Von Dr. Gerhard Schick, MdB
Zusammenfassung
Noch nie war in der Debatte um Steuerflucht und um die Geschäftsmodelle der Steuer- und Regulierungsoasen eine solche Dynamik zu beobachten wie in den letzten Monaten. Erst die weltweite Finanzkrise konnte erreichen, dass der Druck auf Offshore-Zentren massiv gestiegen ist, die zumeist Regulierungs- und Steueroasen in einem sind. Sie sind daher auch doppelt gefährlich: Zum einen gefährden sie als Tummelplatz riskanter Geldanlagen die Stabilität des internationalen Finanzsystems, zum zweiten verhindern sie als Versteck von Anlagevermögen eine gerechte Besteuerung der Erträge im jeweiligen Wohnsitzland des Anlegers.
Der internationale Druck ist also zu begrüßen, jedoch dürfen rhetorische Absichtsbekundungen und unverbindliche Beschlüsse nicht darüber hinwegtäuschen, dass ganz konkrete Verbesserungen erst noch erreicht werden müssen. Es kommt jetzt darauf an, wie sich die vielen Ankündigungen in konkrete Abkommen und Verträge übersetzen und – vor allem –, wie dann deren Umsetzung aussieht. Der Kampf gegen Steuerflucht wird nicht zum Selbstläufer.
Im Gegenteil: Es werden schon wieder neue Bremsklötze angebracht. Sei es von Seiten der Union beim deutschen Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, von den konservativ-liberalen Fraktionen im Europäischen Parlament, die die Ausweitung der Zinssteuerrichtlinie blockiert haben, oder von der OECD, die sich nach wie vor mit vagen Ankündigungen zufrieden gibt, um Länder von ihrer „schwarzen Liste“ zu streichen und damit dem öffentlichen Druck zu entziehen.
Und der deutsche Finanzminister? Er haut rhetorisch auf die Pauke, vergisst aber einen wichtigen Spieler im weltweiten Geflecht der Steuerflucht: die deutschen Banken, die in Steueroasen eine überaus aktive Rolle spielen. Statt nur auf andere Länder zu verweisen, muss Steinbrück auch sie in die Pflicht nehmen - insbesondere die, die jetzt vom Staat unterstützt werden.
Das Zeitfenster, effektiv gegen Regulierungs- und Steueroasen vorzugehen, wird nicht lange offen bleiben und bislang wurde es noch nicht genügend genutzt. Gerade wenn das mediale Interesse nachlässt, müssen die Fortschritte genau beobachtet und ggf. eingefordert werden. Doch nicht nur das: Die OECD-Standards zum Informationsaustausch, deren Einhaltung mittlerweile alle Länder angekündigt haben, sind zur effektiven Bekämpfung von Steuerflucht nicht ausreichend. Wir stehen also erst am Anfang eines langen Wegs, an dessen Ende der weltweite automatische Informationsaustausch und konkrete Regeln für den Wettbewerb der Finanzplätze stehen müssen.
These 1: Die Instrumente der OECD reichen nicht aus
Der Kampf gegen Regulierungs- und Steueroasen ist unzulänglich, wenn man sich mit der Unterzeichnung des OECD-Musterabkommens zum Informationsaustausch in Steuersachen (bzw. Artikel 26 des OECD-Musterabkommens für Doppelbesteuerungsabkommen) zufrieden gibt. Denn nur in einem konkreten Verdachtsfall wird ein Informationsgesuch an den Vertragsstaat übersandt und nach entsprechender Prüfung durch die Behörden des Landes soll Auskunft über den konkreten Fall gegeben werden. Es ist jedoch schwierig, genug Indizien für Steuerhinterziehung zu sammeln, bevor die Behörden des anderen Landes Auskunft geben. Daher sind solche Abkommen für nicht ausreichend, wie auch das Beispiel belegt, dass einem solchen Abkommen zwischen den USA und Jersey von 2001 bis heute lediglich vier Auskünfte folgten. Der OECD-Standard kann daher nur ein erster Schritt sein – Ziel müssen automatische Informationsaustausche, wie sie innerhalb der EU die Zinssteuerrichtlinie vorsieht, auch mit den Staaten und Gebieten werden, die heute noch als Offshore-Zentren gelten.
Außerdem müssen die Kriterien für die Entfernung von der „Schwarzen Liste“ der OECD verschärft werden. Das bloße Eintreten in Verhandlungen reicht nicht aus, denn diese können dann lange verschleppt oder sogar wieder abgebrochen werden. Stattdessen muss der öffentliche Druck, der durch eine Erwähnung auf der Liste ausgeübt wird, aufrecht erhalten werden, bis konkrete Informationsaustauschwege installiert und nachgewiesen werden.
These 2: Um die europäischen Regulierungsoasen zu schließen, muss die EU-Zinssteuerrichtlinie ausgeweitet werden
Die EU-Zinssteuerrichtlinie ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Steuerflucht, spart jedoch wichtige Bereiche aus. Ihr Geltungsbereich muss daher in mehreren Dimensionen erheblich ausgeweitet werden. Doch auch vor den Hintergrund der Finanzkrise gibt es an dieser Stelle keine Fortschritte: Zuletzt hat am 31. März 2009 im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments die konservativ-liberale Mehrheit gegen die Ausweitung der Zinssteuerrichtlinie auf Stiftungen, Lebensversicherungen sowie neue Finanzprodukte gestimmt.
Nötig ist dagegen eine Ausdehnung der Zinssteuerrichtlinie auf alle Empfänger von Kapitalerträgen, sodass auch juristische Personen erfasst werden, hinter denen sich nicht selten natürliche Personen verstecken. Außerdem müssen alle Kapitaleinkünfte berücksichtigt werden. Und schließlich sollen alle Gebiete, die zu Zinsrichtlinien-Ländern wie z.B. Großbritannien oder den Niederlanden gehören, voll in die Bestimmungen der EU-Zins-Richtlinie einbezogen werden. Das betrifft beispielsweise die Cayman-Islands oder die Niederländischen Antillen. Nur so kann Steuerhinterziehung in ganz Europa Einalt geboten werden.
These 3: Deutschland muss seine Möglichkeiten auf nationaler Ebene nutzen
Das gerade beschlossene „Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz“ folgt einem sinnvollen Ansatz: Auch auf nationaler Ebene gibt es Instrumente zur Steuerflucht. Doch das Gesetz ist zum zahnlosen Tiger geworden. So wurde keine Liste mit Steueroasen festgelegt, sondern die Regelung per Rechtsverordnung vorgesehen. Das führt zum einen zu erheblicher Verzögerung der Gesetzeswirkung. Im Fall einer Koalition von CDU und FDP wäre das Gesetz damit wohl völlig ohne Konsequenzen. Außerdem muss der Verordnung nicht nur das Kabinett, sondern auch der Bundesrat zustimmen, sodass absehbar ist, dass es um jedes einzelne Land eine politische Auseinandersetzung geben wird und ggf. im Bundesrat blockiert werden kann. Das ist angesichts der Fülle von Steueroasen und der Dringlichkeit des Problems untragbar.
Zweitens beziehen sich die Sanktionsdrohungen des Gesetzes auf Geschäftsbeziehungen mit Staaten, die die OECD-Standards nicht akzeptieren. Diese OECD-Standards sind jedoch bei weitem nicht ausreichend (siehe These 1) und zweitens gibt es heute schon kein Land mehr, das nicht angekündigt hätte, die OECD-Standards zu akzeptieren. Nach diesem Kriterium gäbe es also bald gar keine Steueroasen mehr, auf die das Gesetz angewendet werden könnte.
Schließlich wird drittens die Abschreckungswirkung des Gesetzes sehr begrenzt sein: Für nicht-kooperative Steuerzahler droht ein Bußgeld von höchstens 5.000 Euro. Dies ist keine hohe Grenze für Menschen, die im großen Stil Steuern umgehen. Zudem hat die Bundesregierung bereits klargestellt, dass es auch in Zukunft keinerlei verdachtsunabhängige Steuerprüfungen geben wird. Damit schränkt sie das Entdeckungsrisiko noch weiter ein.
Das Gesetz reiht sich damit ein in die Liste vergebener Chancen, Steuerflucht auch auf nationaler Ebene wirksam zu bekämpfen. Dies würde beispielsweise eine Neuausrichtung der deutschen Politik im Hinblick auf Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) beinhalten. So sollte eine entsprechend hohe Quellensteuer oder Kontrollmitteilungen analog zur europäischen Zinsrichtlinie in die DBA aufgenommen werden. Darüber hinaus braucht es eine deutliche Aufstockung des Personals bei der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung – jeder neue Steuerfahnder bringt dem Fiskus etwa 1 Mio. € an zusätzlichen Steuereinnahmen. Diese Maßnahmen tragen zwar nicht direkt zur Schließung von Regulierungs- und Steueroasen bei, sie würden aber ihre Nutzung erheblich erschweren.
These 4: Finanzminister Steinbrück muss die deutschen Banken unter Druck setzen, sich aus Steueroasen zurückzuziehen
Wer auf internationaler Ebene große Töne schwingt und die Geschäftspraktiken von Steueroasen – zu Recht – kritisiert, der muss sich endlich auch mit den Profiteuren des Oasen-Unwesens im eigenen Land anlegen statt weiterhin nur unkritischer Förderer deutscher Banken zu sein. Alles andere ist unglaubwürdig und schadet beim effektiven Vorgehen gegen ebenjene Regulierungsoasen, in denen auch deutsche Banken sehr aktiv sind. Während Frankreichs Präsident Sarkozy bereits die französischen Banken aufgefordert hat, sich aus Steueroasen zurückzuziehen, hat man dazu von der Bundesregierung noch nichts gehört.
Die Deutsche Bank unterhält 499 Tochtergesellschaften in einschlägigen Steueroasen, darunter beispielsweise 151 auf den Cayman-Inseln und 79 auf Jersey. Allein auf Mauritius, ebenfalls ein kleines Eiland mit sehr striktem Bankgeheimnis, beschäftigt die Bank 180 Mitarbeiter. Und auf der Website dboffshore.com wirbt eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank offen mit ihren Angeboten in Steuerparadiesen: „Effektive Steuerplanung“ für „hoch vermögende Individuen“ wird dort versprochen und als „Hauptattraktion“ die Gründung einer Rechtsform angeboten, „die die Steuerbelastung beseitigt oder reduziert“ – offensiver kann man, ohne sich unmittelbar strafbar zu machen, kaum für Steuerflucht werben.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Commerzbank und ihrer neuen Tochter Dresdner Bank: Sie hat 76 Tochtergesellschaften in Steuerparadiesen, davon 24 auf Jersey und 17 in Luxemburg. Auch die Commerzbank wirbt auf ihren Internet-Seiten mit „attraktiven Steuergesetzen“ und der Strenge des Bankgeheimnisses in Offshore-Zentren. Im Geschäftsbericht der Dresdner Bank Luxemburg werden vermögenden Privatkunden aus Deutschland als „stabile Basis unserer internationalen Kundschaft“ bezeichnet. Im Klartext: Deutsche Kunden sind die eine zentrale Kundengruppe der Luxemburger Tochter der Dresdner Bank. Die naheliegende Frage, warum diese Kunden sich nicht wohnortnah in Deutschland beraten lassen, sondern extra nach Luxemburg reisen, führt eigentlich nur zu einer Antwort: Weil sie ihre Geldgeschäfte vor dem Fiskus verschleiern wollen.
Der Bundesregierung kommt eine besondere Verantwortung im Umgang mit der Commerzbank zu. Wer Steuergelder erhält, darf nicht im Verdacht stehen, gleichzeitig bei der Steuerumgehung behilflich zu sein. Die Vertreter, die die Bundesregierung in den Aufsichtsrat der Commerzbank entsendet, müssen ihren Einfluss geltend machen und auf einen Rückzug der Commerzbank und ihrer Tochter Dresdner Bank aus Steueroasen hinwirken.
These 5: Der Wettbewerb der Finanzplätze muss in einen international gültigen Rahmen gefasst werden
Das Problem der Steuer- und Regulierungsoasen bezieht sich nicht nur auf souveräne Staaten, die sich der internationalen Kooperation entziehen. Kleine Jurisdiktionen, die von Industriestaaten protegiert werden, zählen zu den wichtigsten Steueroasen der Welt. Darunter fallen beispielsweise die Kanal-Inseln unter britischer Krone oder Delaware, ein Steuerparadies im Herzen der USA. Während sich Gordon Brown und Barack Obama öffentlichkeitswirksam für die Schließung von Offshore-Plätzen weltweit einsetzen, verschweigen sie die Gebiete mit vergleichbar laxer Steuer- und Aufsichtsgesetzgebung in ihrem eigenen Einflussbereich.
Dafür gibt es einen einfachen Grund: Diese Offshore-Plätze spielen eine wichtige Rolle beispielsweise für die Finanzplätze New York beziehungsweise London. Nicht zuletzt die enge Anbindung dieser Gebiete an die jeweiligen Finanzplätze begründet die hohe Attraktivität dieser Standorte. Eine wirksame Bekämpfung von Steuer- und Regulierungsoasen aber muss auch diese Gebiete zwingend einbeziehen, um glaubwürdig zu sein.
Unilaterale Schritte von einem der Industrieländer sind hier nicht zu erwarten, da die einseitige Aufgabe eines solch wichtigen Standortfaktors erhebliche Wettbewerbsnachteile mit sich bringen würde. Aus diesem Grund braucht es international koordinierte Maßnahmen – etwa im Rahmen der G20 – zur Errichtung eines fairen Wettbewerbsrahmens der weltweiten Finanzplätze, der eine Schließung dieser „eigenen“ Oasen von Industriestaaten einbezieht. Beim G20-Gipfel Anfang April in London war zu diesem Thema sehr wenig zu hören.
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise