Thomas Schüler, Universität Osnabrück
In der Neurorehabilitation werden seit einigen Jahren visuelle Illusionen genutzt, um neurologische Störungen wie Hemiparese nach Schlaganfall zu therapieren. Mit Hilfe einer virtuellen Realität wird den Patienten das Gefühl vermittelt, wieder über die paretische Gliedmaßen verfügen zu können. Die Patienten steuern mit unilateralen Bewegungen ihrer gesunden Seite die in der virtuellen Umgebung dargestellten Gliedmaßen bilateral. Gelingt die Illusion, empfinden die Patienten das Dargestellte als real und dies kann zur motorischen Rehabilitation beitragen.
Das Phänomen, Sinnesreize einer virtuellen Umgebung als real zu empfinden, wird als Präsenz bezeichnet. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass visuelle Realitätsnähe der virtuellen Realität für die Entwicklung des Präsenzgefühls keine bedeutende Rolle spielt. Vielmehr ist das Potenzial zur Ausführung jeder vorstellbaren Aktion in der Umgebung ein entscheidender Faktor. Bei realitätsnahen Darstellungen basieren die vorstellbaren Aktionen auf den individuellen Erfahrungen des Subjekts aus der realen Welt. Der Handlungsspielraum ist in der virtuellen Umgebung aber prinzipiell eingeschränkt. Es wird daher vermutet, dass insbesondere völlig fiktive virtuelle Umgebungen geeignet sind, das Präsenzgefühl zu erzeugen. Sie machen einen gegebenen Handlungsspielraum deutlich und knüpfen nicht an Erfahrungen aus der Realität an. Dies erscheint gegenüber der gewöhnlichen Auffassung von Präsenz in einer virtuellen Umgebung als ungewöhnlich.
Meine grundlegende These ist, dass fiktive virtuelle Umgebungen das Präsenzgefühl intensiver hervorrufen und daher für die Therapie neurologischer Störungen besser geeignet sind als realitätsnahe Darstellungen. Diese These ist theoretisch fundiert. Aktuellen Befunden der Neurowissenschaften zu Folge, aktiviert die visuelle Wahrnehmung von Bewegung motorische Areale im Gehirn in ähnlicher Weise, wie dies bei der Durchführung derselben Bewegung der Fall wäre. Zugleich gehen Kognitionswissenschaftler davon aus, dass jede Aktion eines Subjekts durch ihre Auswirkung auf die Umgebung repräsentiert ist. Zeigt eine fiktive, virtuelle Umgebung auf unilaterale Bewegung bilaterale Auswirkung werden die entsprechenden motorischen Areale daher bilateral aktiviert. Bei neurologischen Störungen wie Hemiparese nach Schlaganfall kann dies zur Rehabilitation beitragen.
Das Ziel meiner Arbeit ist die Entwicklung eines Therapiesystems auf Grundlage dieser These, sowie seine stichprobenartige Überprüfung in der praktischen Anwendung. Zunächst überführe ich die theoretischen Grundlagen in Anforderungen an das zu entwickelnde Therapiesystem. Auf dieser Basis entwerfe ich eine spielerische, fiktive Umgebung, die den Patienten das Gefühl vermittelt, das Dargestellte durch bilaterale Bewegung zu beeinflussen. Dies geschieht in enger Abstimmung mit Experten der Neurorehabilitation und den Patienten. In einer Stichprobe setze ich das System dann praktisch ein und erhebe Daten zur Prüfung der Hypothese.
In meiner Arbeit beziehe ich mich auf aktuelle Befunde der Neuro- und Kognitionswissenschaften und versuche, deren Bedeutung und Nutzen für die Rehabilitation transparent zu machen. Zugleich gebe ich der Forschung zur Mensch-Computer Schnittstelle neue Impulse. Das Forschungsthema ist interdisziplinär, anwendungsorientiert und von aktuellem, gesellschaftlichen Interesse.