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Die Idee des Grundeinkommens beruht auf einem elementaren Gerechtigkeitsbegriff. So beklagen so unterschiedliche Grundeinkommens-Modelle wie jenes von Götz Werner als auch grüne Ideen zu Grundsicherung bzw. Grundeinkommen die mangelnde Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, die trotz hoher Produktivität und großem Reichtum Einzelne ausschließt und Armut zulässt. In grüner Perspektive ist Gerechtigkeit jedoch mehr als nur Verteilungsgerechtigkeit, was im wesentlichen die (grüne) Kritik am Vorschlag Werners begründet, da hier auf der Basis hoher materieller Transfers unter dem Wegfall sonstiger sozialer Leistungen davon ausgegangen wird, dass sich gesellschaftliche Teilhabe schon einstellt, wenn existenzielle Armut gebannt sei. Weitergehende Konzepte verstehen Gerechtigkeit deshalb im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe, Zugang zu Bildung und Partizipation. Die irische Verfechterin eines Grundeinkommens Brigit Reynolds benennt daher auch „horizontale und vertikale Gerechtigkeit“ als ein wesentliches Prinzip des Grundeinkommens. Zu dieser horizontalen Gerechtigkeit zählt in jedem Falle auch Geschlechtergerechtigkeit, die durch das Grundeinkommen befördert werden sollte.
Dabei fällt auf, dass „Geschlechtergerechtigkeit“ zumeist als abhängige Variable, also letztendlich als Konsequenz oder „Output“ des Grundeinkommens betrachtet wird. Ein Grundeinkommen kann oder soll (bzw. könnte/ sollte) mehr Geschlechtergerechtigkeit herstellen helfen und dementsprechend ausgerichtet sein. Wenn aber in der Frage, wie ein Grundeinkommen geschlechtergerecht auszugestalten sei, nur von der Output-Seite her gedacht wird, muss es nicht verwundern, dass der „Gendergehalt“ der meisten Modelle – auch im grünen Umfeld – minimal bis nicht vorhanden ist, also die Konzepte nicht von Anfang an geschlechtergerecht gedacht werden. Schließlich ist Geschlechtergerechtigkeit nur eine Komponente der horizontalen und vertikalen Gerechtigkeit, und welche Relevanz dem letztendlich zu gebilligt wird, hängt im wesentlichen von der politischen Grundrichtung der VerfasserInnen des jeweiligen Modells ab.
Wie sieht es also in der grünen Beschlusslage aus? Während das grüne Grundsatzprogramm von 2002 im “Schlüsselprojekt Grundsicherung“ zu gender- und frauenpolitischen Aspekten noch keine konkreten Aussagen trifft, finden sich im grünen Wahlprogramm von 2005 immerhin die frauenpolitische Forderung nach einer Grundsicherung, die ein eigenständiges Leben ohne finanzielle Abhängigkeit vom Partner (!) ermöglicht, also nach einer stärkeren Entkopplung des Hilfebezugs vom Partnereinkommen. Der konkrete Anspruch, dass Konzepte der Sozialstaatspolitik auch Geschlechtergerechtigkeit als Ziel berücksichtigen müssen, findet sich aber erst im Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz 2006, mittels dessen die Kommission zur Zukunft der sozialen Sicherheit eingesetzt worden ist. Der Bericht dieser Kommission beschäftigt sich eingehend auch mit dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit. Vorgeschlagen wurden hier zwei grundsätzliche Alternativen sozialer Sicherung: Eine Arbeitsgruppe der Kommission favorisierte eine bedarfsorientierte Grundsicherung, die zweite Arbeitsgruppe entwickelte ein Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens. Beide Vorschläge hatten eine explizite, wenn auch nicht abschließend detaillierte Passage zu geschlechtsspezifischen Auswirkungen integriert. Letztendlich konnte sich in der grünen Debatte der Vorschlag der ersten Arbeitsgruppe der Kommission zu einer bedarfsorientierten Grundsicherung als Leitantrag auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2007 durchsetzen. In diesem nun verabschiedeten Konzept einer Grünen Grundsicherung wurde der „Genderteil“ nochmals deutlicher ausformuliert.
Im Laufe der Debatte hatten sich u.a. auch die grüne Jugend, der Bundesfrauenrat sowie viele einzelne grüne PolitikerInnen zu Wort gemeldet. Die „Linie“ der BefürworterInnen und KritikerInnen des Grundeinkommens verlief und verläuft quer durch die Partei und die verschiedenen Lager. Auch hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen auf Frauen und Geschlechtergerechtigkeit ein Grundeinkommen hätte, sind die Positionen sehr unterschiedlich. Der Bundesfrauenrat hat in seinem Beschluss zur Sozialen Sicherung vom Oktober 2006 weder für das eine noch für das andere Modell eine Empfehlung gegeben, sondern dargestellt, welche Fragen aus feministischer Perspektive an das jeweilige Modell zu richten sind, und welche Kriterien im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit bei der Konzeptentwicklung berücksichtigt werden sollten. Demnach ist zu fragen, welche Veränderungen ein Grundeinkommen für Frauen und das Geschlechterverhältnis allgemein mit sich bringen würden, inwiefern ein solches Modell zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen würde und welche Rahmenbedingungen dazu zwingend notwendig sind. Unabhängig vom Modell schlägt der Bundesfrauenrat vor, folgende Eckpunkte zu beachten: Der Anspruch muss individuell ausgerichtet, also unabhängig vom Partner- oder Haushaltseinkommen sowie existenzsichernd sein, und der Ausbau von staatlicher Infrastruktur muss gefördert sowie den individuellen Transfers vorgezogen werden.
Sehr eindeutig hingegen setzt sich die Grüne Jugend mit ihrem Beschluss „Der ermutigende Sozialstaat“ von 2006 für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein und berücksichtigt dabei auch recht ausführlich und aus verschiedenen Blickwinkeln die derzeitige Situation von Frauen am Arbeitsmarkt und im Rahmen gesellschaftlicher Arbeits- und Rolleneinteilungen. In den Vorschlägen, wie auf vielen Ebenen der Gesellschaft mehr Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden könnte, orientiert sich die Grüne Jugend vor allem am skandinavischen Vorbild hinsichtlich institutioneller Unterstützung von Familien und Frauen und dem Zugang zu öffentlichen Gütern. Es fällt auf, dass die Grüne Jugend den Anspruch des „Querschnittsthemas“ Gender sehr ernst nimmt und in vielen Bereichen ihrer Sozialstaatskritik und -vision aufnimmt. Die frauenpolitische Grundeinkommens-Debatte innerhalb der Grünen Jugend beschreibt auch Paula Riester als kontrovers, dennoch wurden auch unabhängig von der letztendlichen Form der Grundsicherung einige wesentliche Forderungen benannt, vor allem geschlechtergerechter Zugang zum Arbeitsmarkt und zu öffentlichen Gütern.
Mit ähnlichen Argumenten und Forderungen nach besseren bzw. geschlechtergerechten institutionellen Rahmenbedingungen, Änderungen im Steuerrecht etc. begründen KritikerInnen wie Sibyll Klotz oder Astrid Rothe-Beinlich ihre Skepsis gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen: das Grundeinkommen an sich – darüber besteht zunächst grüne Einigkeit – stellt noch kein Instrument zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit dar; eine jede eigenständige Existenzsicherung müsste einhergehen mit breiteren sozialstaatlichen, steuerrechtlichen und institutionellen Änderungen, die die Benachteiligung von Frauen gezielt bekämpfen. KritikerInnen des Grundeinkommens stellen hier vor allem die Frage nach politischer Prioritätensetzung angesichts politischer bzw. fiskalischer Realisierbarkeit – wobei die Kosten eines Grundeinkommens gegenüber der Grundsicherung bisher noch nicht wirklich bekannt und berechnet sind. Bevorzugt wird daher meist eine (nicht nur an materieller Bedürftigkeit) bedarfsorientierte Grundsicherung, um aus dem Grundeinkommen keine „Herdprämie“ für Frauen werden zu lassen.
Dennoch muss festgehalten werden, dass auch in der grünen Debatte die Frage nach geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Ansprüchen sozialer Sicherung oft nur am Rande und nur von wenigen explizit gestellt wird. In vielen Papieren wie z.B. die Grundeinkommenskritischen Beiträge von Kuhn/ Dückert oder auch von Ache, Klotz, Kurth et al. (→Text) „schwingt“ die Gender-Thematik zwar mit, wird aber kaum konkret benannt oder gar näher diskutiert. Von einer festen Verankerung einer Gender-Perspektive der feministischen Ansätze in der sozialpolitischen Debatte der Grünen kann also auch noch nicht wirklich die Rede sein.