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Die Freitagspredigt Rafsanjanis: ein Teilerfolg und Konsolidierung der Oppositionsbewegung

22. Juli 2009
Von Golchehreh Halilroudi
Von Golchehreh Halilroudi

Seit über einem Monat dauern die Proteste im Iran gegen die Fälschung der Wahlergebnisse des 12. Juni. Von der Bevölkerung werden sie eindeutig als coup d’état wahrgenommen. Das Ausmaß dieser Proteste geht über alle bisherigen oppositionellen Bewegungen in der Islamischen Republik hinaus. Die enthemmte Gewalt, mit der die Regierung des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und deren Schergen gegen die Demonstrierenden vorgehen, hat Dimensionen erreicht, die das Land in tiefe Bestürzung versetzt und sogar die verschworenen Anhänger der iranischen Regierung dazu gebracht hat, an der Rechtschaffenheit ihrer politischen Führung zu zweifeln.

Das unmittelbare Ziel der Protestierenden, die Annullierung der Präsidentschaftswahlen und eine anschließende Wiederwahl mit der Anwesenheit neutraler Beobachter, wurde nicht erreicht. Die politische und geistige Führung des Landes unter Ayatollah Khamenei hat die Wahlergebnisse als rechtmäßig anerkannt und sich hinter den vermeintlich wiedergewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gestellt. Die klare Positionierung der Führung Irans und die Anwendung politischer Gewalt gegen die Oppositionellen haben allerdings dazu geführt, dass innerhalb des konservativen Establishments tiefe Gräben entstanden sind. So haben sich in den vergangenen Wochen selbst notorisch konservative Politiker und eine beachtliche Anzahl der Kleriker sichtbar von Revolutionsführer Khamenei distanziert und sich zu den Forderungen der Protestierenden bekannt. Die ohnehin reformorientierten Politiker und Geistlichen haben ihre Kritiken verschärft und - wie etwa im Falle des Großayatollahs Hossein Ali Montazeri  - die Führung Irans zum allerersten Mal öffentlich als illegitim angeprangert.

Eine „bittere“ Situation, in der alle verloren haben

Nach Wochen des Schweigens hat sich nun auch Ayatollah Ali Akbar Hashemi Rafsanjani zu den Geschehnissen im Iran nach den Wahlen am 12. Juni geäußert. Seine Rede, die er am 17. Juli anlässlich des traditionellen Freitagsgebets an der Universität von Teheran hielt, wurde im Iran zum größten Teil als positiv aufgenommen. Und sie gab der Reformbewegung spürbar neuen Elan. Rafsanjanis Worte waren vorsichtig gewählt und doch so eindeutig, dass sie als unmissverständliche Kritik gegenüber dem Duo Khamenei-Ahmadinedschad verstanden wurden.

Rafsanjani, der als Vorsitzender des Experten- und des Schlichtungsrats eine Schlüsselposition im iranischen Machtgefüge einnimmt, begann seine Rede mit einem Lob auf die Phase des Wahlkampfes, auf die hohe Wahlbeteiligung der Bevölkerung und ging anschließend auf den von Revolutionsführer Khomeini gewollten „demokratischen“ Charakter Irans ein. Iran sei, so sagte er, eine Islamische Republik und keine der beiden Komponenten, weder die islamische noch die republikanische könnten alleine existieren. Anschließend äußerte sich Rafsanjani zu den Geschehnissen der vergangenen Wochen, indem er die aktuelle Lage als Krise und eine „bittere“ Situation bezeichnete, aus der alle als Verlierer hervorgegangen seien. Ein beachtlicher Anteil der Menschen, so Rafsanjani, hätte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahlen und diesen Zweifeln müsse man nachgehen.

Rafsanjani fordert Freilassung der Festgenommenen

Beachtlicherweise sprach sich Rafsanjani zu der Gewaltanwendung durch die Polizei und die Bassij-Milizen aus, indem er die Freilassung derjenigen forderte, die im Laufe der Proteste festgenommen worden waren. Vor dem Hintergrund des Schicksals derjenigen wie Neda Soltan oder Sohrab Arabi, die während der Proteste oder in den Gefängnissen der Islamischen Republik getötet wurden und von der Oppositionsbewegung als Märtyrer gefeiert werden, sagte Rafsanjani, man müsse die Trauer ihrer Familien teilen und „ihre Herzen mit der Islamischen Republik versöhnen“. Gleichzeitig mit dem Aufruf zur „nationalen Einheit“ und der Einhaltung der Gesetze übte Rafsanjani in seiner Freitagspredigt eine klare Kritik an der Führung des Landes aus.

Die Umstände, unter denen Rafsanjani seine Rede hielt, sind aus mehreren Gründen zu beachten. Dass diese Predigt nicht wie üblich live im staatlichen Fernsehen übertragen wurde, spricht zunächst dafür, dass die Führung des Landes sich auf die Kritik Rafsanjanis eingestellt hatte. Dass Ayatollah Khamenei, der laut Verfassung die Freitagsprediger Teherans ernennt, Rafsanjani dennoch die Redeerlaubnis erteilt hat, deutet allerdings darauf hin, dass sich Khamenei seines enormen Legitimitätsverlusts bewusst geworden ist und seine immer schwächere Position zu festigen versucht, indem er der Oppositionsbewegung legale und relativ “harmlose“ Sprachrohre verschafft. Auch die Tatsache, dass es im Anschluss an die Predigt zu relativ wenigen gewaltsamen Auseinandersetzungen kam und keine Schüsse auf die Demonstrierenden gefeuert wurden, spricht dafür, dass den Bassij-Milizen diesmal keine „Lizenz zum Töten“ erteilt wurde, was wiederum auf einen Kompromisswillen der Regierung mit den Menschen hindeutet.

Iranische Führung verliert an Legitimität

Die Proteste in Teheran und anderen großen Städten Irans haben zu einem internen und externen Legitimitätsverlust der iranischen Führung geführt. Intern scheinen sich die Gräben innerhalb des politischen und geistlichen Establishments immer mehr zu weiten. In den religiösen Seminaren Qoms werden zur Zeit heftige Debatten geführt, die auf lange Sicht das Gefüge der schiitischen Geistlichkeit neu strukturieren werden. 36 Hochrangige Militärs haben laut Presseberichten versucht, die Predigt als Zeichen des Protests in Uniform zu besuchen, wurden jedoch vorher festgenommen. Selbst innerhalb des einflussreichen und loyalen Corps des iranischen Regimes, der Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran), haben sich Gräben zwischen derjenigen aufgetan, die sich für eine brutale Niederschlagung der Proteste aussprachen und derjenigen, die vor dem Ausmaß der angewandten Gewalt zurückschreckten.

Außenpolitisch hat die aktuelle Regierung einen erheblichen Legitimitätsverlust erlitten. Das Zeitfenster der diplomatischen Annährung mit der US-Regierung ist im Begriff, sich zu schließen. Die Regierungen der EU-Staaten sind sich unschlüssig über den Umgang mit einer Regierung, die sie aus Gründen der Moral und der internationalen Solidarität mit den Menschen im Iran nicht anerkennen dürften. Die Türen des Dialogs zu dieser wollen sie jedoch auch nicht zuschlagen, denn sie wissen aus Erfahrung, auch dies löst die Probleme mit dem Iran nicht. Auch die massiven Proteste der Iraner auf der ganzen Welt haben dazu beigetragen, dass die Regierung Irans außenpolitisch an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Währenddessen wurden Menschen auf der ganzen Welt dank moderner Medien auf den mutigen Protest der iranischen Bevölkerung aufmerksam gemacht.

Die aktuelle Regierung Irans, so wird es immer deutlicher, ist eine schwache Regierung. Da sie jedoch ihre Fehler der vergangenen Wochen nicht ungeschehen machen kann, versucht sie derzeit, ihren Machtverlust ohne einen erheblichen Gesichtsverlust hinzunehmen. Die Strategie hierbei besteht darin, mit der Opposition Kompromisse einzugehen und ihre Existenz auf der politischen Szenerie zu tolerieren. Auf lange Sicht hilft dies der Opposition, sich zu konsolidieren und politisch zu organisieren. Iran muss sich auf höchstens vier weitere Jahre unter der Präsidentschaft einstellen. In diesen Jahren kann sich eine neue Machtbalance zum Vorteil der Reformbewegung einstellen. Die Wiederwahl Ahmadinedschads könnte so paradoxerweise zum größten Machtverlust der Neo-konservativen im Iran führen.

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