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Ohne uns reicht nicht. Der Irak-Konflikt als Herausforderung für eine gemeinsame Europäische Sicherheitspolitik

Lesedauer: 5 Minuten

Debattenbeitrag von Ralf Fücks für die taz v. 3.1.2003

19. März 2008
Die Aufregung darüber, dass der deutsche Außenminister eine Zustimmung der Bundesregierung zu einem Feldzug gegen den Irak im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht a priori ausgeschlossen hat, verblüfft mehr als die Äußerung Fischers selbst. Konnte man im Ernst erwarten, dass die Bundesrepublik am ersten Februar den Vorsitz im Sicherheitsrat übernimmt und sich schon vorab auf ein kategorisches „Nein“ festlegt – unabhängig von den Erkenntnissen der Waffeninspekteure, der Kooperationsbereitschaft des irakischen Regimes, der Haltung der europäischen Partner sowie der Folgewirkungen für das transatlantische Bündnis? Das wäre denn doch eine Verwechslung des ständigen Ausschusses der UN mit einem Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer.

Solchen auf die Spitze getriebenen deutschen Unilateralismus sollten vor allem diejenigen nicht einfordern, die ansonsten –zurecht- eine Stärkung globaler  Institutionen und Entscheidungsprozesse reklamieren, ganz zu  schweigen von der viel beschworenen, aber in der Praxis kaum existenten gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wenn  die EU ein eigenständiger Akteur auf der Weltbühne sein will, müssen die europäischen Mittelmächte endlich zu einer gemeinsamen Linie in den Kernfragen der internationalen Politik finden. Allerdings geht die Entwicklung seit dem 11. September 2001 eher in die entgegengesetzte Richtung: Frankreich und England legen es darauf an, ihre Rolle als Mitspieler im Konzert der Großen zu stärken – Großbritannien im Schulterschluss mit den USA, Frankreich in dem Versuch, eine Mittlerrolle zur arabischen Welt einzunehmen und die USA in die Disziplin des Sicherheitsrats zu nehmen. Auch das jenseits aller politischen Bedingungen formulierte „ohne uns“ der Bundesregierung im Hinblick auf eine mögliche Irak-Intervention hat die europäische Position nicht gerade gestärkt. So lange es aber keine konzertierte europäische Politik gibt, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht, kommen die europäischen Staaten gegenüber den USA nicht über die Rolle von Bedenkenträgern oder Verbündeten zweiten Ranges hinaus.

Noch sind – trotz des massiven Truppenaufmarschs – die Würfel über den Irak nicht gefallen. Präsident Bush hat sich gegen starke interne Widerstände darauf eingelassen, den Sicherheitsrat zum Schiedsrichter über einen möglichen Waffengang  anzurufen. Ein militärischer Angriff müsste von diesem Gremium zumindest toleriert, wenn nicht ausdrücklich legitimiert werden, alles andere wäre ein hohes außen- und innenpolitisches Risiko für die amerikanische Regierung. Der Druck Washingtons auf den Rat wird immens sein, falls Saddam Hussein nicht bereit ist, einen Kotau zu vollziehen. In dieser Situation könnte die Haltung der europäischen Mitglieder des Sicherheitsrats ausschlaggebend werden. Die Bundesregierung muss deshalb alles daran setzen, eine gemeinsame Linie mit Frankreich und Großbritannien zu entwickeln, die von der Europäischen Union gestützt wird. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass eine europäische Position außerhalb des Dialogs mit den Vereinigten Staaten formuliert werden könnte – eine von den USA abgekoppelte europäische Sicherheitspolitik ist weder realistisch noch wünschenswert.

Wer die Bush-Administration davon überzeugen will, dass ein Krieg gegen die irakische Diktatur der falsche Weg ist, muss sich mit ihren Motiven auseinandersetzen. Es greift zu kurz, sie auf den Zugang zu den Ölquellen des Irak zu reduzieren. Hinter dem Aufmarsch gegen das irakische Regime stehen weitreichende Vorstellungen über eine politische Neuordnung des Mittleren Ostens. Der Irak ist für die neo-konservativen Strategen in den USA zum Testfall für die neue nationale Sicherheitspolitik geworden, die im letzten Herbst in Kraft gesetzt wurde (Auszüge in der taz v. 31.12.2002). Sie predigt einen „ausgeprägten amerikanischen Internationalismus“ im Sinne einer globalen US-Ordnungspolitik, die der Idee folgt, dass die amerikanischen Interessen weltweit am besten durch die Ausbreitung von Demokratie und Marktwirtschaft gewährleistet werden. Darin steckt durchaus ein selbstkritisches Element gegenüber der bisherigen Politik, im Zweifel auch despotische Regimes zu stützen, sofern sie die Interessen der USA in ihrer Region wahren und ein Gegengewicht zu erklärten Gegnern des Westens bilden. In dieser Logik hatte Washington auch Saddam Hussein gegen das iranische Mullah-Regime unterstützt, und aus der gleichen Logik heraus spielte das feudal-korrupte und einer vormodernen Version des Islam huldigende Saudi-Arabien bisher eine Schlüsselrolle zur Absicherung amerikanischer Interessen im Mittleren Osten.

Diese Sichtweise hat sich unter dem Schock des 11.09. verändert. Als größte Gefahr für die Sicherheit der USA (und ihrer Verbündeten) wird inzwischen eine Verbindung von diktatorischen Regimes, die Zugriff auf ABC-Waffen erlangen, und antiwestlichen terroristischen Gruppierungen gesehen. Im Zentrum dieser Bedrohungsanalyse steht der Mittlere Osten, wo antidemokratische Staaten, arabischer Nationalismus und islamischer Fundamentalismus mit den immer noch größten Ölreserven der Welt zusammentreffen; und im Zentrum einer Strategie zur Neuordnung dieser Region steht der Irak mit seinen Grenzen zu Saudi-Arabien, Kuwait, dem Iran, Jordanien, Syrien und der Türkei. Es geht den USA nicht nur um die Installierung einer pro-westlichen Regierung, sondern um einen fundamentalen Neuaufbau des Landes als Modellprojekt für eine langfristige politische Stabilisierung der Region. In dieser Perspektive schafft ein demokratischer Transformationsprozess im Mittleren Osten auch die Voraussetzungen für einen tragfähigen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern: erst wenn die existentielle Infragestellung Israels durch nationalistische oder fundamentalistische Staaten in seiner Nachbarschaft überwunden sei, könne dem jüdischen Staat zugemutet werden, einen autonomen Palästinenserstaat zu akzeptieren.

Angesichts der ethnischen und religiösen Zerrissenheit des Irak und der Zersplitterung der Opposition läuft eine militärische Intervention darauf hinaus, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten auf unabsehbare Zeit die Verantwortung für das Land übernehmen müssten. Die Blaupausen für dieses Projekt werden längst in zahlreichen Arbeitsgruppen der US-Administration erarbeitet, von Fragen der Justiz und Verwaltung über das Bildungssystem bis zum Wiederaufbau der Infrastruktur und der Vorbereitung von freien Wahlen unter UN-Aufsicht. Man kann diese Pläne mit guten Gründen für eine anachronistische Form politischen Machbarkeitswahns halten, die den politischen und religiösen Eigensinn der Region unterschätzt und die eigene Macht überschätzt. Allerdings werden die Europäer der Frage nach einer alternativen Strategie zur Eindämmung terroristischer Gefahren und zur Demokratisierung des Mittleren Ostens nicht ausweichen können, wenn sie die USA von einem militärischen Vorgehen abhalten wollen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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