„Wir benötigen eine Weltklimazentralbank“

Die Fragen stellte Elisabeth Kiderlen

Für die globale Transformation hin zu einer CO2-armen Wirtschaft wird ein enormer Finanztransfer von Nord nach Süd gebraucht. Um welche Summen geht es dabei?

Es herrscht Einvernehmen in den Gremien der EU wie der UNO, dass wir 100 Milliarden Euro pro Jahr brauchen, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, ihre Treibhausgasemissionen zu begrenzen, mit dem Ziel, die Erderwärmung insgesamt bei 2° C zu halten. Die Bundesrepublik müsste sich daran mit etwa sieben Milliarden Euro beteiligen. Aber zur Beruhigung der Gemüter: Dadurch entstehen neue Märkte für Klimatechnologien, Dienstleistungen und grüne Produkte, und da sind Deutschland wie die EU nicht schlecht aufgestellt. Und wenn man diese 100 Milliarden für das Klima vergleicht mit den Milliarden, die jetzt in der Bankenkrise ausgegeben wurden, scheint es schon nicht mehr so viel zu sein.

Und was kostet die Umstellung auf eine globale kohlenstoffarme Wirtschaft insgesamt?

Um eine Umstellung weltweit zu erreichen, muss die Weltwirtschaft in den kommenden Dekaden 500 –1000 Milliarden Dollar pro Jahr investieren. Das ist eine beachtliche Summe, aber finanzierbar, denn wir reden über ein bis zwei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Und damit entstehen Innovationen, wir schaffen zukunftsfähige Beschäftigung und reduzieren die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Investieren wir diese Mittel nicht, werden die Schäden des Klimawandels in Zukunft deutlich höher ausfallen als die Vermeidungskosten.

Klimaschutz ist also ein gutes Geschäft für unsere Gesellschaften.

Damit das klappt, müssen wir die Energieeffizienz rasch steigern, Energiesysteme umbauen, klimaneutrale Städte entwickeln, auf Elektromobilität setzen und in jedem Sektor die Treibhausgasemissionen herunterbringen. Auch der Schutz der globalen Wälder ist wichtig. Wir sprechen von einer Dritten Industriellen Revolution, denn unsere Weltwirtschaft ist im Wesentlichen fossil angetrieben und wir müssen die Treibhausgasemissionen bis 2050 global um gut fünfzig Prozent reduzieren. Der Umbau braucht Zeit – deshalb müssen wir so schnell es geht damit anfangen. Wenn wir bis 2015/2020 nicht den globalen Scheitelpunkt beim Ausstoß von Treibhausgas erreicht haben, müssten die nötigen Reduktionsanstrengungen so groß werden, dass wir es kaum noch schaffen können, die 2° C-Grenze einzuhalten.

Um sichtbare Reduktionseffekte zu erzielen, kann es jedoch fünf bis zehn Jahre dauern.

Ja, bis die Ausbildung in Schulen und Hochschulen sich auf diese Probleme einstellt, bis die Energiesysteme umgebaut werden, bis erneuerbare Energien zu den wichtigsten Energieträgern werden und deren Kosten fallen, vergeht Zeit. Schauen Sie sich die Entwicklung der Windkraft in Deutschland an, deren Beitrag zur Energieversorgung vor zehn Jahren marginal war und heute Richtung zehn Prozent geht. Die Technologien sind da, aber bis sie in der Breite genutzt werden, bis die Technologie ausgereift ist, Lerneffekte entstehen und die Kosten rapide sinken, vergeht Zeit. Wir können in der Weltwirtschaft nicht in einer Dekade von 95 Prozent fossilen Energieträgern auf 50 Prozent herunterkommen. An der Debatte um das große Solarprojekt „Desertec“ in der Sahara wird das deutlich. Noch zehn Jahre werden vergehen, bis die Anlagen stehen und die Netze ausgebaut sind. Aber das Projekt führt uns in die richtige Richtung. Es wäre unsinnig und unmöglich, ab morgen nur noch auf Solarstrom zu setzen – aber der Einstieg muss rasch beginnen. Am schnellsten schaffen wir Durchbrüche zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch Energieeffizienzsteigerungen. Und wir brauchen weltweit Dekarbonisierungsfahrpläne, um unsere Ökonomien in hohem Tempo so umzubauen, dass wir gefährlichen Klimawandel verhindern.

Wie können Entwicklungsländer die von Ihnen erwähnten Summen überhaupt aufnehmen und daraus effiziente Initiativen und Projekte entwickeln?

China, Indien, Brasilien bauen zurzeit neue Energiesysteme und neue Städte. In China sind Hunderte von Städten für 100 000 – 500 000 Menschen in Planung, jedes zweite Gebäude der Welt wird zurzeit in der Volksrepublik gebaut. Der Prozess der Urbanisierung geht also sowieso voran, man muss ihn nun klimaverträglich gestalten. In China geht es nicht um Absorbtionsprobleme, eher um eine Umlenkung der Investitionen auf klimaverträgliche Pfade. Chinas Regierung sagt, wir wollen den Umbau zu einer low carbon economy, können ihn aber nicht alleine finanzieren, wir brauchen Hilfe durch Technologietransfer. Ähnliches gilt für Indien. Darüber muss man sprechen.

China ist ein Schwellenland, wie muss den schwächeren Ländern geholfen werden?

Deren Ausstieg aus der fossilen Energie und ihre Anpassung an den Klimawandel müssen wir mit Investitionen unterstützen. Da hat die Entwicklungszusammenarbeit Erfahrungen. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, nur in Infrastruktur zu investieren, aber nicht in Wartung, dann funktioniert das Ganze über kurz oder lang nicht mehr. Die Geberorganisationen haben früher viel zu oft im Alleingang etwas durchgesetzt, statt mit den Institutionen der Länder zusammenzuarbeiten. Das hat sich gerächt, nur durch partnerschaftliche Zusammenarbeit werden Veränderungen nachhaltig. Angesichts der Größenordnung des Klimaproblems und des enormen Zeitdrucks besteht aber in der Tat ein Problem darin, wie man die Entwicklungskooperation beschleunigen kann.

Wie sollen die Gelder verteilt werden, mit denen die Erderwärmung bei 2° C gehalten werden kann?

Die Klimaforscher errechnen, dass für die Jahre 2000 – 2050 das zur Verfügung stehende globale Treibhausgasbudget etwa 1000 Gigatonnen beträgt; in den letzten zehn Jahren haben wir davon schon gut ein Viertel verbraucht. Es bleiben uns weltweit noch 750 Gigatonnen, wenn wir die 2° C halten wollen. Dieses Budget müssen wir nach einem gerechten Schlüssel verteilen, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) arbeitet gerade an einem solchen Vorschlag. Sicher ist: Das Budget für die Industrieländer wird knapp. Wir werden in den Entwicklungsländern, die weniger emittieren, Treibhausgasemissionen kaufen müssen. Für Afrika oder auch Bangladesch würde das auf einen Nord-Süd-Finanztranfer hinauslaufen. Dieses globale Treibhausgasbudget würde zum Ausgangspunkt für den Emissionshandel und klimarelevanten Technologietransfer.

Lässt sich mit den bestehenden internationalen Organisationen eine sinnvolle Verteilung der Gelder und Emissionen erreichen oder müssen neue Institutionen der Weltklimafinanzierung her?

Die EU und demnächst auch die USA brauchen für ihren Emissionshandel Regelwerke und Institutionen, die diese überwachen und umsetzen. Aber dieses Monitoring sollte nicht nur transatlantisch ansetzen, sondern möglichst bald weltweit. So, wie heute mit Geld gehandelt wird, so wird man bald auch mit Treibhausgaszertifikaten handeln. Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Klimafolgenforschungsinstitut nennt eine solche Einrichtung eine „Weltklimazentralbank“.

Warum nimmt man dafür nicht die Weltbank?

Die Aufgabe der Weltbank ist die Finanzierung und Umsetzung von Entwicklungsvorhaben in den Entwicklungsländern. Die Aufgabe der UNFCCC ist es, den Prozess der Klimaverhandlungen zu koordinieren. Was wir brauchen, ist eine Clearing-Stelle, eine Plattform zur Verrechnung der knapper werdenden Treibhausgasemissionsrechte und der Überwachung der Regelwerke, die wir hierfür einführen müssen. Die Mittel, die dann fließen, und die Projekte, die damit in den Entwicklungsländern finanziert werden, können dann von der Weltbank und anderen Entwicklungsorganisationen umgesetzt werden.

Wie wollen Sie Ihre Lösungsansätze international ins Gespräch bringen?

Der WBGU arbeitet derzeit an einem Gesamtvorschlag, um zu zeigen, wie ein globaler Rahmen aussehen könnte, um mit dem begrenzten globalen Treibhausgasbudget umzugehen. Dieser Vorschlag wird dann der Bundesregierung übergeben und soll Fortschritte in Kopenhagen fördern. Zudem sind wir natürlich im Gespräch mit den Experten- und Beraterteams anderer Länder – den USA, China und Indien. Auch Wirtschaftsvertreter müssen überzeugt werden, damit ein Durchbruch in Kopenhagen gelingen kann.