des TV-Unterhalters Dudu Topaz gemeint, der Schläger anheuerte, um Fernsehproduzenten einzuschüchtern, die sich geweigert hatten, ihm eine Show zu geben.

Der Tag nach den iranischen Wahlen war ein Samstag, der Tag an dem in Israel keine Zeitungen erscheinen. Am Sonntag waren die Zeitungen voll mit Artikeln über die bevorstehende Grundsatzrede von Ministerpräsident Netanyhu. Ab Montag beherrschten schließlich diese Rede und die unterschiedlichen Kommentare und Interpretationen die Zeitungen.

Vorteil Achmadinejads

Im Diskurs zu den Wahlen im Iran gibt eine Strömung den Ton an, die besagt, dass es für die israelischen Interessen von Vorteil sei, wenn der bisherige Präsident Achmadinejad weiterhin im Amt bleibe. Danach würde ein gemäßigter Kandidat die Isolation des Iran aufbrechen. Angesichts der Tatsache, dass Ayatollah Khamenei die eigentlichen Entscheidungen treffe und der Präsident diese nur ausführe, würde auf diese Art und Weise die Lebensdauer des Regimes verlängert und damit die Gefahr einer Nuklearisierung des Iran gesteigert.
In dieser Argumentation wird auf das Beispiel des ehemaligen Präsidenten Khatami verwiesen. Dessen Wahl 1997 und 2001 habe zu einer Überwindung der Isolation beigetragen und Türen geöffnet, die zuvor verschlossen waren. Khatami sei es gelungen eine potentielle Explosion von innen zu neutralisieren und die Kritik von außen zu verwässern. Damit habe er tatsächlich die Lebensdauer des islamischen Regimes verlängert.

Diese Sichtweise kommt in der Erklärung des israelischen Außenministers Lieberman nach den iranischen Wahlen zum Ausdruck: das Problem, dass der Iran für die internationale Gemeinschaft darstelle, sei nicht personeller Natur, sondern rühre von seiner Politik her. Der stellvertretende Außenminister Dani Ayalon, ebenfalls von der Partei Yisrael Beteinu, ergänzte: Israel habe sich keinen Illusionen hingegeben, da zwischen den beiden Kandidaten hinsichtlich des iranischen Atomprogramms und dem iranischen Terrorismus kein substantieller Unterschied bestehe.

In einer Sondersitzung des israelischen Parlaments zu den Ereignissen im Iran, brachte diese Haltung unter anderem der Abgeordnete Menachem Eliezer Moses von der Partei United Torah Judaism vor. Er sei durchaus froh darüber, dass Achmadinejad die Wahlen gewonnen habe. "Es sei besser, mit einem Feind konfrontiert zu sein, den man kenne und mit dem man wisse umzugehen, als mit einem versteckten Feind, den man nicht kenne und der sich hinter einer Fassade vermeintlichen Fortschritts verstecke, von dem man jedoch wisse, dass er auch nicht besser sei, als sein Vorgänger."

Keine Demokratie

Für Ministerpräsident Netanyahu sind die der Wahl folgenden Unruhen der Beleg dafür, dass der Iran keine Demokratie ist. In Demokratien gebe es im Anschluss an Wahlen keine Gewalt. Es sei wichtig, auf den Iran den notwendigen Druck auszuüben, wenn nötig, die Sanktionen umzusetzen und alle Optionen offen zu halten (dies unter Verweis auf US-Präsident Obama), um den Iranern klar zu machen, dass sie so nicht weitermachen können.

Entgegen vielfacher Annahmen widmete Benjamin Netanyahu nur eine kurze Passage in seiner Grundsatzrede vom 14. Juni dem Iran. Einige Kommentatoren würdigten das als eine kluge Entscheidung, um dem Vorwurf entgegenzuwirken, Netanyahu benutze die Lage im Iran, um sich nicht mit den drängenden Fragen des israelisch-palästinensischen Konfliktes auseinanderzusetzen.

Macht an Schwelle zur Nuklearisierung

Doch es gibt auch die Gegenposition: In der liberalen Tageszeitung Haaretz schreibt Aluf Benn, es sei schwer, sich einen offensichtlicheren Ausdruck für den bornierten Horizont von israelischem strategischen Denken vorzustellen. Um die Unsinnigkeit des oben beschriebenen Denkens zu erkennen, müsse man sich nur ansehen, was in den vier Jahren unter Präsident Achmadinejad passiert sei: Trotz der Unterstützung aus den USA und Europa für Israel sei es nicht gelungen, die Ausweitung der Urananreicherung im Iran zu stoppen und Hamas sowie Hizbollah würden sich ungestört mit Waffen versorgen. Seiner Einschätzung nach ist die Welt dabei, Iran als eine Macht zu akzeptieren, die sich an der Schwelle zur Nuklearisierung befindet. Vielleicht werde sich die Welt sogar mit einem nuklearen Iran abfinden. Für Israel werde es schwierig, den Iran zu bombardieren, wenn Obama dagegen sei und vielleicht sei es ohnehin zu spät dafür. Unter diesen Umständen sei es im israelischen Interesse, in der iranischen Führung Personen zu wissen, die die Dinge in der Region beruhigen, anstatt sie aufzuheizen.

Insgesamt scheint sich in Israel zurzeit ein Politikwandel zu vollziehen, was den Iran anbelangt. Dass Benyamin Netanyu nur einen überraschend kleinen Teil seiner Rede der iranischen Bedrohung widmete, wurde bereits erwähnt. Er bewegte sich im Gegensatz zu früheren Äußerungen zurück auf die Position seiner Vorgänger Olmert und Scharon und betonte die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft im Blick auf die Bedrohung aus dem Iran. Ebenfalls im Gegensatz zu früheren Äußerungen erklärte wenige Tage nach der Wahl im Iran der Chef des Auslandsgeheimdienstes, Meir Dagan, einem Knessetausschuss, dass der Iran im Jahr 2014 über eine Atombombe verfügen werde, wenn es zu keinen Schwierigkeiten bis dahin komme. Damit ist ein Zeitpunkt benannt, der jenseits der Amtszeit von Ministerpräsident Netanyahu liegt und der sich mit der Einschätzung US-amerikanischer Geheimdienste deckt.
Auch eine neue Umfrage brachte erstaunliche Ergebnisse. Das Institute for National Security Studies (INSS) ließ 616 jüdische Israelis (zur Befragung palästinensischer Bürger Israels reichte das Budget nicht) zum Thema Iran befragen. Danach ist nur jeder fünfte Israeli der Meinung, dass der Iran versuchen werde, Israel zu zerstören, wenn er über Atomwaffen verfügt. 80 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass ihr Leben normal weitergehen werde, auch wenn der Iran über Nuklearwaffen verfügt. 51 Prozent der Befragten befürworten einen möglichen militärischen Angriff gegen den Iran, 49 Prozent sind dagegen.

Unruhen enden nicht in Revolution

Ob der Chef des Auslandsgeheimdienstes mit einer weiteren Einschätzung Recht behält, die er dem Parlamentsausschuss vortrug, wird sich zeigen. Er meinte, dass die Unruhen im Iran nach wenigen Tagen abebben werden und nicht in eine Revolution eskalieren werden.  Soli Shahvar vom Ezri Center for Iran and Persian Gulf Studies an der Universität Haifa sieht dagegen in den Unruhen ein mögliches Anzeichen für das Ende des Ayatollah-Regims.

Ein Kommentator sieht angesichts der Entwicklungen im Iran drei Optionen für Ayatollah Khamenei: er kann Achmadinejad opfern, er kann die Proteste mit Gewalt unterdrücken und er kann versuchen, einen Kompromiss zu finden, der für Hossein Mousavi akzeptabel ist.

Diskurse Israels in Bezug zu Iran

Derweil gehen die in Israel üblichen Diskurse weiter – nun mit Bezug zum Iran. Der Journalist Gideon Levy von Haaretz, der unermüdlich die israelische Besatzung sowie die Gleichgültigkeit der israelischen Bevölkerung kritisiert, bringt seinen Neid angesichts der Proteste im Iran zum Ausdruck. Auch in Demokratien dürfe sich der Kampf um Gerechtigkeit nicht nur in Umfragen und Wahlen ausdrücken, sondern ein solcher Kampf müsse in den Straßen geführt werden. Doch in Israel gingen die Menschen nur auf die Strasse, wenn es Festivals gebe, aber nicht wegen öffentlicher Skandale. Wenn aber die Straße still sei, blieben nur die Führungen übrig und die seien nur mit ihrem politischen Überleben beschäftigt.


Jörn Böhme ist Büroleiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

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