Am 24. und 25. März 2011 nun werden sich alle Augen (insbesondere die der Finanzmarktakteure) auf Brüssel richten. Beim ihrem Frühjahrsgipfel werden die Staats- und Regierungschefs Entscheidungen fällen, die die zukünftige Gestalt der Währungsunion entscheidend prägen. Im Vordergrund steht dabei die Gestaltung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) , also die Schaffung eines permanenten Rettungsfonds und eines geordneten Umschuldungsverfahrens. Diese Verhandlungen sind politisch eng verknüpft mit der künftigen Ausgestaltung der haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordinierung über die seit September 2010 in einem entsprechenden Gesetzgebungsverfahren gerungen wird.
An der Diskussion um die Schlussfolgerungen aus der Krise fällt eines besonders auf: Vorschläge aus der Wissenschaft, wie die Eurozone auf eine solidere Basis gestellt werden kann, und der politische Handlungswille der Regierungen fallen zunehmend auseinander. Immer mehr Beobachter sprechen sich für weitreichende Integrationsschritte aus. Von Politischer Union und Fiskalischem Förderalismus als unausweichlicher Konsequenz der Währungsintegration ist in Expertendiskussionen mit zunehmender Leichtigkeit die Rede. Während dessen beäugen viele Regierungsvertreter argwöhnisch die Reformvorschläge – und verwerfen viele davon, etwa weil sie Souveränitätseinschränkungen implizieren oder ein höheres Maß an innergemeinschaftlicher Solidarität und Risikoteilung bedeuten. In dem Maße, in dem der durch die Krise ausgelöste Schock in der öffentlichen Wahrnehmung verblasst, sinkt die politische Bereitschaft, in Reaktion auf die Krise die Währungsunion politisch zu stärken und die Mitgliedstaaten auf eine bessere Zusammenarbeit zu verpflichten. Und trotzdem: die Krise hat die Eurozone bereits jetzt maßgeblich verändert und in den kommenden Monaten werden weitere wichtige Reformentscheidungen getroffen.
So hat sich in den letzten Monaten (endlich) die Einsicht verfestigt, dass die Eurozone einen besonderen Koordinierungsbedarf hat, der deutlich über den der EU mit ihren 27 Mitgliedern hinausgeht. Wenn Mitgliedstaaten ihre Währung vergemeinschaften, kann dies nur funktionieren, wenn die Märkte grenzüberschreitend besser funktionieren und im Falle der Finanzmärkte gemeinsam und besser überwacht werden. Auch muss ein verlässliches Maß an Kontrolle und Abstimmung der Haushaltspolitiken gewährleistet werden. Hinzu kommt: Da zwischen den Euro-Staaten der Wechselkurs als Anpassungsmechanismus weggefallen ist, sind andere Maßnahmen nötig, um Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Viel spricht dafür, die nationalen Wirtschafts-, Struktur-, Steuerpolitiken besser aufeinander abzustimmen. Dies können die Finanzminister allein nicht leisten. Die Eurogruppe braucht politische Verstärkung durch die 17 Chefs in Form eines Eurozonen-Gipfels.
In diesem Frühjahr wird mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus die Grundlage dafür geschaffen, dass die Eurozonenstaaten Verschuldungskrisen innerhalb der Währungsunion nach Auslaufen des aktuellen Krisenmechanismus im Jahr 2013 weiterhin eingedämmt werden können. Deutschland selbst hat überdies einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit für die Eurozonenländer vorgeschlagen. An dessen Form und Inhalt ist Kritik berechtigt, doch die grundlegende Einsicht, dass innerhalb der Eurozone stärker politisch zusammen gearbeitet werden muss, ist richtig. Auch wenn kein Quantensprung an Integration zu erwarten ist – die Eurozone wird als Kern in der 27er EU enger zusammen wachsen.
Im Bereich der haushaltspolitischen Überwachung wird eine Weiterentwicklung des bisherigen Ansatzes geben: der regel- und sanktionsbasierte Stabilitäts- und Wachstumspakt wird gehärtet – konkrete Vorschläge dafür hat die Europäische Kommission im vergangenen September auf den Tisch gelegt (siehe das entsprechende Gesetzespaket) . Unwahrscheinlich ist, dass es zu einem wirklichen Automatismus in der Anwendung des Paktes kommt – die Finanz- und Wirtschaftsminister werden aller Voraussicht nach das letzte Wort behalten. Und bei der Anwendung des Pakts in der Vergangenheit haben wir gesehen, dass die Bereitschaft der Finanzminister zur Kritik „unter Freunden“ nicht besonders ausgeprägt war.
Insgesamt liegt viel der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit auf der Reform des Pakts. Dabei wird vergessen, dass dieses Regelwerk – auch bei Umsetzung der momentan diskutierten Reformen – nur (mit etwas Glück) einen einzigen der derzeitigen Krisenfälle in der Eurozone hätte verhindern könne: Griechenland. Irland oder Spanien wären trotzdem in die Krise geraten, denn dort ist die Ursache für die haushaltspolitische Misere nicht etwa unverantwortliche Fiskalpolitik, sondern die sich über Jahre schlecht entwickelnde Wettbewerbsfähigkeit und die Probleme im Bankensektor. Für diese Mißstände können striktere Regeln für die haushaltspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten logischer Weise keine Lösung sein.
Aus diesem Grunde steht auch die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit auf der europäischen Reformagenda. Zwei der europäischen Gesetzesvorhaben, die sich momentan im Beratungsprozess befinden, befassen sich mit Mechanismen zur Überwachung und Kontrolle der makro-ökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone. Der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission könnte sowohl die Defizit- als auch die Überschussländer verpflichten, einen Beitrag zum Abbau der Ungleichgewichte zu leisten. Aber im Zuge der Verhandlungen scheint sich die Aufmerksamkeit doch vor allem auf die Defizitländer zu konzentrieren. Dazu hat auch der deutsch-französische Vorschlag eines sogenannten Pakts für Wettbewerbsfähigkeit beigetragen, der die Mitglieder richtiger Weise zu mehr wirtschaftspolitischer Koordinierung verpflichten soll. Inhaltlich setzt der bisherige Vorschlag allerdings vor allem deutsche Maßstäbe. Dies wirft die Frage auf, wie gut eine „wirtschaftspolitische Germanisierung“ der Eurozone ökonomisch wie politisch funktionieren kann. Beim vergangenen EU-Gipfel am 4. Februar 2011 lehnten einige EU-Partner den Vorschlag jedenfalls vehement ab. Zwei wichtige Fragen stehen dennoch nach wie vor im Raum: Kann erstens die ökonomische Divergenz in der Eurozone allein dadurch behoben werden, dass die Defizitländer ihre Politik neu ausrichten? Griechenland, das im Jahr 2010 in eine Wachstum-Schulden-Falle fiel, scheint zu illustrieren, dass dies nicht der Fall ist. Zweitens ist die Frage berechtigt, wie der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit mit dem parallel entwickelten Mechanismus zur wirtschaftspolitischen Koordinierung verknüpft werden soll. Eine rein intergouvernementale Zusammenarbeit unter Ausgrenzung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments ist jedenfalls keine zukunftsträchtige Lösung.
Grundsätzlich drängt sich in der entscheidenden Phase des Reformprozesses, die die Eurozone gerade durchläuft, die Frage auf, ob die Staats- und Regierungschefs die eigentlichen Probleme der Eurozone überhaupt angehen. So ist es fraglich, ob mit den bald entschiedenen Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung tatsächlich die Ungleichgewichte abgebaut werden können. Zu wenig Aufmerksamkeit wird derzeit auch dem Bankensektor gewidmet. Die Stresstests des letzten Sommers wurden scharf dafür kritisiert, dass sie eher der Vertuschung als der Identifikation von Risiken dienen, weil sie viel zu milde angelegt waren. Der Rekapitalisierungsbedarf im Bankensektor dürfte sehr viel höher liegen, als derzeit politisch eingestanden wird. Das bedeutet, dass eine weitere Welle von finanzieller Belastung auf die öffentlichen Haushalte zuläuft – und dass der Prozess der Rekapitalisierung und Umstrukturierung politisch entschieden begleitet werden muss. Unter dem Druck der nächsten Runde der Krise dürfte sich die Europäische Agenda also erneut stark verändern.
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Dr. Daniela Schwarzer ist Leiterin der Forschungsgruppe “EU-Integration” der Sitftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.