Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Verleihung des Helmut-Sonntag-Preises

Lesedauer: 11 Minuten

Laudatio von Andreas Poltermann auf Stefan Krempl

13. August 2008

 

Mit Stefan Krempl erkennt der Deutsche Bibliotheksverband in diesem Jahr seinen Publizistenpreis einem freien Journalisten zu, der in besonderer Weise mit den neuen Medien und über die neuen Medien arbeitet. Sicher, er schreibt auch zu einer Vielzahl von Themen für überregionale Tages- und Wochenzeitungen. Doch seine primären Publikationsorte sind die Online-Medien: c’t, heise online, Spiegel und Telepolis. Und seine primären Themen sind das Netz zwischen Wirtschaft, Politik und Kultur.

In seinen gut recherchierten und prägnant formulierten Artikeln und Büchern über Virtuelle Communities, Patente, Urheberrecht und Open Innovation, die Mediatisierung der Politik und Krieg und Internet beschreibt und analysiert er nicht nur die sozialen und politischen Funktionen einer kritischen Netzöffentlichkeit, er vergewissert sich darin auch der Bedingungen seines eigenen journalistischen Arbeitens. Und in gewissem Umfang gibt er uns auch Einblicke in seine Lebensweise.

Sein Interesse gilt nicht dem Netz als großer Geldmaschine und gigantischer Shopping-Mall. Aber er beklagt auch nicht den Niedergang öffentlicher Räume durch den Kommerz. Ihn interessieren die Möglichkeiten des Netzes, die sich für soziale und politische Partizipation nutzen lassen. Darum beschreibt er den neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit der persönlich untereinander Unverbundenen hin zu den Gruppierungen und partikulären Communities gleichgesinnter und in gewissem Umfang auch persönlich einander wertschätzender Personen. Aus seinen Vergleichen und Metaphern spricht ganz und gar kein asketischer Kulturpessimismus, sondern die Lust an einer urbanen Kultur neuartiger Teilöffentlichkeiten. Krempl vergleicht beispielsweise das Bloggen und die sogenannte Blogosphäre mit einer Cocktailparty,

                „wo die Gäste von einem Gesprächspartner zum nächsten wandern“

und beschreibt sie als eine durch Intimität geprägte neue Gesprächskultur, wo die Infonauten von Blog zu Blog wandern und nur dort hängen bleiben,

                „wo es die besten Drinks und den interessantesten Tratsch gibt“

und wo die persönlich als wichtig eingestuften Informationen sich in Windeseile verbreiten und der Rest rasch vergessen wird. Stefan Krempl geht, so räumt er gutgelaunt ein, am Ende des Tages, wenn er das Powerbook zugeklappt hat, gerne auf das eine oder andere Event, vielleicht angelockt - wie andere Bar- und Partyhopper auch - von einer SMS, die mittels der Applikation Dodgeball aus einer großen Empfängergruppe diejenigen auswählt, die sich im Umkreis weniger Straßenzüge befinden und am Event auch wirklich teilnehmen können bevor es Geschichte ist. „Am-Ende-des-Tages“ heißt denn auch der Blog, auf dem Krempl die Fotos ausstellt, die er auf solchen Events geschossen hat.

Professioneller citizen journalist
    
Aber diese Einblicke in eine zum Interieur gewendete Netzöffentlichkeit – veranschaulicht in den Bildern und Metaphern der Augenzeugenschaft, des Gesprächs, der Party und der Gemeinschaft - sind nur die eine Seite von Krempls Arbeit - und für die Preisverleihung heute nicht die wichtigste. Denn Krempls journalistische Arbeit ist orientiert an der Idee des citizen journalist, den er weiterentwickelt zu einem professionellen freien Journalismus, der die Netzöffentlichkeit für die Stärkung und den Ausbau der Zivilgesellschaft und für demokratische Partizipation und für den freien Zugang zu Information zu nutzen versteht. Dabei ist er von der Unmittelbarkeitsprätention und Naivität des auf den ersten Blick ähnlich orientierten Leser-Reporters denkbar weit entfernt.

Der Leser-Reporter, wie er etwa von Bild.T-Online und den Online-Ablegern anderer Druckmedien genutzt wird, unterwirft sich der redaktionellen Auswahl und Bearbeitung und erklärt sich durch Einsendung oder Upload damit einverstanden, dass die eingesandten Inhalte zeitlich und nach Abrufmengen unbegrenzt honorarfrei im Internet und in Druckwerken vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden. Sogar dem Weiterverkauf der Nutzungsrechte an Dritte muss der Leser-Reporter zustimmen, so dass er als Nutzer und Produzent am Ende eher der Ausgenutzte ist, der den wirtschaftlichen Wert, der ihm als Urheber zusteht, verschenkt.

Der citizen journalist Stefan Krempl ist hingegen nicht Laie, sondern ein professioneller Journalist neuen Typs - ein Wissensarbeiter in der digitalen Gesellschaft, für den das Urheberrecht und der Honorarvertrag das Arbeitsrecht und den Arbeitsvertrag ersetzen. Er nutzt nicht nur soziale Software für den niederschwelligen Zugang zum Netz und zu den Online-Medien, sondern recherchiert und schreibt auch im Interesse der Zivilgesellschaft der Nutzer.  Er ist ein engagierter Journalist. Am deutlichsten wird das in Krempls Berichterstattung über Software-Patente. Den Argumenten der Patentlobby, die am industriellen Innovationsmodus in Verbindung mit der industriellen Kontrolle der Produktionsbedingungen durch die Rechteinhaber festhält, stellt er die nutzerfreundlichen Argumente der Free-Software-Befürworter und die Idee der Open Innovation entgegen; er recherchiert vor Ort zur Arbeit der Lobbyisten in Brüssel und berichtet darüber – und trägt mit seiner Arbeit dazu bei, dass der Vorstoß der Europäischen Kommission zugunsten einer Richtlinie zur Softwarepatentierung vom Europäischen Parlament zurückgewiesen wird. „EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie“ kann Krempl im Juli 2005 in heise-online schreiben.

Open Access: die Berichterstattung über die Novellierung des Urheberrechts
    
Weniger günstig ist der Bescheid, den uns Krempl letzten Freitag in der ähnlich gelagerten Frage der nationalen Umsetzung der Europäischen Urheberrechtsrichtlinie geben kann. Mit einer Vielzahl von Artikeln hat er den parlamentarischen Prozess der Novellierung und der zivilgesellschaftlichen Interventionsversuche von Anfang an begleitet, mit denen das Urheberrecht an die neuen technischen Möglichkeiten und Nutzergewohnheiten des digitalen Zeitalters angepasst werden sollte. Dabei hat Krempl, der wie andere freischaffende Wissensarbeiter das Urheberrecht ökonomisch nutzt, nie gegen das Urheberrecht an sich, sondern immer für dessen sinnvolle gesellschaftliche Nutzung geschrieben. Er tritt ein für ein Urheberrecht in politischen Schranken, für ein Urheberrecht, das auch den Urhebern nützt und nicht nur den Rechteverwertern; er engagiert sich für die Beibehaltung des Rechts der Nutzer auf die Privatkopie und gegen die fast religiöse Absolutsetzung der Eigentumsansprüche der Rechteinhaber; und er setzt sich ein für den freien Zugang zu öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Information über Online-Journale, Repositorien und Bibliotheken. Zu dieser Berichterstattung gehörte und gehört auch die Aufklärung über Lobbymacht und politische Kräfteverhältnisse, die schließlich zur jetzt gültigen Urheberrechtsnovelle geführt haben.

Die Urheberrechtsnovelle kann aus vielerlei Gründen nicht befriedigen. Sie schwächt die Urheber gegenüber der Marktmacht der Verwerter. Ablesbar ist dies, wie Krempl immer wieder gezeigt hat, zum einen an der weiteren Schwächung des Rechts auf die Privatkopie. Die aber liegt auch im Interesse der Urheber. Das Nachsehen haben hier unmittelbar die Nutzer, deren Werkgenuss mit Billigung des Gesetzgebers von den Rechtinhabern mit Hilfe technischer Schutzmaßnahmen eingeschränkt werden kann. Der urheberrechtliche Interessenausgleich zwischen Nutzern und Rechteinhabern wird so ins Belieben der Rechteinhaber gelegt. Das schadet auch den Urhebern, die sich eine breite Aufnahme ihrer Werke wünschen. Ihre Position wird weiter geschwächt durch die Regelungen zur Gerätepauschale und vor allem zur Nutzung unbekannter Nutzungsarten, mit denen sich die Verwerter die Nutzung zukünftiger technischer Vertriebsmöglichkeiten per Formularvertrag sichern wollen. Diese Regelungen werden den Urhebern eine Vielzahl langwieriger Prozesse, aber im Ergebnis eher weniger Einkünfte einbringen. Das neue Urheberrecht schadet schließlich Bildung und Wissenschaft und hindert die Bibliotheken, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Das ist hier von besonderem Belang. Nicht nur weil heute der Publizistenpreis des Deutschen Bibliotheksverbands verliehen wird, sondern weil hier ein Verhältnis des Gesetzgebers zu den öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Gütern sichtbar wird, an das wir grundsätzliche Fragen richten sollten.

Das neue Urheberrecht enthält (§§ 31a, 38, 52a, b; 53, 95aff; 137 ) einen für die Wissensgesellschaft elementaren Regelungsgedanken: Dass Forschung und (Aus)Bildung auf die Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke angewiesen sind und dass der Einsatz der Online-Technologien an Schulen, Hochschulen und Bibliotheken sowie Aus- und Weiterbildungseinrichtungen unverzichtbar erscheint für eine sowohl qualitativ wie auch quantitativ wirksame Mehrung des gesellschaftlichen Wissens. Um die Erfüllung dieser allgemein akzeptierten öffentlichen Aufgabe zu erleichtern, wenn nicht gar erst zu ermöglichen, müssen der Zugang zu Informationen und kulturelle Teilhabe gesichert werden; deshalb ist es notwendig, dem privaten Nutzungsrecht urheberrechtlich geschützter Werke politische Schranken aufzuerlegen. Unter dem Druck von Verlags- und Film- und Musiklobby blieb von diesem Gedanken wenig Brauchbares übrig: die Schranken wurden weitgehend begrenzt, ungeklärte Auslegungsfragen machen sie zudem oft praktisch unbrauchbar. Befristungs- und Vergütungsregeln verunsichern weiter und gefährden die bereits getätigten Investitionen in den Aufbau und weiteren Ausbau kostenintensiver E-Learning-Programme und entsprechender Infrastrukturen. Zur Kritik in einigen besonders wichtigen Punkten:

Mit der Einführung des rechtlichen Schutzes technischer Schutzmaßnahmen wurde ein dem Urheberrecht fremder Regelungsbereich aufgenommen. Der Gesetzgeber akzeptiert, dass solche Schutzmaßnahmen keine Rücksicht nehmen auf die ohnehin nur geringen Schranken; diese werden technisch weiter begrenzt, dürfen selbst aber nicht umgangen oder entfernt werden.

Die für die öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Güter notwendigen Schranken sind nicht durchsetzungsstark.

Die Regelungen zu den Bibliotheken folgen dem Gedanken des Vorrangs und des Konkurrenzschutzes der privaten Verleger: deshalb die Bindung der digitalen Nutzung an die analogen Bestände und die Einschränkung des elektronischen Kopienversands. Zugrunde liegt hier die ökonomische Definition öffentlicher Güter, wonach diese nur insoweit vorzuhalten sind, als nicht private Anbieter (zu angemessenen Preisen) dies übernehmen. Wo der Ausschluss technisch realisierbar ist und die dadurch erzeugte Verknappung nicht zum Zusammenbruch der Nachfrage führt, sollen private Anbieter den Vorrang haben. Öffentliche Güter erfüllen danach die Funktion einer Kompensation von Marktversagen. Es fehlt ein Verständnis für öffentliche Güter auch jenseits von Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität. Ein Gesetzgeber, der öffentliche Belange und das Gemeinwohl sichern soll, muss öffentliche Güter politisch als Grundgüter bestimmen, an denen alle oder möglichst viele teilhaben sollen und für deren Zugänglichkeit zu fairen (nicht notwendig kostenlosen) Bedingungen der Staat eine Gewährleistungsfunktion hat. In dieser Gewährleistungsfunktion ist die Finanzierung öffentlicher Bibliotheken und Wissenschaft begründet.

Die Äußerungen maßgeblicher Abgeordneter zur Urheberrechtsnovelle, die Krempl zitiert, verraten eine ganz andere Denkweise, etwa wenn Günter Krings (CDU) feststellt, der Gesetzgeber müsse der „Freibier-Mentalität in der Wissenschaft […] Einhalt gebieten“ und er voraussagt, dass in Zukunft kein Weg am Digital Rights Management, d.h. an der Abschaffung der Privatkopie vorbeiführe. Hier kommt ein Staatsverständnis zum Ausdruck, das den Gesetzgeber nicht als Akteur eigenen Rechts im Interesse öffentlicher Belange und öffentlicher Güter sieht, sondern eher als Notar (wenn nicht sogar als Lobbyisten) gesellschaftlicher Gruppen und der zwischen ihnen ausgehandelten Kompromisse.

Lobbyismus
    
An Bemühungen von Seiten der Wissenschaft und der Bibliotheken, auch an politischer Unterstützung hat es nicht gefehlt, um ein am Interessensausgleich und am Wert öffentlicher Güter orientiertes Urheberrecht durchzusetzen. Pressekonferenzen der Bibliotheken, Tagungen - auch der Heinrich-Böll-Stiftung -, Erklärungen zivilgesellschaftlicher Netzwerke wie die „Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft“, die „Berliner Erklärung“ zu Open Access und – nicht weniger eindrucksvoll – die „Göttinger Erklärung“ des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ – sie alle haben sich zu Wort gemeldet und Krempl hat über sie berichtet. Kompromissen im Einzelnen und dem Verhindern von Schlimmerem steht im Ganzen jedoch ein ernüchterndes Ergebnis gegenüber. Stefan Krempl ist den Mechanismen des Lobbyismus in Brüssel und Berlin nachgegangen. Schlüssig erklären, warum sich die Rechteinhaber in wichtigen Fragen gegenüber der wirtschaftlich nicht weniger mächtigen IT-Industrie durchgesetzt haben, kann auch er nicht. Es ist wohl so, dass der Anspruch der Rechteinhaber, auch die Rechte der Kreativen zu vertreten, noch am ehesten verfangen hat. Dahinter aber wird in Umrissen ein Strukturwandel des Zusammenspiels von Lobbyismus und staatlichen Organen sichtbar: die Unternehmen verlieren ihre soziale Einbettung in den deutschen Korporatismus, sie werden autonomer – gegenüber dem nationalen Regime industrieller Beziehungen und sozialer Kompromisse, gegenüber den Wirtschaftsverbänden und gegenüber der Politik. Die Politik tritt ihnen nicht mehr als sozialen Institutionen sondern immer mehr als privaten Vereinigungen von Shareholdern gegenüber und macht sich deren Konkurrenzschutz und die notarielle Dokumentation ihrer Kompromisse zum Anliegen.
Neue Geschäftsmodelle?

Wie geht es weiter? Werden die neuen gesetzlichen Regelungen des Urheberrechts Bestand haben und welche Änderungen braucht eine tatsächlich bildungs- und wissenschaftsfreundliche nächste Novelle, wie sie u.a. vom Wissenschaftsausschuss des Bundestags und vom Bundesrat gefordert wird? Die wesentlichen Regelungen des – mit Korrekturen verabschiedeten – Regierungsentwurfs, bezeichnete Professor Reto Hilty vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum bei der Anhörung im Deutschen Bundestag als

„Zeugen eines Technologieverständnisses, das den modernen Formen der Informationsvermittlung nicht mehr entspricht. […] Es werden sich daher sehr bald“,  folgerte er, „Geschäftsmodelle entwickeln müssen, welche deutlich über die durch die {neuen gesetzlichen} Normen geschaffenen Möglichkeiten hinausgehen werden.“
Diese Geschäftsmodelle entwickeln sich tatsächlich – und Stefan Krempl hat ihnen seit Jahren große Aufmerksamkeit gewidmet. Sie alle kreisen um die Prinzipien von Open Access: Danach soll die Nutzung von öffentlich gemachtem und mit öffentlichen Mitteln produziertem Wissen aus Bildung und Wissenschaft grundsätzlich für jedermann frei sein. Die Kosten sollen nicht von den Nutzern aufgebracht werden müssen, sondern von den Produzenten dieses Wissens und ihren Institutionen, die ein Interesse an der breiten Rezeption dieser Produkte haben. Auf diese Institutionen – Institute und Bibliotheken – kommen völlig neue Herausforderungen zu, denen sie sich in den nächsten Jahren stellen werden. Sie werden sich zu einem virtuellen Dienstleistungsverbund entwickeln und brauchen hierzu entsprechende bildungs- und wissenschaftsfreundliche Regelungen. Eine auf 6 Monate unabdingbare Embargofrist könnte den Anfang machen, um schließlich auf grünen und goldenen Wegen den Paradigmenwechsel zu einer expliziten Open-Access-Politik im großen Stil zu schaffen.

Und ich freue mich darauf, dass Stefan Krempl diesen schwierigen Prozess aufmerksam und mit dem Blick für die Möglichkeiten des Neuen beschreiben und analysieren wird.

Dr. Andreas Poltermann, Referent Bildung und Wissenschaft
Münster, 24. September 2007