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Warum eine ökologische Finanzreform und warum gerade jetzt?

Lesedauer: 9 Minuten
Cover des Strategiepapiers Nachhaltig aus der Krise.

15. Juli 2010

Ökologische Finanzreform - was ist das?

Das Prinzip der Ökologischen Finanzreform ist denkbar einfach. Anstatt den Faktor Arbeit noch stärker mit Steuern und Abgaben zu belasten (und damit zur hohen Arbeitslosigkeit beizutragen), soll der Staat seine Einnahmen verstärkt über die Besteuerung des Umwelt- und Ressourcenverbrauchs beziehen (und so Anreize für deren sparsamen Einsatz geben).

Heute finanziert sich der Staat zu über 60 Prozent dadurch, dass er Arbeit durch Steuern und Abgaben verteuert. Umweltverschmutzung und Naturverbrauch tragen dagegen gerade einmal zu gut fünf Prozent zum Staatsaufkommen bei. Eine Umschichtung führt dazu, dass nicht primär Anreize gegeben werden, Arbeitsplätze wegzurationalisieren, sondern Ressourcen effizienter zu nutzen.

Bringt eine Ökologische Finanzreform überhaupt etwas für die Umwelt?

Die Ökologische Finanzreform trägt dazu bei, dass die Kosten von Umweltverschmutzung und Klimawandel jenen angelastet werden, die sie verursachen. Höhere Steuern auf Ressourcen und Emissionen bieten einen sehr effektiven Anreiz, sorgsamer damit umzugehen. Sie machen Umweltschutz oft erst richtig rentabel.

Wenn Energieträger wie Diesel, Kerosin und Kohle stärker besteuert werden, reagieren darauf Verbraucher und Unternehmer, in dem sie den Verbrauch dieser knappen und wertvollen Ressourcen verringern. Dadurch werden wiederum erheblich weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert. Die Ökologische Finanzreform trägt also dazu bei, dass Deutschland seine Klimaschutzziele einhalten kann und wir unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft hinterlassen. Mit der Ökologischen Steuerreform in den Jahren 1999-2003 konnten die CO2-Emissionen um 2-3% gesenkt werden; der Kraftstoffabsatz sinkt erstmals seit 1949 dauerhaft; die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr steigen seitdem erstmals seit Jahrzehnten wieder an.

Was bedeutet die Ökologische Finanzreform für Beschäftigte und Arbeitslose?

Durch die Ökologische Finanzreform können die Lohnnebenkosten gesenkt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn der Staat durch Umweltsteuern zusätzliche Einnahmen generiert, kann er damit die Staatsverschulung abtragen, das Geld für zusätzliche ökologische Ausgaben verwenden oder andere Steuern und Abgaben wie die Sozialversicherungsbeiträge senken. Wir schlagen vor, kurzfristig die Neuverschuldung zu senken und mittelfristig die Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Niedrigere Sozialversicherungsbeiträge entlasten die Beschäftigten und die Unternehmen gleichermaßen. Für die Unternehmen steigen somit die Anreize, Arbeitsplätze zu schaffen, für Arbeitnehmer lohnt es sich stärker legal zu arbeiten. Mit der Ökologischen Steuerreform in den Jahren 1999-2003 konnten bis zu 250.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.

Angesichts von Konjunkturpaketen und sehr stark angestiegener Staatsverschuldung ist die Ökologische Finanzreform derzeit als Alternative zu anderen Steuer- oder Abgabenerhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen zu sehen. Sie kann also zumindest die Erhöhung von Mehrwertsteuer oder Sozialversicherungsbeiträgen oder die Kürzung weiterer Leistungen verhindern.

Welche Auswirkungen hat die Ökologische Finanzreform für Unternehmen und die Wirtschaft?

Insgesamt profitiert die Wirtschaft. Gerade innovative und effiziente Unternehmen können Kosten senken, neue Märkte erschließen und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Andere Unternehmen müssen sich aufgrund des allgemeinen Wettbewerbs reformieren und ggf. neue Aktivitäten entfalten, um langfristig bestehen zu können.

Eine Ökologische Finanzreform gibt Anreize zu Innovationen insbesondere im Bereich Energie- und Ressourceneffizienz. Wenn Ressourcenverbrauch verteuert und Arbeit entlastet wird, profitiert die Wirtschaft in Deutschland davon insgesamt. Teuere Energieimporte aus dem Ausland können reduziert werden, Arbeitskräfte in Deutschland zu beschäftigen wird dagegen günstiger. Da Energie- und Rohstoffpreise mittelfristig ohnehin deutlich ansteigen werden, haben deutsche Unternehmen Vorteile, wenn sie sich durch eine Ökologische Finanzreform bereits frühzeitig darauf einstellen. Die hohe Innovationsfähigkeit und der Ingenieursgeist kommen hierbei deutschen Unternehmen zugute. So haben Unternehmen aller Sektoren und Größenordnungen von der Ökologischen Steuerreform 1999-2003 profitiert. Insgesamt ist die deutsche Wirtschaft um rund eine Milliarde Euro pro Jahr entlastet worden. Selbst besonders energieintensive Unternehmen, die ihre Energieeffizienz nicht hinreichend steigern können, müssen eine Ökologische Finanzreform kaum fürchten, da es für sie Ermäßigungsregelungen bei der Energiebesteuerung gibt - diese sollen auch künftig nicht komplett abgeschafft werden, zumindest solange es keine EU-weite Vereinheitlichung gibt.

Reicht die Ökologische Steuerreform von 1999 denn nicht aus?

Die Ökologische Steuerreform (ÖSR) war ein Schritt in die richtige Richtung, war jedoch im Umfang bescheiden, nicht langfristig genug und ist von der Inflation bereits wieder weitgehend aufgezehrt worden.

Die ÖSR, die zwischen 1999 und 2003 umgesetzt wurde, hat bewirkt, dass der Anteil von ökologisch orientierten Steuern am Haushalt von 5,1 auf 6,5 Prozent angestiegen ist. Mit den Einnahmen werden die Rentenversicherungssysteme entlastet, so dass die Sozialversicherungsbeiträge um 1,7 Prozentpunkte niedriger liegen als ohne ÖSR. Seit 2003 ist dieser Anteil an den Staatseinnahmen wieder rückläufig und wird voraussichtlich spätestens 2013 wieder das Niveau von 1998 erreichen. Zum Vergleich: Der Anteil der Steuern und Abgaben auf Arbeit inklusive Sozialversicherungen beträgt über 60 Prozent. Das Ungleichgewicht der Besteuerung zwischen Umweltverbrauch und Arbeit konnte durch die Ökologische Steuerreform nicht hinreichend überwunden werden, weil diese Richtung nach 2003 nicht konsequent weiterverfolgt wurde.

Warum muss die Ökologische Finanzreform gerade jetzt eingeführt werden?

Laut Klimaforschern bleiben uns noch fünf Jahre, um den globalen Trend beim Ausstoß der Treibhausgase umzukehren. Gleichzeitig hat die Finanzkrise unsere bisherigen Wirtschaftsstrukturen in Frage gestellt. Zudem machen Staatsverschuldung und Schuldenbremse neue Einnahmequellen unverzichtbar.

Die Ökologische Finanzreform ist ein wichtiges Instrument, damit Deutschland seine langfristigen Klimaschutzziele erreichen kann. Ohne die richtigen Anreize wird die Umstellung auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien nicht möglich sein.

Die Finanzkrise hat die deutsche Wirtschaft erheblich aus dem Tritt gebracht und ist noch nicht überwunden. Diese Situation bietet allerdings auch die Chance, unsere Ökonomie nicht nur wieder ins Laufen zu bringen, sondern auch gleich den richtigen Weg einzuschlagen. Durch eine Ökologisierung bleibt sie auch langfristig konkurrenzfähig.

Außerdem hat sich der Staat in der Krise hoch verschuldet. Die Regierung hat deshalb eine Schuldenbremse eingeführt. Entsprechend muss das Defizit drastisch heruntergefahren werden. Die möglichen Alternativen heißen also nicht „Ökologische Finanzreform oder weiter wie bisher" sondern „Ökologische Finanzreform oder andere Steuern erhöhen", was wahrscheinlich entweder den Faktor Arbeit betreffen würde und somit Arbeitsplätze vernichtet oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bedeutet, die sozial problematisch und ökologisch blind ist.

Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden?

Es gibt zahlreiche Fehlsteuerungen im Steuer- und Finanzsystem und damit auch viele Ansatzpunkte für eine Ökologische Finanzreform. Wir schlagen derzeit 13 prioritäre Maßnahmen vor. Die wichtigsten davon sind die kurzfristige CO2-Basierung und mittelfristige Abschaffung des Dienst- und Firmenwagenprivilegs, die Erhebung einer Steuer auf Kernbrennstoffstäbe und die Einführung einer Flugticketabgabe. 

Dienst- und Firmenwagen sind in der Regel durch einen besonders hohen Treibstoffverbrauch und damit auch deutlich überdurchschnittliche CO2-Emissionen gekennzeichnet. Kleinwagen werden hingegen kaum als Dienstwagen angeschafft. Im Jahr 2008 waren fast 60 Prozent der Neuzulassungen Dienstwagen. Durch das geltende Steuersystem wird diese umweltschädliche Praxis begünstigt. Im Zuge der Ökologischen Finanzreform soll für Dienst- und Firmenwagen ab einem Ausstoß von 130 bis 140 g CO2/km nur noch ein Teil der Anschaffungs- und Treibstoffkosten steuerlich geltend gemacht werden können, und zwar umso weniger, je höher die CO2-Emissionen sind. 

Das Flugzeug ist einerseits das klimaschädlichste Verkehrsmittel, andererseits wird es jedoch steuerlich gegenüber anderen Verkehrsmitteln begünstigt. Die Einbeziehung in den Emissionshandel ab 2012 wird daran grundlegend nichts ändern, da der Großteil der Zertifikate kostenlos zugeteilt wird und die Gesamtmenge an Emissionszertifikaten zu großzügig ist. Eine Flugticketabgabe, die grob nach der zurückgelegten Strecke gestaffelt wird, könnte diese Ungleichbehandlung zum Teil wieder ausgleichen. Großbritannien, Frankreich und Niederlande haben eine solche Abgabe schon - dort liegen auch die Flughäfen, die die größten Wettbewerber der deutschen Flughäfen sind.

Die Atomenergie ist mit hohen, durch keinerlei Versicherung abzudeckenden, Risiken behaftet. Zudem profitiert die Atomenergie von zahlreichen Subventionen. Nicht zuletzt ist das Endlagerungsproblem von Atommüll nach wie vor völlig ungelöst. Die Kosten für die Sanierung des Lagers Asse machen deutlich, dass auch in Zukunft noch weitere Milliardenkosten auf den Steuerzahler zukommen werden. Um bis zum Auslaufen der Atomenergie in Deutschland zumindest einen Teil dieser Kosten den Verursachern anzulasten, ist eine Kernbrennstoffsteuer einzuführen. 

Die Entfernungspauschale sollte gekürzt und - bei sozialem Ausgleich für Härtefälle - abgeschafft werden. Die Kfz-Steuer sollte stärker nach CO2-Werten gespreizt und dann verdoppelt werden. Die Nachteile für Dieselfahrzeuge gehören abgeschafft, wofür die Kraftstoffsteuer auf Diesel aber am CO2-Ausstoß orientiert werden sollte. Insgesamt sollten die Kraftstoffsteuern in einer konzertierten Aktion mit Nachbarstaaten angehoben werden. Die Einführung einer Zulassungssteuer ist anzukündigen, um Vorzieheffekte wie bei der Abwrackprämie auszulösen, mittelfristig aber den deutschen PKW-Bestand zu ökologisieren. In die LKW-Maut müssen auch leichtere LKW und Bundesstraßen mit einbezogen werden. Die Energiesteuerermäßigungen für das Produzierende Gewerbe und auch die Steinkohlesubventionen sollten schneller abgebaut werden. Heizstoffe sollten stärker besteuert werden. Schließlich sollte die Grundsteuer stärker an ökologischen Kriterien orientiert und deutlich erhöht werden.

Wie hoch werden die Einnahmen aus der Ökologischen Finanzreform sein?

Kurzfristig rechnen wir mit zusätzlichen finanziellen Spielräumen von 16 Mrd. Euro, langfristig werden jährlich über 50 Mrd. Euro generiert.

Die kurzfristigen Maßnahmen lassen zusätzliche Staatseinnahmen bzw. Minderausgaben in Höhe von etwa 16 Mrd. Euro erwarten. Langfristig kann der Staat seinen finanziellen Spielraum um deutlich über 50 Mrd. Euro ausweiten und damit z.B. das Staatsdefizit abbauen oder die Lohnnebenkosten senken. Zum Vergleich: Ein Punkt Mehrwertsteuererhöhung erbringt rund acht Mrd. Euro.

Ist eine Ökologische Finanzreform nicht unsozial?

Eine Ökologische Finanzreform stellt den Verursachern die Kosten in Rechnung, für die sie verantwortlich sind. Das langfristige Ziel ist, dass so sämtliche externe Kosten internalisiert werden. 

Die Internalisierung externer Kosten bedeutet nichts anderes, als dass die jeweiligen Verursacher von Umweltschäden auch die Kosten dafür tragen müssen. Das ist nur gerecht. Bisher muss zumeist die Allgemeinheit, die Mieter von billigen Wohnungen an lauten Straßen oder sozial Schwache durch höhere Medikamenten- und Arztkosten dafür aufkommen. Viele Bereiche der Ökologischen Finanzreform betreffen dagegen gerade ärmere Menschen nicht oder kaum: Sie fahren keine Dienst- oder Firmenwagen, sie betreiben keine Kernkraftwerke und auch nur die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland (weltweit sogar nur fünf Prozent) sind überhaupt schon einmal geflogen. Aber selbst höhere Kraftststoffsteuern würden nicht primär den Hartz-IV-Empfänger oder die Arbeitslosen treffen, sondern den mittleren Einkommensbezieher, denn erstere haben nur im Ausnahmefall ein Auto und der öffentliche Verkehr wird relativ zu den Autokosten weniger belastet. Die mit den Maßnahmen einhergehenden Umweltentlastungen kommen dagegen in der Regel gerade denjenigen zugute, die bisher am meisten unter der hohen Umweltbelastung zu leiden hatten. Zudem können die Einnahmen einer Ökologischen Finanzreform für soziale Kompensationszahlungen oder die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge verwendet werden. Gerade letzteres würde Arbeitsplätze schaffen und so bisher Arbeitslosen Menschen neue Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen.