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Begrüßungsrede von Ralf Fücks zur Konferenz "Urban Futures 2050"

26. Mai 2011
Ralf Fücks
Ralf Fücks

Vor der Begrüßung hat unser Eröffnungsfilm Premiere! Wir haben 6 Kinder (von Mitarbeitern der Stiftung) befragt, wie sie sich das Leben in den Städten im Jahre 2050 vorstellen. Sie erinnern daran, dass ja sie es sind, die 2050 mit den von uns nicht gelösten Problemen fertig werden müssen.

Das 21. Jahrhundert wird vielfach als das „Jahrhundert der Städte“ bezeichnet. Im Jahr 2050 werden etwa 80 Prozent der auf neun Milliarden wachsenden Weltbevölkerung in Städten leben. Zugleich erscheint die Zukunft dieser Städte ungewisser denn je. Falls sich der naturwüchsige Zustrom von Menschen, Ressourcenverbrauch und Klimawandel ungebremst  fortsetzen, werden sich viele Städte chaotischen Zuständen nähern. An der Zukunft der Städte entscheidet sich die Zukunft der menschlichen Zivilisation.

Wir neigen dazu, Zukunft als bloße Verlängerung der Gegenwart zu denken, als graduelle Veränderungen des status quo. Tatsächlich verläuft die gesellschaftliche Entwicklung über die meiste Zeit linear. Aber Perioden langsamer Veränderung münden immer wieder in Zeiten qualitativer Umbrüche, in denen ein Paradigmenwechsel stattfindet. So veränderten Industrialisierung, der Siegeszug der Elektrizität und die Ausbreitung des Automobils die europäischen Städte von Grund auf. Fossile Brennstoffe wie Kohle und Öl haben die heutigen Stadtstrukturen geprägt. Das urbane Leitbild der Charta von Athen mit einer weiträumigen Trennung von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Freizeit sowie der Gliederung der Stadt entlang massiver Verkehrsachsen entspricht exakt dem fossilen Industrialismus.

Dieses Entwicklungsmodell stößt heute buchstäblich an seine Grenzen.  Wenn wir die Erhitzung des Planeten mit chaotischen Auswirkungen auf das Erdsystem stoppen wollen, braucht es fundamentale Innovationen mit Blick auf Architektur, Materialien, Mobilität, Energie, Recycling und Stadtökologie. Es geht, kurz gesagt, um die ökologische Rekonstruktion der Stadt. Das ist kein bloßer Appell. Es fällt auf, dass utopische Stadtentwürfe wieder Konjunktur haben. Mit der Krise wächst offensichtlich die Einsicht, dass wir Stadt neu denken müssen.

Dazu gehört auch eine Versöhnung von Stadt und Natur – kein ganz neuer Gedanke. Er hat schon in den Stadtentwürfen der utopischen Sozialisten eine Rolle gespielt, später im Konzept der Gartenstadt. Heute geht es um die Verbindung urbaner Dichte mit hoher Biodiversität, die Symbiose von Technosphäre und Biosphäre in der Großstadt.

Das ist keine romantische Illusion. Der Artenreichtum in Berlin ist schon heute größer als in vielen ausgeräumten landwirtschaftlichen Regionen des Umlands.  Neben 3,4 Millionen Menschen leben hier 20.000 bis 30.000 Tierarten. Von den 260 in Deutschland beheimateten Vogelarten wurden 178 auch in Berlin nachgewiesen.  Dabei haben wir das Potential für Dachgärten und grüne Fassaden,  für vertikale Gewächshäuser in Bürogebäuden und den Ausbau vernetzter Grünzüge in der Stadt, für die Renaturierung der innerstädtischen Wasserstraßen und die Umwandlung von Asphalt in grüne Wege noch lange nicht ausgeschöpft.

Damit wir uns nicht missverstehen: Es geht nicht um die Rückverwandlung der Stadt in ein großes Dorf. Wir wollen die weltoffene Stadt mit einem dichten Angebot an Kunst und Kultur, belebten öffentlichen Plätzen, der Integration von Arbeiten und Wohnen, einem perfekt aufeinander abgestimmten Verkehrssystem, mit Freiräumen für Kreative und Wohnungen für alle Einkommensgruppen. Wir brauchen Handwerk und kleine Läden ebenso wie High Tec und Avantgarde, Oasen der Ruhe wie hot spots, in denen der Bär brummt und das Licht nicht ausgeht.

Warum 2050

Das Jahr 2050 ist nicht zufällig gewählt. Zu diesem Zeitpunkt wird das globale Bevölkerungswachstum voraussichtlich seinen Höhepunkt überschritten haben. Öl wird ebenso knapp sein wie viele Industriemetalle. Gleichzeitig wird sich bis dahin entscheiden, ob der Klimawandel eingehegt werden kann. Wir kennen die Vorgaben, die wir bis dahin erreichen müssen: Halbierung der Treibhausgasemissionen weltweit, Reduzierung in den alten Industriemetropolen um 90 Prozent. 2050 interessiert als Markierung, bis zu der die große Transformation stattgefunden haben muss. Und damit das passieren kann, muss der Wandel heute beginnen. Wir reden hier also über den Futur II: Was muss geschehen, damit kommende Generationen eine lebensfreundliche Welt vorfinden?

Wir haben zwei spannende Kongresstage vor uns. Gestatten Sie mir einen kurzen Streifzug durch das Programm.

Zu Beginn haben wir fünf Experten unterschiedlicher Profession eingeladen, und ihre Vision 2050 zu präsentieren. Wir freuen uns sehr, dazu ausgewiesene Experten und Vordenkern begrüßen zu können: Herbert Girardet, Cecilia Martinez, Frank Rehme, Simon Marvin und Kees Christiaanse.

Wir haben bewusst darauf verzichtet, die Stadtvision eines einzelnen einflussreichen Planers oder Architekten an den Anfang zu setzen. Um eine zugleich kühne und konkrete Zukunft der Städte in 21. Jahrhundert zu entwerfen, brauchen wir kollektive Intelligenz, Austausch und die Reibung unterschiedlicher Perspektiven.

Es ist eine banale Wahrheit, dass die Zukunft aus dem Handeln im Hier und Jetzt entsteht. Welche Entscheidungen müssen Akteure in Städten also heute treffen, um eine gute urbane Zukunft zu ermöglichen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des heutigen Nachmittags. Dieter Salomon, Oliver Seidel, Martin Chavez, Elisabete Franca, Fabienne Hölzel sowie Christiane Thalgott werden auf die Szenarien des Vormittags reagieren und berichten, wie sie in ihrer Praxis die Zukunft angehen.

Um zukunftsweisende Praxis geht es auch bei den parallelen Foren heute und morgen, bei denen zahlreiche Kommunalpolitiker/innen, Planer und andere Akteure Erfahrungen und Modelle aus Berlin, Freiburg, Malmö, Zürich, Denver, Sao Paulo und Dhaka vorstellen werden.

Die beschriebenen Herausforderungen stellen sich global, aber die Ausgangsbedingungen und Dynamiken von westlichen Städten und den Megacities des Südens sind sehr unterschiedlich. Wir fragen daher auch, inwieweit ein produktiver Diskurs zwischen „reifen“ Städten der alten Industrieländer und den rasch wachsenden Städten der Entwicklungsländer möglich ist. Damit befasst sich heute Abend das Podium "Europäische Städte und Megacities des Südens", das einer unserer Kooperationspartner, das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, organisiert hat.

Morgen soll es vorrangig um die Zukunft der europäischen Städte gehen. Zu guter Letzt gewähren führende (Kommunal-) Politiker/innen aus London, Malmö, Hamburg und Berlin Ausblicke auf die "post-fossile europäische Stadt". Abschließend wird Renate Künast ihren Plan vorstellen, wie Berlin auch Umwelt- und Klimahauptstadt werden kann.

Danksagung

Ich möchte danken: Neben unserer Mitveranstalterin Stiftung Bauhaus Dessau, deren Direktor Philipp Oswalt  gleich im Anschluss sprechen wird, natürlich allen Kooperationspartner/innen, Medienpartnern und Unterstützern.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die METRO AG, das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT, der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg und dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung.

Außerdem gilt ein besonderer Dank der kleine Vorbereitungsgruppe, die wertvolle Anregungen zum Konzept dieser Konferenz gegeben hat, namentlich Elke Pahl-Weber, Philipp Oswalt, den raumtaktikern Matthias Böttger und Ludwig Engel sowie Michael Walther.

Last but not least möchte ich Sabine Drewes und ihrem Team danken, die diesen Kongress auf der Seite der Böll-Stiftung aus der Taufe gehoben werden: toller Job, vielen Dank!

Hinweis zum „Kunstprojekt“

Ein kleiner Hinweis zum Schluss: Als besonderes Kunst-Ereignis findet parallel zu diesem Kongress das Happening "Szenarium" statt, organisiert und geleitet von matthias böttger, stefan carsten, ludwig engel von Berliner Büro raumtaktik.

Unten im Foyer erarbeitet eine Gruppe junger Zukunftsforscher von "Stiftung neue Verantwortung" und "Cityförster" an möglichen Zukünften für eine nachaltige Stadt von morgen.

Die Szenarien werden live aufbereitet und stehen zum Abschluss der Konferenz für alle Teilnehmer zum Download bereit. Auf den Papierfliegern finden sich weitere Informationen. Gehen Sie mal vorbei und schauen Sie rein.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe das Mikrofon an Philipp Oswalt, den Direktor des Bauhauses Dessau.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Er publiziert in den großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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