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Tiefe Solidarität und Anteilnahme sowie Unterstützung der Forderungen der Menschen im Iran

Lesedauer: 9 Minuten

7. Juli 2009
Politisches Grußwort und einleitender Beitrag von Claudia Roth auf der Iran-Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung am 02.07.2009


Vielen Dank liebe Barbara und lieber Bernd für die Einladung, vielen Dank für das Interesse und Ihr Kommen!

Mein Beitrag soll ein politisches Grußwort sein. Er ist geprägt von der Verbundenheit mit den Menschen im Iran und mit den Menschen aus dem Iran, die unsere Freunde hier sind. Mein Beitrag wird viele Fragen offen lassen, die wichtig sind für einen angemessenen Umgang mit dem Iran. Welche Strategie wäre richtig und vielversprechend, um die Menschen im Iran zu unterstützen.

Die letzten zweieinhalb Wochen waren nicht nur im Iran bewegend, voller Hoffnung und Sehnsucht nach Demokratie, aber auch voller menschlicher Tragödien, voller Entsetzen über eine entfesselte Gewalt. Die ganze Welt und die internationale Gemeinschaft haben die Hoffnungen von vielen Millionen Menschen im Iran, ihre Wut und Empörung geteilt. Auch wir Grüne haben die Forderungen der Menschen im Iran selbstverständlich unterstützt und uns bemüht, unsere tiefe Solidarität und Anteilnahme zu bekunden, auf unterschiedlichen Ebenen. Es entspricht unserem Verständnis von der Universalität der Menschenrechte, unserem Verständnis von Selbstbestimmung und Demokratie, dass die Menschen im Iran gewaltfrei und mit friedlichen Mitteln die Zukunft ihres Landes mit gestalten sollen.

Wir Grüne lagen mit unseren Einschätzungen zu den Wahlen und unseren zeitnahen Stellungnahmen zu den Ergebnissen richtig:

  • Wir haben das Ausmaß von Fälschung und Manipulation der Wahlen nicht klein geredet.
  • Und wir haben die berechtigte Empörung in der Bevölkerung nicht unterschätzt.
  • Wir haben auf die Legitimität des Protestes hingewiesen
  • und die brutale Gewalt der Regierung kritisiert.

Die Hinweise auf Wahlfälschungen – und zwar im großen Stil – waren  schließlich mehr als deutlich. Man lese nur die Analyse von Chatham House.

Der einzig richtige Weg aus der tiefen Vertrauenskrise ist nicht eine Überprüfung der Wahl durch dieselben Kreise des Regimes, die auch für die Fälschungen verantwortlich sind. Er liegt letztlich nur in einer Annullierung der Wahlen, so wie sie Mussawi und Karrubi und ihre Unterstützer sie – trotz des großen Drucks – noch immer fordern. Wir unterstützen die Forderungen nach Neuwahlen, die transparenten Kontrollmechanismen unterworfen sein müssen.

Wer das nicht deutlich sagt und sich stattdessen hinter dem Argument der Nichteinmischung versteckt, ignoriert schlicht und einfach die Fakten. Wir Grüne dürfen vor solchen Entwicklungen nicht die Augen verschließen. Sie sind für die Zukunft Irans, für die Region und die internationale Gemeinschaft  von großer Bedeutung.
Wir wollen uns nicht einmischen, weil wir bestimmen wollen, wer den Iran regiert. Wir wollen auch keine Politik des Regime-Change wie einst George W. Bush – aber wir müssen uns einmischen, massiv einmischen,

  • wenn die Menschenrechte im Iran mit Füßen getreten werden,
  • wenn in diesen Tagen Menschen verschleppt, eingekerkert, verletzt und getötet werden,
  • wenn atomare Aufrüstung stattfindet,
  • und wenn eine Protestbewegung gegen die fehlende Legitimität der Wahlen im Iran friedlich protestiert.

Und das werden wir weiterhin tun!

Der iranische Staatsapparat hat trotz strategischer Vorbereitungen für eine perfekt organisierte Wahlfälschung offensichtlich nicht geahnt,  welch ein großes und kritisches Reformpotenzial in der Bevölkerung vorhanden ist und wie es sich Bahn brechen kann. Umso brutaler, dreister und rücksichtsloser war die Art und Weise, wie die friedlichen Protestkundgebungen unterbunden und blutig bekämpft worden sind und bekämpft werden.
Die demokratischen Proteste haben neben der Wahlfälschung noch weitere Gründe. Es hat sich großer Unmut angestaut

  • über die alltäglichen Schikanen, Diskriminierungen und Ausgrenzungen, die die Menschen im Iran erfahren – besonders heftig natürlich die Frauen, die jetzt auch mutig und selbstbewusst eine ganz zentrale Rolle spielen;
  • über eine zum  Himmel schreiende Vetternwirtschaft, Korruption, Lüge und Doppelmoral, die Ahmadineschad und seine Verbündeten als  „Tugenden“ verkaufen wollen;
  • über ein Wahlergebnis, das nicht im Ansatz die Kritik an der Regierung und die Hoffnungen der Reformer widerspiegelte und ganz offensichtlich kein Ergebnis regulärer, fairer Wahlen war.

Das Staatsoberhaupt Ayatollah Chamene’i hat sich nach den Vorwürfen des Wahlbetrugs eindeutig parteiisch positioniert und klar gemacht, dass er Ahmadineschad als Präsidenten haben will – auch um den Preis einer mit Gewalt aufrecht erhaltenen Diktatur.

Nicht dass der Iran vorher eine Musterdemokratie gewesen wäre – und nicht dass Mussawi und andere Reformer in vielen Fragen nicht auch problematische Positionen vertreten würden, aber spätestens die aggressive Freitagspredigt von Chamene’i brachte eine neue Qualität. Der „revolutionäre Führer“ ist längst nicht mehr um Ausgleich bemüht, sondern ergreift einseitig Partei: Zugunsten eines religiös-fundamentalistischen Machtzirkels von Sicherheits- und Militärkommandeuren. Aus dem Wahlputsch wird immer mehr ein Militärputsch.

Eine der Folgen scheint  übrigens auch der Verlust der Rückendeckung der Machthaber bei großen Teilen des schiitischen Klerus, der die Wahlfälschung teils offen kritisierte. Welche Konsequenzen es hat, wenn Rechtsgelehrte, die das iranische System der „Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten“ bisher mit trugen, sich nun abwenden, bleibt abzuwarten. Aber das Vertrauen in Chamene’i ist auch hier unverkennbar angeschlagen.

Eins ist klar: Es kann und wird im Iran nicht so weitergehen wie bisher! Was bedeutet das aber konkret in der politischen Umsetzung, was bedeutet das für unsere Haltung zum Iran und zur ganzen Region mit ihren zahleichen Konfliktherden?

  • Der iranische Wahlkampf,
  • die große Mobilisierung im Iran,
  • die enorm hohe Wahlbeteiligung,
  • die eingeforderten Bürger- und Freiheitsrechte,
  • die Proteste, die das System in seinen Grundfesten erschütterten -

sie sind eine Warnung und eine Lehre zugleich: Der Iran lässt sich nicht auf sein Atomprogramm reduzieren, das Land darf nicht nur unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten wahrgenommen werden. Diese verkürzte Wahrnehmung war ein Grundfehler der internationalen Politik in der Vergangenheit, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten im Bundestag und im Europaparlament kritisiert haben – vielleicht aber mit zu wenig Nachdruck, denn die menschenrechtspolitische Komponente blieb in der Iran-Politik stets nachrangig und rangierte häufig nur unter „ferner liefen“.

Um es noch einmal zu betonen:

  • Es ist richtig, dass die internationale Gemeinschaft sich nicht anmaßt, mitentscheiden zu wollen, wer den Iran regiert.
  • Umso wichtiger ist es aber, die iranische Regierung vor weiterer Gewalt gegen die Opposition zu warnen und ihr klar zu machen, dass die Welt genau hinsieht, was im Iran passiert, zu zeigen, auf welcher Seite wir stehen und das ist bestimmt nicht die des Regimes.

Wenn auch Länder wie Russland, dessen Positionen z.B. von der europäischen bisher oft abwichen, sich nun dieser Linie anschließt, dann wird das die iranische Führung nicht unbeeindruckt lassen. 

In einer Situation, in der das Schicksal Hunderter ungeklärt ist und die Führung im Iran massive Gewalt anwendet, können wir in unserer Politik gegenüber Iran nicht einfach zur Tagesordnung übergehen – das ist allen Akteuren klar.

Andererseits gebe ich aber auch zu bedenken: Wer jetzt vorschnell fordert, den Iran komplett zu isolieren, harte Sanktionen zu beschließen und Obamas Dialoginitiative zu den Akten zu legen, der muss sich auch über die möglichen Folgen solcher Entscheidungen Gedanken machen:

  • Wie und auf wen wirken Sanktionen?
  • Welche Ziele sollen und können damit erreicht werden?
  • Wann können Sanktionen auch kontraproduktiv wirken?
  • Darüber sollten wir mit den politischen Akteuren im und aus dem Iran diskutieren. Wir kennen z.B. Shirin Ebadis Forderungen wie einige andere aus dem iranischen Reformlager, die politische aber explizit keine wirtschaftlichen Sanktionen fordern.

Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass ein Ahmadineschad wegen noch so harter Sanktionen sein Atomprogramm kurzfristig beenden und sich verhandlungsbereiter zeigen würde, als er es bisher war. Wenn überhaupt, kann es nur um Sanktionen gehen, die die Führung treffen und nicht die Bevölkerung – also solche, wie der Sicherheitsrat sie längst beschlossen hat, um das iranische Atomprogramm zu verlangsamen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die richtigen Signale senden, die der iranischen Führung klar machen, dass ihr Kurs der Gewalt nicht akzeptiert wird – ohne gleich jede Tür zuzuschlagen.

Denn welche Folgen hätten ein Gesprächsabbruch und der Ausschluss des weiteren Dialogs für die Zukunft des Atomprogramms - das mittlerweile weit vorangeschritten ist? Es wird nur im Rahmen internationaler Verhandlungen sicher zu stellen sein, dass keine militärische Nutzung erfolgt.

Die Zeit drängt, denn nach allgemeiner Einschätzung könnte der Iran schon 2010 eine Atombombe bauen. Wenn das stimmt, ist Obamas Strategiewechsel der letzte Versuch, diesen Konflikt friedlich zu lösen. Deshalb muss man grundsätzlich diese neue Linie der USA unterstützen – auch wenn in diesen Tagen nur schwer vorstellbar ist, wie dieser Dialog funktionieren könnte.

Diplomatie, damit meine ich nicht die leisetreterische sondern laut und deutlich auftretende, gegenüber Iran und Verhandlungen über die Atomfrage liegen letztlich in unserem Interesse – und natürlich auch in dem von Israel, das wegen des Atomprogramms verständlicherweise sehr besorgt ist. Der Dialog ist schlichtweg eine Notwendigkeit – sind es doch Chamene’i und Ahmadineschad, die sich als große Widersacher des Westens aufspielen und mit diesem Dialog offensichtlich Probleme haben. 

Wo wir können, müssen wir jetzt Öffnung, nicht die Isolation der Menschen im Iran unterstützen. Das erwarten die Jungen und Alten, die Männer und Frauen auf den Dächern und Straßen in Iran. Eine solche Öffnung kann zum Beispiel mit einer Offensive in den Kulturbeziehungen und beim Austausch unterstützt werden:

  • Stipendien für Studierende,
  • Kulturprojekte,
  • Reisen und Einladungen,
  • aktive Hilfe für jene im Iran, die an einer Öffnung interessiert sind -

das sind eben nicht nur

  • die jungen Gebildeten aus Nord-Teheran,
  • sondern IranerInnen aus allen Schichten,
  • Angehörige aller ethnischen Gruppen,
  • Akteure aus dem Parlament und der Regierung,
  • NGO´s,
  • Vertreter aus Sport und Kultur,
  • und aus der Wirtschaft. Denn die Wirtschaft ist einer der wichtigsten Akteure überhaupt. Wobei auch die deutsche Wirtschaft ganz besonders in der Pflicht ist, und Siemens sowieso in der aktuellen Berichtpflicht!

In der jetzigen Situation wird das Regime alles tun, solche Kontakte zu verhindern. Sie setzen auf die Isolation vom Westen. Wir müssen aufpassen, damit wir diesem Plan nicht auf den Leim gehen, wenn wir unsere Reaktion auf die skandalösen Vorgänge im Land beraten.
Wir sind für klare Solidaritätssignale in der EU unter allen 27 Mitgliedsstaaten, aber Überlegungen wie umfassende Visa-Sperren für Iranerinnen und Iraner sind Gift und absolut kontraproduktiv.

Das Wichtigste ist jetzt zweifellos die Solidarität mit den Menschen – und zwar mit jedem Einzelnen, der jetzt im Iran im Gefängnis sitzt oder in seiner Sicherheit und Freiheit bedroht ist.

  • Wir müssen die Namen all derer herausfinden, die verhaftet wurden und uns für sie einsetzen.
  • Wir müssen den Familien beistehen.
  • Wir müssen dazu beitragen, dass die Gewalt nicht ausufert, sondern aufhört.

Die mutigen Menschen im Iran sollen sich nicht alleingelassen fühlen – das ist unsere wichtigste Aufgabe. Vergesst sie nicht. Denn Vergessen tötet!

Dossier

Machtkampf im Iran: Wo ist meine Stimme geblieben?

Drei Millionen Iraner_innen gingen vor einem Jahr auf die Straße und drückten ihren Unwillen aus. Grün - wurde die Farbe der Bewegung; Grün - als Symbol der Hoffnung auf einen politischen Wandel. Kann aus dem grünen Funken, der besonders unter den gebildeten jungen Iraner/innen weiter lebt, erneut ein Feuer der Freiheit werden?