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Klimawandel verletzt Menschenrechte

Konsequenzen eines steigenden Meerespiegels?
Foto: adamskee. Diese Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz

Gegenwärtige Folgen und zukünftige Strategien

15. Juni 2009
Von Theodor Rathgeber
Von Theodor Rathgeber

Erderwärmung und die unmittelbaren Folgen des Klimawandels werden derzeit in der Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik viel diskutiert. Es geht dabei in erster Linie darum, wer zu welchem Zeitpunkt wie viel C0²-Ausstoß reduzieren muss. Was dabei häufig außer Acht gelassen wird, ist der Umstand, dass insbesondere für die Bevölkerung armer Länder die Folgen des Klimawandels bereits erfahrbar und bedrohlich sind, ihre Lebensräume zerstört werden und damit ihre Menschenrechte nicht gewahrt sind.

In Kooperation mit dem Forum Menschenrechte lud die Heinrich-Böll-Stiftung am 4. Mai 2009 ein, um den menschenrechtsbasierten Ansatz in die Klimadebatte einzuführen und zu diskutieren. Eingeladen war Frau Roline Lesines vom Arbeitsministerium aus Vanuatu, die über konkrete Erfahrungen mit der Erderwärmung auf dem Inselstaat im Südpazifik berichtete. Ulrik Halsteen vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte stellte die Ergebnisse und Einschätzungen einer Studie über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte vor. Mehr

Folgen des Klimawandels für den südpazifischen Inselstaat Vanuatu

Frau Roline Lesines vom Arbeitsministerium Vanuatu verwies zunächst auf die prekäre Existenz des Inselstaates, der sich auf einer Länge von rund 1300 km über 83 Inseln erstreckt und regelmäßig von Zyklonen (tropischer Wirbelsturm; in anderen Erdteilen sind es Hurrikane oder Taifune) heimgesucht wird. Hier kann bereits eine erste Veränderung in Folge der Erderwärmung festgestellt werden: Traten Zyklone früher vor allem in der Zeitspanne November bis April auf, häuften sich in den letzten Jahren die Fälle, dass starke Regenfälle und Fluten auch noch im Mai und teilweise sogar noch im Juni in Erscheinung traten. Das Land ist erodiert, die Küstengebiete sind längere Zeit unzugänglich und die küstennahe Infrastruktur – wie Straßen, Trinkwasseraufbereitung, Krankenhäuser, Schulen – wird beschädigt oder fällt ganz aus. Aufgrund der längeren Feuchtigkeit stiegen die Malaria-Erkrankungen sprunghaft an. Wirtschaftlich wirkt sich die längere Zyklonperiode unmittelbar auf die Fischerei, den Forst und die Wasserversorgung aus.

Eine Insel musste bereits evakuiert werden. Zwei weitere Inseln sind akut vom Verschwinden bedroht. Für die Betroffenen war dies eine schwierige Entscheidung, sie zögerten sie bis zum letzten Moment hinaus. Obwohl sie “nur“ auf eine Nachbarinsel umsiedeln mussten und dort willkommen waren, fühlten sie sich als “Fremde“. Außerdem musste die Regierung freien Zugang zu Wasser und die Sicherheit der Ernährung garantieren, ehe die Inselbewohner ihr Einverständnis zur Umsiedlung gaben.

Einen zweiten Komplex, dessen Phänomene Roline Lesines mit dem Klimawandel in Verbindung brachte, bildete der Anstieg des Meeresspiegels. Das küstennahe Grundwasser versalzt, die dort betriebene Landwirtschaft und Kokosplantagenwirtschaft kommt zum Erliegen. Auf mehreren Fotos zeigte Frau Lesine abgestorbene Kokospalmbestände entlang von Flüssen, in die das Salzwasser des erhöhten Meeresspiegels inzwischen ganzjährig vordringt. Im Innern der größeren Inseln nehmen hingegen die Trockenzeiten zu, und es treten größere Dürren auf. Frau Lesines wies auf eine jüngste Studie der FAO hin (Climate Change and Food Security: A Framework Document, Rom 2008), die solche Erfahrungen systematisiert.

Aufklärung der Bevölkerung und staatliche Maßnahmen

Die kritische Auseinandersetzung mit der Erderwärmung und ihren Folgen bezieht in Vanuatu (und anderen Inselstaaten) allerdings auch die eigene Bevölkerung mit ein, die zum Teil für diesen Aspekt erst sensibilisiert werden muss. Viele in der Bevölkerung wundern sich über das gehäufte Auftreten der genannten Phänomene, schlagen sie aber bislang einer ungewöhnlichen Ansammlung von Ausnahmen beim Wettergeschehen zu. Veranstaltungen und Seminare der Regierung finden erst in jüngerer Zeit statt, um der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass die klassischen Maßnahmen gegen die beobachteten „Wetterkapriolen“ vermutlich nicht mehr ausreichen und ganz anders gedacht werden muss.

Die Regierung Vanuatus stellt seit zwei Jahren zusätzliche Mittel zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels in den Haushalt ein und nutzt das Programm Pacific Adaptation to Climate Change (PACC), um die Infrastruktur in gefährdeten Gebieten anzupassen. PACC wird von der Globalen Umweltfazilität (Global Environment Facility /GEF) finanziert und durch das UN-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Program / UNDP) bei der Ausführung unterstützt. Vanuatu ist außerdem Teil einer Allianz von Inselstaaten und Ländern mit gefährdeten Küstengebieten innerhalb der Vereinten Nationen (Alliance of Small Island States; AOSIS; z. Zt. 43 Staaten).

Ergebnisse der Studie des UN-Hochkommissariats

Die im März 2009 dem Menschenrechtsrat vorgelegte Studie des UN-Hochkommissariats (UN-Dokument Nr. A/HRC/10/61) trägt zusammen, was andere Einrichtungen der UNO zu diesem Thema bereits diskutiert und in Form von Stellungnahmen oder Leitlinien ausgearbeitet haben. Relativ unstrittig sind die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschenrechte im Bereich Gesundheit und dem Recht auf ein würdiges Leben (Wohnen, Ernährungssicherheit, Zugang zu sauberem Trinkwasser). Die Resolution vom März 2009 des Menschenrechtsrates (A/HRC/RES/10/4) ermutigt insofern die einschlägigen Sonderberichterstatter, in ihren Berichten solche Folgen zukünftig verstärkt zu untersuchen und in ihren Berichten zu berücksichtigen.

Der schwierigere Teil der Studie und der Diskussion hat mit der Frage zu tun, welche Art von Verantwortung für verletzte Menschenrechte kann dem Staat / der Regierung zugeschrieben werden. Menschenrechte beschreiben die Rechte des Individuums gegenüber seiner jeweiligen Regierung. Inwieweit kann jedoch die Regierung in Vanuatu für Folgen zur Verantwortung gezogen werden, deren Ursachen teilweise in ganz anderen Teilen der Welt gesetzt werden?

Der Grundsatz ist unstrittig: Die Menschenrechte begründen den Anspruch des Individuums, dass Krankenstationen, Schulen oder Trinkwassersysteme funktionieren. Dies fällt in die Pflicht des Nationalstaats, unabhängig von den eigentlichen Ursachen einer Schädigung. Die Studie weist darüber hinaus auf die Verpflichtung der Staaten zur internationalen Kooperation hin, um solchen Fragen nach den Pflichten bei Ursachen außerhalb der Landesgrenzen eine Richtung zu geben. Ein Ergebnis aus dieser Kooperation ist z.B. das erwähnte PACC-Programm. Die Studie bleibt allerdings vage: Es wird lediglich angedeutet, dass im Bereich der Menschenrechte auch das – allerdings umstrittene – Prinzip der Extraterritorialen Staatenpflichten zum Zuge kommen könnte. Hier zeigen aber vor allem westliche Staaten bislang eine strikte Opposition.

Der Menschenrechtsansatz und sein praktischer Nutzen

Im Mittelpunkt der Diskussion standen zwei Fragen: Was bringt der Menschenrechtsansatz an Mehrwert in die bereits bestehende Debatte um Verantwortlichkeiten? Worin liegt der direkte praktische Nutzen der Studie und der daraus entstandenen Debatte? Mehrere Argumente wurden dazu angeboten.

  • Zum einen unterstreicht der menschenrechtsbasierte Ansatz, dass es ein Recht auf Rechte gibt, und dass Regierungen bzw. Staaten von individuellen Betroffenen in die Pflicht genommen werden können; Das gilt für die Umsiedlung aus besonders gefährdeten Gebieten, bei der der Mindeststandard von gleichwertigem Ersatz für Wohnen, Arbeiten und sozialer Dienstleistung beachtet werden muss.

  • Die Debatten um die Folgen des Klimawandels werden außerdem um Begrifflichkeiten außerhalb des gewohnten Bezugs auf Wirtschaft und Umwelt sowie entsprechende Akteure bereichert; etwa beim Thema Klimaflüchtlinge. Rechte geltend machen zu können, bedeutet ebenfalls, die eigenen Interessen artikulieren, sich mit anderen zu einer Vereinigung zusammenschließen, die eigenen Meinungen ungeschminkt vertreten und sie letztlich auch vor Gericht einklagen zu können. Dieses Bündel an Voraussetzungen an ein notwendiges gesellschaftliches Umfeld tritt in den gewohnten Debatten um Klimawandel selten in dieser Deutlichkeit hervor.

  • Der Menschenrechtsansatz verhilft dazu, spezifische Beschwerdemechanismen in Anspruch nehmen zu können. Damit verbunden, eröffnen diese Beschwerdemechanismen die Chance, besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen zu identifizieren und spezifische Maßnahmen zu treffen. Genannt wurden vor allem Kinder, Jugendliche, indigene Völker und Minderheiten. Mithin werden Analysen, Schadensaufnahmen, Forderungen und Maßnahmen spezifischer, analog etwa zum Menschenrechtsansatz bei den Millennium Development Goals oder bei der Armutsreduzierung.

  • Umgekehrt, unter dem Blickwinkel des rechtebasierten Ansatzes haben tradierte Wissenssysteme der Umweltnutzung eine bessere Chance, sich zu Gehör zu bringen – da sie aufgrund der staatlichen Pflichten berücksichtigt werden müssen. Wenngleich aus dem Menschenrechtskanon kein Recht etwa auf eine direkte Beteiligung an den Verhandlungen der Vertragsstaatenkonferenzen abgeleitet werden kann. Eine direkte Folge des Ansatzes könnte darin bestehen, mehr systematische Bestandsaufnahmen über die Auswirkungen des Klimawandels etwa mit Blick auf besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen und vor allem über die bisher bevorzugt untersuchten Sektoren Transport und Gesundheit hinaus durchzuführen.

  • Ein Argument zum Mehrwert des Menschenrechtsansatzes bezieht sich auf den höheren Niederschlag einzelner Ereignisse in den Medien und in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Konkrete Beispiele mit Bezug auf verletzte Menschenrechte haben es leichter, wahrgenommen zu werden, als Konferenzdebatten und unterstützen wiederum die Bedeutung dieser Debatten.

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