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Methoden der Angewandten Ethik

Lesedauer: 4 Minuten

Norbert Paulo, Universität Hamburg

26. Juli 2012

Im Leben aller Menschen stellen sich konkrete ethische Fragen, etwa ob man das billige Fleisch beim Discounter kaufen sollte, obwohl dafür eventuell Tiere unter schlimmen Bedingungen gehalten wurden, oder ob man überhaupt Fleisch essen darf. Auch in politischen Kontexten stellen sich ethische Fragen. Exemplarisch seien nur die Debatten um nachhaltiges Wirtschaften und Atomenergie, Sterbehilfe und Patientenautonomie, Abtreibung und pränatale Diagnostik, Stammzellenforschung und das Klonen von Menschen genannt.

Natürlich gibt es klassische ethische Prinzipien, an denen man sich in solchen Fragen orien-tieren kann, bspw. das Utilitätsprinzip („Ethisch richtig ist diejenige Handlung bzw. Handlungsregel, welche die kollektive Nutzensumme aller Beteiligten maximiert.“) oder Kants Kategorischer Imperativ („Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde!“). Offensichtlich klafft aber eine große Lücke zwischen diesen Prinzipien und den konkreten ethischen Fragen. Der Beantwortung der konkreten Fragen widmet sich die Angewandte Ethik, indem sie aus den abstrakten ethischen Prinzipien für einzelne Bereiche konkretere Prinzipien entwickelt, die eine Orientierung in Einzelfragen erlauben sollen. Für den Bereich der Medizinethik haben die Philosophen T.L. Beauchamp und J.F. Childress bspw. als konkretere Prinzipien Schadensvermeidung, Fürsorge, Autonomie und Gerechtigkeit vorgeschlagen.

Wie allerdings der Übergang von den abstrakten zu den konkreteren Prinzipien funktioniert und ob beide überhaupt in Verhältnis zueinander stehen, ist weitgehend ungeklärt. Dies gilt ebenso für die Frage, wie die konkreteren Prinzipien angewendet werden, um strittige Einzelfälle zu beurteilen. Schließlich sind auch sie noch so abstrakt, dass ihre Anwendung und der Umgang mit Kollisionen der Prinzipien untereinander alles andere als trivial sind.

Die für mein Promotionsprojekt leitende Frage ist daher folgende: Wie kann eine Methodik aussehen, mit der es gelingt, unter Rückgriff auf abstrakte ethische Prinzipien konkrete ethische Fragen transparent und nachvollziehbar zu beantworten?

Um die Frage zu beantworten, werde ich versuchen, Elemente der juristischen Methodik auf die Angewandte Ethik zu übertragen. Dieser Ansatz ist besonders geeignet, da Juristen seit jeher auf die Anwendung von Rechtsnormen fokussiert sind, eine lange Tradition juristischer Methoden besteht und die heute vertretenen Methoden daher sehr ausdifferenziert und leistungsfähig sind. Für die Entwicklung der konkreteren ethischen Prinzipien bietet sich bspw. eine Parallele zur juristischen Verfassungsinterpretation an, da es jeweils um die Anwendung recht abstrakter, grundsätzlicher Prinzipien geht, während die Anwendung der konkreteren Prinzipien seine Parallele in der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts finden könnte. Für beide Ebenen bietet die juristische Methodik sehr differenzierte Verfahren, die, übertragen auf die Ethik, einen großen Gewinn an Transparenz und Rationalität darstellen können.

Theoretisch eingebettet ist meine Arbeit in die analytische Tradition der Philosophie und der Rechtswissenschaft in dem (weiten) Sinne, dass Begrifflichkeiten systematisch geklärt und Probleme sprachanalytisch bearbeitet werden. In der analytischen Tradition sind Vergleiche zwischen deskriptiven (empirischen) und normativen (ethischen) Theorien üblich. In meiner Arbeit soll der Versuch unternommen werden, einen Vergleich zwischen zwei normativen Theorien, nämlich der Bioethik einerseits und des Rechts andererseits, hinsichtlich einiger Elemente ihrer Methodik vorzunehmen. Eine Fokussierung auf die Bioethik erscheint unter anderem als sinnvoll, weil sie eine besondere Nähe zum Recht aufweist und die Forschung in diesem Bereich der Angewandten Ethik am weitesten ausdifferenziert ist.

Ich erwarte als Ergebnis der Arbeit, dass die Methodik und damit die Ergebnisse der Angewandten Ethik transparenter, nachvollziehbarer, rationaler und so konsensfähiger werden, als dies bisher der Fall ist. Hiermit ist bereits Bezug genommen auf die wissenschaftliche Relevanz der Arbeit für die Angewandte Ethik. Relevant ist die Arbeit auch für eine ebenso aktuelle wie radikale Theorie hinsichtlich der Funktion und Funktionsweise von Prinzipien. Der ethische Partikularismus provoziert mit der Behauptung, Ethik müsse und könne ganz ohne Prinzipien auskommen, und stellt damit eine große Herausforderung für die gesamte Ethik dar. Vor dem Hintergrund einer ausgearbeiteten ethischen Methodik werden sich die Argumente des Partikularismus jedoch besser als bisher strukturieren und teilweise zurückweisen lassen.

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