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Strategien und Perspektiven der Grünen Bewegung im Iran

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Bilder: Atlat2. Die Bilder unterliegen einer Creative Commons Lizenz.

9. Juni 2010
Von Bahman Nirumand

Ob es zum Jahrestag der Präsidentschaftswahlen im Iran am 12. Juni abermals zu Unruhen kommen wird, ist noch ungewiss. Das Regime hat alle ihm zur Verfügungen stehenden Mittel eingesetzt, um der Bevölkerung Angst einzujagen und jedem zu drohen, mit der Teilnahme an der Protestbewegung langjährige Haftstrafen wenn nicht gar den Tod zu riskieren.  Die Polizei werde sich „jeder illegalen Versammlung“ entgegenstellen, erklärte Polizeichef Hossein Sadschadinia im Vorfeld des Jahrestages.

In der Tat wurden in den letzten Monaten die Repressionsmaßnahmen erheblich verschärft. Zahlreiche Festnahmen, durch Folter erzwungene Geständnisse, harte Urteile, Hinrichtungen sollen den Widerstand der Protestbewegung, der trotz zahlreicher Opfer neun Monate lang andauerte, brechen. Tatsächlich ist es im Iran seit Mitte Februar ruhiger geworden. Aber der massive Einsatz von Gewalt hat seinen Preis. Eine tiefe, bis weit in den Reihen der Konservativen reichende Spaltung hat das islamische Lager entzweit. Treue Anhänger des Systems, Staatsfunktionäre, die Jahrzehnte lang das Schicksal des Landes mitgelenkt haben, Inhaber von Schlüsselpositionen haben die Loyalität zu der Staatsführung aufgegeben. Gewichtige religiöse Instanzen, renommierte Großayatollahs, sind auf Distanz gegangen und Journalisten, Kulturschaffende, die überwiegende Mehrheit der Studenten und Millionen Angehörige der Zivilgesellschaft haben dem Regime den Rücken gekehrt. Zu alledem kommt der Verlust der Legitimität. Denn das Regime kann nach den offenkundig gewordenen Verbrechen der letzten Monate gegen Kritiker und Andersdenkende seinen Anspruch, ein islamischer Staat zu sein, nicht mehr aufrechterhalten. Die Turban tragenden Gottesmänner und ihre zivilen Weggefährten können sich nicht mehr auf die breiten Massen stützen, ihre Macht können sie nur noch mit Waffengewalt und Terror aufzwingen. Das ist für einen Staat, der die Bezeichnung Islamische Republik trägt, tödlich.

Dass das Regime zum Jahrestag der Revolution nicht einmal imstande war, in der vierzehn Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt, einige hunderttausend Anhänger zur Teilnahme an der Feier zu mobilisieren, zeigt das Ausmaß der Misere. Die Regierung sah sich gezwungen mit Bussen, Eisenbahnen und Lastwagen Leute aus der Provinz herbeizuholen, um breite Unterstützung im Volk vortäuschen zu können.

Doch trotz dieser für die Opposition günstig scheinende Lage, ist die Protestbewegung von ihren Zielen noch weit entfernt. Denn sie steht mit leeren Händen einer gut organisierten und zu jeder Brutalität bereiten Militärmacht gegenüber. Das Regime verfügt nicht nur über das Militär, die Polizei und die Sicherheitskräfte. Auch die Milizenorganisation der Basidjis und eine ganze Reihe paramilitärischer Organisationen stehen unter seinem Befehl. Gerade diese Kräfte, die sich aus den untersten Schichten der Gesellschaft rekrutieren und sich sowohl ideologisch als auch materiell dem Regime existenziell verbunden fühlen, gehören zu den Hauptstützen des Regimes. Diese ungleichen Machtverhältnisse bilden für die Opposition eine Hürde, die sich nicht leicht überwinden lässt. Sie ist aber nicht die einzige Hürde, die der Opposition im Wege steht.

Eigentlich sollte man das, was im Zuge der Präsidentenwahl und danach in Erscheinung trat, eher als eine Protestbewegung bezeichnen. Diese Bewegung ist nicht organisiert, sie hat keine eindeutige Führung, keinen klaren Plan und keine klare Strategie. Sie bildet eine heterogene Masse mit Unterschiedlichen Zielsetzungen, Erwartungen und Vorstellungen. Sie ist ein mehr oder weniger locker zusammengesetztes Netzwerk, das sich im Rahmen der traditionsreichen iranischen Zivilgesellschaft im Zuge der Wahlen gebildet hat. Der eklatante Wahlbetrug und die Forderung nach Neuwahlen war zunächst das Ziel, auf das man sich einigen konnte. Doch bald, vor allem nachdem es sich zeigte, dass das Regime zu keinerlei Zugeständnis bereit war und sich folglich die Forderung nach Neuwahlen nicht durchsetzen ließ, kamen immer mehr die Differenzen zum Vorschein.

Allgemein gesagt, besteht die Protestbewegung aus zwei Strömungen, von denen die Erste Reformen im Rahmen des Islamischen Staat anstrebt und die Zweite eine andere Staatsordnung zum Ziel hat. Die bei der Präsidentenwahl unterlegenen Kandidaten Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi, die zu der Elite der Islamischen Republik gehören und Träger von höchsten Staatsämtern waren, haben nie einen Hehl aus ihrer Loyalität zum islamischen Staat und der bestehenden Verfassung gemacht. Das gilt auch für den ehemaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami und erst recht für Politiker wie Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani. Was diese Politiker und ihre Anhänger wollen, ist nichts anderes als eine Liberalisierung, die im Rahmen der bestehenden Verfassung möglich ist. Sie sind bestrebt, den Widerspruch zwischen einem Gottesstaat und einer Republik, die schon seit der Gründung der Islamischen Republik besteht, zwar nicht zu lösen, was ohnehin nicht möglich wäre. Sie wollen aber das Schwergewicht mehr auf das Republikanische legen. Somit sind auch ihre Forderungen nach freien Wahlen, Freiheit der Presse und Meinungsäußerung als Forderungen aufzufassen, die sich im Rahmen der Verfassung bewegen.

Die andere Strömung vertritt die Ansicht, dass selbst diese Forderungen im Rahmen der islamischen Staatsordnung und der bestehenden Verfassung nicht realisierbar sind. Das System des Welyat-e Faghieh (absolute Herrschaft der Geistlichkeit), sowie die in der Verfassung festgelegten Machtstrukturen ließen demokratische Verkehrsformen nicht zu. Ebenso wenig wie die Vermischung von Staat und Religion, meinen die Vertreter dieser Strömung. Sie weisen in diesem Zusammenhang auf die achtjährige Chatami-Ära hin, in der es der Regierung nicht gelang auch nur ein einziges auf grundlegende Reformen abzielendes Gesetz durchzusetzen.

Trotz dieser grundlegenden Differenzen hat sich aber die Protestbewegung bislang nicht gespalten. Erstens weil die Machthaber zu keinem Kompromiss bereits sind, was zumindest die Reformer hätte zufrieden stellen können, und zweitens weil Forderungen nach freien Wahlen und bürgerlichen Freiheiten den Zielen der Systemveränderer nicht entgegenstehen.

Doch welche Ziele man auch immer anstrebt, Reformen oder Systemwechsel, sie sind, wie es sich inzwischen herausgestellt hat, mit Massenstraßenprotesten allein nicht zu erreichen. Zwei Strategien könnten nach meiner Auffassung zum Erfolg führen. Die Erste wäre die Klassische. Da ginge es darum, durch langfristige Aufklärungsarbeit noch weit mehr Massen als bisher für die Ziele der Bewegung zu gewinnen bzw. zu aktivieren. Wenn es gelingen würde landesweite Streiks in den Produktions- und Dienstleistungszentren oder in den Basaren zu organisieren, wäre damit viel gewonnen. Begünstigt wird eine solche Strategie durch die katastrophale Lage der Wirtschaft, die hohe Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt die Rechtlosigkeit der Arbeiter und Angestellten. Auch Schulen und Universitäten, die zum Teil bereits an der Bewegung aktiv teilnehmen, ließen sich leicht für Streiks gewinnen. Bei dieser langfristigen Strategie wäre es durchaus möglich, wie damals unter dem Schah, auch innerhalb der Streitkräfte, ja sogar unter den Revolutionswächter und Basidschi-Milzen, eine Spaltung zu erzeugen. Im Gegensatz zu der regulären Armee, waren diese Organisationen nicht als ein Instrument der Staatsgewalt entstanden, sondern sollten dem Volk dienen. Daher fühlen sie sich ihm zugehörig.

Der Nachteil dieser Strategie ist, dass sie viel Geduld voraussetzt. Sie bringt die Gefahr mit sich, dass insbesondere Jugendliche, die die Bewegung zu einem bedeutenden Teil mittragen, die Geduld verlieren und sich nach und nach resignierend zurückziehen. Anzeichne dafür sind bereits spürbar.

Nun legt die besondere Lage im Iran einen zweiten Weg nah, der möglicherweise wesentlich schneller zum Ziel führen könnte, nämlich den bereits weit gediehenen Zerfallsprozess des Staates zu beschleunigen. Bei dieser Strategie spielen die Reformer, allen voran Karrubi, Mussavi und Chatami eine wichtige Rolle. Sie waren es, die als gestandene Männer eben dieses islamischen Staates von innen heraus den Zerfallprozess in Gang gesetzt haben. Für diese Strategie gibt es genug Kampffelder, genauso viele, wie es Widersprüche im System gibt. Man könnte zum Beispiel neben freien Wahlen die Forderung nach Einschränkung der Befugnisse des Revolutionsführers, des Wächterrats oder anderer Organe, die nicht vom Volk gewählt sind, stellen. Auch die Forderung nach der Unabhängigkeit der Justiz würde sicherlich bei breiten Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen. Weitere Angriffspunkte bieten die Wirtschaftspolitik und die Außenpolitik. Die Regierung Ahmadinedschad hat die iranische Wirtschaft in den Ruin getrieben und mit ihrer starrhalsigen Außenpolitik das Land immer weiter isoliert. Härtere Sanktionen stehen dem Iran bevor. Offensichtlich haben nun auch Russland und China den Iran fallen gelassen. Die arabischen Staaten rüsten sich mit Waffen im Wert von Milliarden auf. Auch die Gefahr eines militärischen Angriffs auf den Iran wächst.

Mit fundierten Protesten gegen diese katastrophale Lage, von der die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung betroffen ist, ließen sich auch größere Teile im konservativen Lager gewinnen und die Radikalen zunehmend isolieren. Auch die Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis des Islam und der vom Staat geübten Praxis bietet ausgesprochen günstige Möglichkeiten zur weiteren Mobilisierung gerade der frommen Gläubigen, allen voran der Großayatollahs, die eine wichtige, ja unverzichtbare Säule der Islamischen  Republik bilden.

Folgte man beiden Strategien gleichzeitig, käme man dem Ziel um wesentliche Schritte näher. Was die Protestbewegung auszeichnet, ist ihre Friedfertigkeit. Sie bewegt sich auf legalem Boden. Wenn aber der Druck von oben weiter wächst und die Erfolge ausbleiben, besteht die Gefahr, dass eine Minderheit sich radikalisiert und zu den Waffen greift.

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