Nachhaltige Finanzreform - Wie kommen wir dauerhaft aus der Krise?

Ein "Bullenmarkt" ist an der Börse ein Synonym für steigende Kurse.

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5. Januar 2011
Von Timon Mürer
Podiumsdiskussion in der Reihe „Berliner Zukunftsgespräche“ des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung (hbs), Referat Wirtschaft & Soziales, am 02.12.2010 in der hbs, Berlin.

Teilnehmer_innen:

Werner Landwehr – GLS Bank Berlin

Irene Ring – Helmholtz-Institut für Umweltforschung Leizpig

Michael Kohlhaas – Deutsches Institut für Wirtschaftsförderung/ Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Beate Paus, MdB

Rolf Kreibich – Wissenschaftlicher Direktor IZT

Die Wirtschaft in Deutschland wächst wieder. Wirtschaftsminister Brüderle zufolge sogar im „XXL-Format“. Das geschieht gleichzeitig zur noch nicht komplett aufgearbeiteten Banken- und Wirtschaftkrise und der darauf folgenden Euro- und Schuldenkrise. Nachhaltige Finanzreform, das klingt fast wie die magische Formel, welche die gegenwärtigen Krisen in einem Wisch beseitigen kann. Ob und wie eine solche Reform uns „dauerhaft aus der Krise“ führen kann, war Thema des dritten diesjährigen „Berliner Zukunftsgesprächs“ des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), das in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin am 2. Dezember in den Stiftungsräumen stattfand.          

Es mangelt am politischen Willen

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Es gibt eine Vielzahl guter und durchdachter Vorschläge. Woran es jedoch zurzeit noch mangelt, ist der eindeutige politische Wille, diese zusammen zu führen und konsequent umzusetzen. Dass es aber möglich und nötig ist, der Krise auch mit finanz- und steuerpolitischen Maßnahmen zu begegnen und dabei den ökologischen Umbau der Gesellschaft voranzutreiben, stellten die Referent_innen deutlich unter Beweis.

Nach kurz gefassten Begrüßungsworten von Ute Brümmer, Referentin für Wirtschaft und Soziales der Heinrich-Böll-Stiftung, und Professor Kreibich, der schon einmal vorwarnte, dass es nicht um eine Neuauflage der Ökosteuer, sondern um eine nachhaltige Finanzreform gehe, eröffnete Moderatorin Ulrike Herrmann  (die tageszeitung) die Diskussion.

Geld ist nicht neutral

Nachdem Herrmann das Thema  als Zielkonflikt zwischen Ordnungs- und Steuerpolitik umriss, richtete sie ihre ersten Fragen an Werner Landwehr von der GLS Bank. Diese alternative Kleinbank war in letzter Zeit überaus erfolgreich.  Mit einem Geschäftsmodell, das sich konsequent nachhaltigem Investment und Transparenz verpflichtet.

Die Perspektive des Betriebswirts Landwehr bekam dadurch besondere Überzeugungskraft, dass sich nicht nur mit ethischen und ökologischen Produkten Geld verdienen lässt, sondern auch mit ethisch-ökologischem Investment. Seine Vorschläge für die Regulierung des Finanzwesens dürften vielen seiner Kolleg_innen in der Bankenbranche weniger gut gefallen. So sieht er die gegenwärtige Praxis der Kreditvergabe als problematisch an. Sie gehe von der falschen Annahme aus, dass Geld "ein neutrales Mittel" sei.

Ein Perspektivwechsel sei nötig. Weg von den Krediten und hin zu den Vermögen, die proportional zu ihrer Größe in einen Haftungszusammenhang gehören. Rating-Agenturen müssten zu Neutralität verpflichtet werden und bedürften deshalb größerer öffentlicher Kontrolle, entscheiden sie doch oft über Sein oder Nichtsein ganzer Staaten – ohne transparente Kriterien. Landwehrs Prognose war entsprechend skeptisch. Er sei beunruhigt über Nachrichten, dass alles vorbei sei., Zu sehr sei man schon wieder zum „business as usual“ zurück gekehrt. Als Wachstumsfelder, auch für seine Bank, sieht er die Bereiche Mobilität und Gesundheit.Im Gesundheitsbereich setze sich  unter dem demographischen Druck das Bewusstsein durch, dass man die Finanzierung der Grundversorgung „nicht outsourcen kann“.

Mit finanziellen Anreizen ökologisches Handeln fördern: Beispiel Brasilien

Nach dieser pragmatisch-utopischen Perspektive des sozial und ökologisch orientierten Bankers war Umweltwissenschaftlerin Professor Irene Ring an der Reihe. Auch sie konnte Fortschritte aus ihrem Bereich präsentieren, der wissenschaftlichen Untersuchung wirtschaftlicher und finanzpolitischer Instrumente für den Umwelt- und Naturschutz.

Ein interessantes Beispiel ist der brasilianische Bundestaat Paraná. Naturschutzgebiete werden dort als ordnungspolitische Instrumente eingesetzt, indem die Ausweisung von Naturschutzgebieten berücksichtigt wird, wenn die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer an die Kommunenverteilt werden. Gerade Kommunen in strukturschwachen Regionen erhalten dadurch Anreize, den Schutz der Natur nicht als Entwicklungshindernis, sondern als Ressource zu betrachten. In Brasilien macht das Beispiel Paranás Schule. Bereits die Hälfte der 26 Bundesstaaten hat ähnliche Initiativen gestartet. Dem steht freilich der ungebrochene Raubbau an den Amazonas-Urwäldern gegenüber, an dem auch Europa mit Schuld trägt – wurde doch bis vor kurzem die Abholzung großer Regenwaldflächen für Soja und Zuckerrohranbau unter anderem dadurch befördert, dass bei der Energiegewinnung falsche Anreize gesetzt wurden.

Dennoch zeigte sich Prof. Ring optimistisch, dass man dieses innovative Modell auch auf Deutschland und Europa übertragen kann. Dadurch ließen sich die Ausgleichsmechanismen zwischen Stadt und Land verbessern. In Portugal etwa bezieht manche Kommune schon bis zu einem Drittel ihres Haushalts aus Vergütungen für Naturschutzgebiete. Das Interesse von Verbänden, Regionen und der Europäischen Union an diesen Initiativen sei sehr groß.

Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen

Diesen Optimismus teilte Michael Kohlhaas. Allerdings mit der Einschränkung, dass solch ein System in Deutschland wegen des hochkomplexen rechtlichen Gefüges schwieriger umzusetzen sei. Eine Alternative hierfür sieht er in handelbaren Flächenzertifikaten. Er warnte auch davor, ausschließlich mit Anreizen zu arbeiten – der Belohnungsgedanke funktioniere nicht immer. Fehlverhalten müsse auch sanktioniert werden. Grundsätzlich gehe es aber darum, dass „Preise die ökologische Wahrheit“ sagen. 

Durch seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundestagsabgeordneten Lisa Paus fand sich Kohlhaas in der etwas unangenehmen Situation, die Rolle des Polit-Insiders zu spielen und die Politik der Regierung, aber auch  der Grünen zu kommentieren. Klar war, dass er der schwarz-gelben Regierung nicht den Gefallen tun konnte, deren Brennelementesteuer und die Flugverkehrsabgabe als ökologische Errungenschaften zu verkaufen. Diese seien ohne ökologische Lenkungswirkung und schlicht mit dem Finanzbedarf der Regierung zu erklären. Kerosin bleibe weiterhin subventioniert. Auf die Frage hin, ob wegen der hohen öffentlichen Schulden weitere Umweltsteuern zu erwarten seien, stellte Kohlhaas fest, dass entgegen des deutschen Selbstbilds die Umweltabgaben in Deutschland im europäischen Vergleich eher gering sind. Das Potenzial für solche Steuern und Abgaben mag zwar groß sein, die politischen Widerstände aber auch.

Geringe Chancen auf Umsetzung grundlegender Reformen 

Zuletzt bekam Mitveranstalter und IZT-Direktor Professor Kreibich das Wort. Er nahm den Ball gerne auf und schlug einen 4-Punkteplan für eine grundsätzliche Finanzreform vor: Erstens eine neue nationale und internationale Finanzarchitektur mit Finanztransaktionssteuer, strikt kontrollierter Eigenkapitalquote von 15 Prozent und öffentlicher Kontrolle der Rating-Agenturen. Zweitens sollten nach seiner Auffassung alle öffentlichen Ausgaben konsequent am Ziel der Nachhaltigkeit ausgerichtet sein, wobei diese immer eine ökologische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Dimension haben müsse. Drittens müsse der Generationengerechtigkeit durch Schuldenabbau Rechnung getragen werden und viertens müssten sozial und ökologisch destruktive Subventionen beseitigt werden.

Das Ziel ist also klar vorgezeichnet. Die geringen Chancen für die Umsetzung eines solchen Programms musste in der Diskussion mit den Gästen auch Prof. Kreibich einräumen. Allerdings wies er darauf hin, dass es durchaus Erfolge der wissenschaftlichen Politikberatung in diesem Feld gebe – das Erneuerbare Energien Gesetz und der Erfolg der erneuerbaren Energien überhaupt sei nicht ohne zivilgesellschaftliches und wissenschaftliches Engagement denkbar. Eine große Herausforderung für alle Beteiligten sei es, eine langfristige Perspektive zu schaffen. Er zitierte in die von der Heinrich-Böll-Stiftung in Auftrag gegebene Studie Nachhaltig aus der Krise  (weitere Informationen am Ende dieses Berichts) , wonach bei den jüngsten, milliardenschweren Konjunkturpaketen gerade einmal 13 Prozent der Ausgaben als ökologisch sinnvoll bezeichnet werden können.

Hoher Gesprächsbedarf zum Thema Geld

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum bewegten sich die Meinungen und Kommentare zwischen skeptischen Fragen hinsichtlich der Möglichkeit einer internationalen Finanzaufsicht, Forderungen, die „ideenlose“ politische Führung auszutauschen, die Haftung von Verantwortlichen der Bankenpleite auszudehnen oder marode Banken „hopsgehen“ zu lassen. Das Thema „Geld“ weiteren Gesprächs- und Diskussionsbedarf bereit hält. Werner Landwehr räumte ein, dass „Geld ein Problem“ und es durchaus nicht selbstverständlich sei, , was seine Funktion ist. Wichtig sei aber, sich in Erinnerung zu rufen, dass jedem Vermögen Schulden  (und umgekehrt) gegenüberstehen. Der Bankvertreter regte ein gesondertes „Zukunftsgespräch“ zum Thema „Geld“ an, eine Anregung, die Prof. Kreibich gern aufnahm.

Unterschiedliche Positionen hatten die Podiumsteilnehmer_innen zum Thema „Eigenkapitalquote von Banken“. Professor Kreibich plädierte für eine einheitliche Quote von 15 Prozent, Herr Landwehr sprach sich für flexible Quoten abhängig von der Größe einer Bank aus – und für „tolerierte“ Bankenpleiten. Michael Kohlhaas sagte, dass es nicht die Verantwortlichen, sondern die Vermögen träfe, wohingegen Prof. Kreibich die Lehman Brothers Pleite als „heilsam“ bezeichnete. Er machte sich noch einmal für seine Idee der nachhaltigen Finanzreform stark  („das geht!“) und zeigte sich optimistisch, dass der Wandel, wenn nicht in der Politik, so doch in der Wirtschaft bereits da sei. Denn: so wie das 20. Jahrhundert der Arbeitseffizienz gehörte, so werde das 21. das der Ressourceneffizienz.

Fazit: Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Fragen zu Finanzmarkt, Steuern und Geld geht weit über die lästige Steuerklärung oder das banale „mehr Netto vom Brutto“ hinaus. Das Bewusstsein ist da, dass wir nicht vom Geld allein leben, wichtige Zukunftsaufgaben aber heute angegangen werden müssen und die Finanzen dabei ein wichtiges Instrument sein können.


Zum Thema ist erschienen:

Schriften zur Ökologie, Band 9

Nachhaltig aus der Krise
Ökologische Finanzreform als Beitrag zur Gegenfinanzierung des Krisendefizits
Von Damian Ludewig, Bettina Meyer und Kai Schlegelmilch
Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung 
Berlin, März 2010, 64 Seiten

ISBN 978-3-86928-026-4

Green New Deal / Great Transformation