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Wie fahren wir in die Zukunft?

Stromtankstelle bei der EVA in Halle. Foto: gynti_46. Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA 2.0.

28. April 2010
Von Manfred Kriener
Manfred Kriener

Es gehört zu den kuriosen Launen der Geschichte, dass gleich zwei fundamentale Krisen zeitgleich über die Menschen hereinbrechen: die Klima- und die Ressourcenkrise. Die drohende Klimakatastrophe verlangt eine fast vollständige Dekarbonisierung der Industriegesellschaften. Die Endlichkeit der Erde erfordert einen anderen, zukunftsfähigen Umgang mit Bodenschätzen und Naturressourcen. Bei der Verbrennung von Erdöl, dem allgegenwärtigen Schmierstoff des seit sieben Menschengenerationen fließenden, fossilen Verkehrs, überlagern sich beide Krisen zu einer brenzligen Gemengelage – und verlangen neue Mobilitätsstrategien, Veränderung und Aufbruch. Das Innovationsfenster ist weit geöffnet, denn die globalen Stoffwechselprobleme des motorisierten Verkehrs sind unübersehbar. Neben dem Klimawandel und der tendenziellen Verknappung und Verteuerung von Öl rufen auch die hohe Verkehrsdichte in den Städten, Dauerstaus auf Straßen und Autobahnen und vor allem die neuen Mobilitätsbedürfnisse vieler Menschen nach anderen Konzepten.

Im Fadenkreuz der Veränderung steht die große Wunschmaschine, das „zentrale ikonische Objekt der Industriegesellschaft“ (Claus Leggewie): das Automobil. Die Diagnose der Berliner Verkehrswissenschaftler Weert Canzler und Andreas Knie: „Wir brauchen erstens klimaneutrale Autos, deren Produktion und Betrieb nicht von der endlichen Ressource Öl abhängig ist. Zweitens: Es reicht nicht, nur den Antrieb des Autos auszutauschen. Das grüne Auto der Zukunft ist eingebettet in intermodale Verkehrskonzepte, die den problemlosen Wechsel der Verkehrsträger erlauben. Drittens muss dieses Zukunftsauto mit neuen Nutzungsmustern verbunden werden.“

Beschleunigt wird der Trend zu einer anderen Automobilität von der wirtschaftliche Krise der Automobilindustrie mit dramatischen Verkaufseinbrüchen, Überkapazitäten und milliardenschweren Rettungspaketen der Regierungen – wie die Abwrackprämie. Ein relativ neues Phänomen kommt dazu: die Absetzbewegung einer wichtigen Käuferschicht. Ausgerechnet die jungen Männer unter 35 Jahren fahren und besitzen heute deutlich weniger Auto. „Auto? – Nein, danke!“ titelte jüngst die Wirtschaftswoche und fragt nach den Gründen für die PS-Abstinenz der Jungen: Offenbar seien Internet, Smartphone und iPad heute wichtiger und „hipper“ als blank gewienerte Kotflügel. „Das Auto hat seine Pole-Position im emotionalen Raum verloren“, analysieren Marktforscher wie Peter Kruse. Wird der PS-Macho zum Auslaufmodell, verkommt das dicke Auto zum Statussymbol der Unterschicht? Der Karlsruher Verkehrswissenschaftler Bastian Chlond glaubt, dass die Verteuerung des Autofahrens und das „unpraktische“ Handling durch zunehmende Parkraumbewirtschaftung und Dichtestress vielen Nutzern den Spaß verdorben haben. Außerdem sei die Qualität des öffentlichen Verkehrs in den Städten besser als je zuvor.

Chlond: „Und wer heute mit der Bahn reist, kann sein Notebook ausklappen, kann spielen, Filme anschauen, arbeiten, im Netz surfen, mit dem Handy telefonieren. Das geht im Auto nur, wenn man einen Chauffeur hat. Und welcher Student fährt heute noch mit dem Auto nach Spanien in Urlaub? Das Auto verliert auch im Fernverkehr an Bedeutung, es hat seinen Universalitätsanspruch eingebüßt. Billigflieger und Bahn spielen eine sehr viel stärkere Rolle.“ Außerdem mache es jungen Leuten Spaß, so Chlond, sich im Internet bei Carsharing oder Call-a-Bike mit zwei Mausklicks mal eben ein Verkehrsmittel zu besorgen. Das Verkehrsangebot sei größer geworden. Da werde das Auto eher als Klotz am Bein erlebt, es bestehe in den urbanen Zentren einfach keine Notwendigkeit, einen eigenen PKW zu besitzen. Auch die Verkehrswissenschaft hat in den vergangenen Jahren deutliche Sättigungseffekte im Automobilverkehr dokumentiert. So sanken die deutschen Zulassungszahlen für PKW von 2006 auf 2008 von 3,45 auf 3,05 Millionen, das entspricht einem Rückgang um neun Prozent. Schon seit einem Jahrzehnt „schwächelt“ die Verkehrsleistung im Individualverkehr– das sind die zurückgelegten Kilometer –, während der Fahrzeugbestand in Deutschland noch leicht zulegen konnte.

Die Autoindustrie steht also aus vielfachen Gründen vor einem tiefgreifenden Wandel. Wie wird sie in die Zukunft fahren? „Mit dem Elektroauto“ lautet derzeit die Antwort der Branche. Auch die Bundesregierung bekennt sich zum Elektroauto, Kanzlerin Merkel erklärt die Batterietechnologie zum neuen „Jackpot“ der automobilen Welt“. Mit 500 Millionen Euro hat die Bundesregierung einen Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität verabschiedet. Zielgröße: Bis 2020 sollen eine Million Stromer auf deutschen Straßen fahren. Doch viele Verkehrswissenschaftler und Umweltverbände sehen im Elektroauto nur einen neuen Hype, der die wahren Probleme verdecke. Die Deutsche Umwelthilfe ist überzeugt, dass Elektromobilität auch noch in zehn Jahren eine reine Nischentechnologie sein wird. Dann werden „ganze 0,5 Prozent der Mobilität rein elektrisch stattfinden“, sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Deshalb müssten Hybridfahrzeuge und sparsame Benzin- und Diesel-PKW forciert werden. Bei der Effizienz ihrer Fahrzeuge haben die Autobauer zwar deutliche Fortschritte erzielt. Doch mit immer schwereren Fahrzeuge und stärkeren Motoren wurden diese Gewinne zu großen Teilen wieder aufgefressen. Auch die letzte IAA zeigte in aller Deutlichkeit: Größe, Leistung und Ausstattung eines Autos sind im Marketing immer noch wichtiger als Umwelt-, Verbrauchs- und Abgaswerte. Die Politik hat durch wiederholte Kniefälle vor der Automobilindustrie auf eine klare Lenkung in Richtung klima- und umweltfreundliche Autos verzichtet. Weder bei der Abwrackprämie, noch bei der KFZ-Steuer wurden Umweltfaktoren ausreichend berücksichtigt. Der bekannt gewordene Entwurf zur Reform der Dienstwagenbesteuerung begünstigt wieder die alten Protzkarossen. Und die von der EU beschlossenen CO2-Grenzwerte wurden nicht zuletzt auf Druck der Bundesregierung verwässert und um mehrere Jahre verschoben. Wird das Elektroauto vor diesem Hintergrund zum umweltfreundlichen Alibi?

Auch Wolf-Henning Scheider, Top-Manager beim Batteriehersteller Bosch, erwartet in den nächsten 20 Jahren keinen Durchbruch für E-Autos. Zuerst müssten die sündteuren Batterien „erheblich leistungsfähiger und um mehrere Faktoren billiger werden.“ Und die Zeit kritisiert, dass in den Ökobilanzen beim Elektro-Auto unterschlagen werde, dass die Batterien nur 1.000 Ladezyklen halten und dann ersetzt werden müssten. Das verdüstere die Klimarechnung erheblich: Der Schweizer Ökobilanzierer Rolf Frischknecht veranschlagt 48 Gramm CO2 je Kilometer nur für die Batterieherstellung.

Der Kasseler Verkehrsprofessor Helmut Holzapfel rechnet vor, dass in Sachen CO2 beim derzeitigen Strommix ein leichtes und sparsames Benzinfahrzeug besser abschneide als das Elektroauto. Zudem würden die gravierenden Probleme der Infrastruktur mit dem notwendigen Aufbau von Millionen Ladesäulen für Elektroautos unterschätzt. Leichte Benzinfahrzeuge mit drei Litern Verbrauch und weniger seien dagegen machbar und durchaus zukunftsfähig. Wenn schon elektrisch, so Holzapfel, dann auf zwei Rädern: Er sieht eher einen Boom für E-Fahrräder, E-Mofas und E-Roller. Die seien im Handling freundlicher, praktikabler, billiger, „da ist ein echter Trend auszumachen!“. Tatsächlich wurden vergangenes Jahr in Deutschland schon 150.000 E-Fahrräder verkauft, in China 20 Millionen.

Bleibt das Elektroauto also wieder nur ein Traum, wie schon bei seinem ersten großen Auftritt Ende des 19. Jahrhunderts? Die Berliner Verkehrswissenschaftler Canzler und Knie sehen das anders: Sie skizzieren eine neue Verkehrslandschaft, in dem das mit Strom aus Erneuerbaren Energien betriebene Elektroauto „leise, bequem und schadstofffrei“ zur domestizierten Ausgabe der Automobilität werde. Voraussetzung dafür sei aber, sich vom alten Auto-Leitbild einer Rennreiselimousine für das schnelle Durchdringen großer Räume zu verabschieden. Ein Elektroauto mit den Leistungsmerkmalen eines dicken Benziners bleibe ohnehin unbezahlbar.

In den Städten könnte das abgerüstete kleine E-Auto dagegen Teil des Öffentlichen Verkehrs werden und ihn optimal ergänzen. Neben Bus und Bahn, so das Szenario der beiden Berliner Verkehrsexperten, würden die ÖV-Betreiber künftig auch Fahrräder und Elektroautos anbieten. Die moderne Car-Sharing-Technologie erlaube den schnellen und einfachen Zugang mit Handy und Chipkarte. Durch die begrenzte Reichweite ordne sich das Elektroauto ganz von selbst unter. Das Konzept car2go in Ulm zeige, dass ein unkompliziertes Car-Sharing-Modell ohne Vorbuchung, mit minutenweiser Abrechnung und dem bequemen Abstellen der Autos auf jedem freien Parkplatz gut funktioniere und Akzeptanz finde.

Damit kommen aber neue Akteure ins Spiel. Neben der Automobilbranche sind auch Energieunternehmen, Batterieentwickler, die IT-Branche und Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs gefordert, neue Verkehrsdienstleistungen zu entwickeln. Ziel ist die komplette Integration aller Verkehrsmittel: gut erkennbar, an jeder Ecke der Stadt erreichbar und damit leicht zugänglich. Das gesamte Verkehrssystem werde dann mit regenerativem Strom betrieben und fahre weitgehend abgasfrei (auch Busse und Bahnen). Zudem könnten E-Autos zum Puffer und Energiespeicher werden, wenn künftig bei hohem Anteil von Wind- und Solarstrom im Energiemix die Managementanforderungen im Netz steigen. Vor allem nachts, wenn der Stromverbrauch zurückgeht, könnten die Batterien „überschüssigen“ Strom z.B. aus Windkraftanlagen aufnehmen. E-Autos seien aber immer nur ein Element eines umfassenden integrierten Mobilitätsangebots.

Für eine noch weitergehende Entschleunigung und Neuorientierung in der Verkehrspolitik plädiert der Berliner Publizist und Verkehrsexperte Otto Ullrich. Er sieht die heraufziehenden Krisen als Chance für Fußgänger, Radfahrer, Anwohner, Tiere und Pflanzen und verlangt eine „Flächenrückerstattung“ des Autoverkehrs. Es gebe „kein anderes Techniksystem, das in so vielen Dimensionen so dramatisch viele Schäden produziert wie der gegenwärtige Automobilismus.“ Auch noch so umweltfreundliche Autos hätten als Massenverkehrsmittel in den Städten keine Zukunft. Ulrich kritisiert die Verengung der Diskussion auf rein technische Konzepte und Antriebssysteme, ohne eine Gesamtbilanz der verheerenden „kriegsähnlichen Schäden des Autoverkehrs“ aufzumachen. Er sieht eine wirklich umwelt- und menschenfreundliche Mobilität in einer Rückverlagerung der Verkehrsmittel auf Füße, Fahrräder, öffentliche Busse und Bahnen.

Das Ein-Liter-Flugzeug

Als Klimakiller ist der Luftverkehr in den letzten Jahren immer stärker in den Brennpunkt gerückt. Gerade Fernreisen mit dem Flugzeug sind aber, wie Hans Hertle vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung betont, die Klimasünde schlechthin: „Ein Flug auf die Malediven zerschießt jede Klimabilanz!“ Doch mit dem Boom der Billigflieger sind Flugreisen noch attraktiver geworden. „Billigflieger lassen die Vorstellung eines gleichsam ‚natürlichen Rechts‘ auf viele Flüge für alle aufkommen“, schreiben Jörg Schindler und Martin Held in ihrem Buch Postfossile Mobilität. Konzepte zur Reduzierung von Kraftstoffverbrauch und Lärm, den beiden Grundübeln der Fliegerei, konzentrieren sich verbesserte Triebwerke und leichtere Flugzeuge. Ein elektrischer Antrieb für große Passagiermaschinen bleibt indes reine Wunschvorstellung. Bei kleineren Flugzeugen ist das anders. So haben Experten der Universität Stuttgart den fast lautlosen Ein-Liter-Gleiter Hydrogenius konstruiert, den sie als „umweltfreundlichstes Flugzeug der Welt“ bezeichnen. Das 80 PS leistende Aggregat der einmotorigen Maschine wird elektrisch angetrieben. Der Verbrauch ist damit auf ein Viertel einer kleinen Cessna gesunken.

Green New Deal / Great Transformation