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Bürgergesellschaft und Globalisierung

Lesedauer: 3 Minuten

26. März 2008
Von Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
21. Januar 2004

Der Begriff der Bürgergesellschaft hat im letzten Jahrzehnt eine rasante Karriere vollzogen. Er zeigt die Vision einer aktiven Gesellschaft an, in der Bürgerinnen und Bürger sich politisch einmischen; er steht gemeinwohlorientiert aber auch für das reale bürgerschaftliche Engagement und beruht auf Grundhaltungen des »Bürgersinns«, der »Zivilcourage« und der »Solidarität«. Bürgergesellschaft bedeutet individuelle und gesellschaftliche Selbstorganisation, jenseits staatlicher Kompetenzen und marktwirtschaftlicher Organisation.

Der Begriff ist dabei weder klar besetzt noch eindeutig definiert – und wird damit oft als Instrument zur Untermauerung der eigenen politischen Zielsetzungen zurechtgebogen. So werden Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement dann gerne bemüht, wenn für eine stärkere ‚Eigenverantwortung‘ des Individuums geworben werden soll - in der aktuellen Reformdebatte zumeist als Ersatz für sozialstaatliche Leistungen.

Mehr als deutlich wird jedoch auch das Wunschdenken, das den Diskurs um die Bürgergesellschaft bestimmt. In Zeiten, in denen die Steuerungs- und Integrationsfähigkeiten des Staates an ihre Grenzen stößt, soll Bürgergesellschaft die wachsenden Unzulänglichkeiten des etablierten politischen Systems auffangen. Angesichts der Krise des Sozialstaats soll sie soziale Integration liefern; in der Diskussion um Parteien und Medienlandschaft wird Bürgergesellschaft als eigenständige gesellschaftliche Sphäre betrachtet, die fern der Korrumpiertheit des politischen Systems Bürgerinnen und Bürgern Raum zur politischen Beteiligung, Gemeinwohlorientierung und Solidarität bietet.

Die Fragen von politischer Teilhabe und Bürgergesellschaft sind jedoch von den Fragen von Markt und Wirtschaft nicht zu trennen. Dies umso mehr, als die weltweite Globalisierung den Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger deutliche Grenzen setzt. Viele relevante Entscheidungen werden gar nicht mehr auf der Ebene des Nationalstaats getroffen, sondern in undurchsichtigen, kaum öffentlichen internationalen Verhandlungen. Das daraus resultierende Demokratiedefizit kann auch die ‚Bürgergesellschaft‘ nur schwer ausgleichen.

Dennoch gewinnt Bürger- oder Zivilgesellschaft gerade an Bedeutung, wenn es um eine ‚Zivilisierung‘ der weltweiten Strukturen von Markt und Wirtschaft geht: angesichts der frappierenden weltweiten Ungleichheiten ist dies mehr als notwendig. Dazu bedarf es einer Bürger- bzw. Zivilgesellschaft, in der unterschiedlichste gemeinwohlorientierte internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen, lokale und internationale Initiativen und Bewegungen Bürgerinnen und Bürgern Raum für ihr Engagement bietet.

Bürgergesellschaft wird z.B. dann konkret, wenn im Zuge der weltweiten Privatisierungs und Liberalisierungsprozesse die Wasserversorung der bolivianischen Stadt Cochabamba privatisiert und an ein ausländisches Unternehmen verkauft wird. Dort organisierten sich Bürgerinitiativen, lokale Interessensgruppen und Gewerkschaften, die gegen die zu erwartende Verteuerung der Wasserpreise bis hin zu einem Generalstreik so lange Einspruch erhoben und protestierten, bis die Stadtverwaltung das Projekt zurücknahm.

Bürger- oder Zivilgesellschaft ist also oft ein wichtiges Korrektiv und deutliches Gegengewicht zu den Lobby- und Interessensorganisationen der Wirtschaft und der staatlichen Akteure. 

Dort, wo Bürgergesellschaft über Nichtregierungsorganisationen, Einrichtungen und Initiativen an Bedeutung gewinnt, wird auch staatliche Politik stärker in die Verantwortung genommen, so dass die politische Partizipation faktisch auch politische Wirkung zeigt. Hierin liegt die große Chance einer Aktivierung der staatlichen Politik.

Der Artikel erschien in der Frankfurter Rundschau vom 21.1.2004

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

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