Emily Nasrallah
Schriftstellerin, Libanon

Emily Nasrallah gehört zu den bekanntesten Schriftstellerinnen der arabischen Welt. Mit ihren Texten für Erwachsene und Kinder hat sie eine poetische Sprache gefunden, um den Alltag im vom Bürgerkrieg gezeichneten Libanon zu beschreiben. Nicht zuletzt dadurch trägt sie zur Aussöhnung zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Libanon bei. Zentrale Themen sind, neben dem Kriegsgeschehen, die Lebenswelten von Frauen im dörflichen Kontext und die Migration. Ihr erster Roman „Septembervögel“ (1962) gilt heute als Klassiker der arabischen Literatur und gehört im Libanon zur Schullektüre.  

Emily Nasrallah wurde 1931 geboren und wuchs in einer christlichen Familie in einem Dorf im Südlibanon auf. An der American University in Beirut studierte sie Erziehungswissenschaften. In der Hauptstadt Libanons arbeitete sie zunächst als Lehrerin, dann als Journalistin und freie Schriftstellerin. 1962 debütierte sie mit dem Roman „Touyour Ayloul“ („Septembervögel“), der mit drei arabischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Neben Romanen, Essays und Erzählbänden für Erwachsene veröffentlichte Emily Nasrallah auch sieben Kinderbücher.

Im Zentrum ihrer Texte stehen das Dorfleben im Libanon, Emanzipationsbestrebungen der Frauen, Identitätsfragen im libanesischen Bürgerkrieg und Migrationserfahrungen. Viele ihrer Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem ins Englische, Spanische, Niederländische, Finnische, Thailändische und Deutsche. Obwohl ihre Besitztümer mehrmals Bombenangriffen vollständig zum Opfer fielen, weigerte sich Emily Nasrallah, selbst ins Exil zu gehen. Zusammen mit einer als „Beirut Decentrist“ bezeichneten Gruppe von Schriftstellerinnen blieb sie in Beirut, wo die Mutter von vier Kindern auch heute lebt.  

In einer Vielzahl ihrer Bücher thematisiert Emily Nasrallah die Lebensmodelle von Frauen, die in ihrem Streben nach Gleichberechtigung und freier Entfaltung hin- und hergerissen sind zwischen dörflich-familiärer Enge und urbaner Freiheit. Ihre Figuren begehren auf gegen tradierte gesellschaftliche Zwänge, finden jedoch meist keine neue soziale Zugehörigkeit. So erzählt „Al-Rahîna“(„Das Pfand“, 1974/ dt. 1996) die Geschichte Randas, die als junge Frau erfährt, dass ihre Eltern sie bei ihrer Geburt an einen mächtigen Grundbesitzer verpfändet haben – ihr Fluchtversuch in die Freiheit erweist sich jedoch als vergeblich. Als im Libanon ab 1975 für mehr als fünfzehn Jahre Bürgerkrieg herrschte, wurden Emily Nasrallahs Romane und Erzählungen zu Hilferufen aus einer zerfallenden Gesellschaft. In ihrem preisgekrönten Kinderbuch „Yawmiyyat Hirr“ („Kater Ziku lebt gefährlich“, 1997/ dt. 1998) schildert sie aus dem Blickwinkel eines Katers und dem Mädchen Mona den Kriegsalltag im umkämpften Beirut. Die distanzierte Perspektive des Katers ermöglicht es der Autorin, von den Schrecken des Krieges detailliert zu berichten, ohne zu verharmlosen.   

Emily Nasrallah hat an vielen internationalen Veranstaltungen teilgenommen, unter anderem am „internationalen literaturfestival berlin” 2005. Sie gehört zu den Jurymitgliedern des Projekts „Junge arabische Autoren“ des deutsch-arabischen Literaturforums MIDAD.    

Zitate von Emily Nasrallah  
„Die meisten meiner Werke entstanden unter Bombardement. Man konnte nichts machen, nirgendwo hingehen. Deshalb versuchte ich dadurch zu überleben, dass ich meinen Verstand von den Kämpfen ablenkte und mich geistig beweglich hielt. Einmal schrieb ich eine Kurzgeschichte, während wir uns im Flur versteckten. Um gesund zu bleiben, schrieb ich alles auf, was ich hörte und fühlte. Es war ein Nerventest, um zu sehen, wie lange ich einen klaren Kopf bewahren und in dieser Situation nicht in Panik verfallen würde.“ (Emily Nasrallah in: Nelda LaTeef (Hrg.), Women of Lebanon, Interviews with Champions for Peace, Jefferson 1997)  


„Ich selbst habe immer die Vorstellung, die Literatur in Literatur für Frauen und Männer aufzuteilen, abgelehnt, ich muss aber zugeben, dass das meiste, was arabische Frauen geschrieben haben, als wichtigsten Inhalt ihre Selbstentfaltung hat: ihren Kampf um Freiheit und Gleichheit, ihre Reisen, in denen sie ihre intellektuellen und schöpferischen Errungenschaften überprüften. Sie haben über ihre Kämpfe gegen Männer, die Herren ihres Schicksals, und gegen die Gesellschaft, die ihre Person und ihre Bemühungen verniedlicht, geschrieben.“ (Aus der Einleitung von „A House not her Own“, Kurzgeschichten, 1992)  
„Manche Menschen meinen, dass wir den Krieg komplett aus unserem Gedächtnis streichen sollten. Ich aber denke, dass wir uns stets erinnern und unsere Lehren daraus ziehen müssen. So wird die Vergangenheit zur Warnung für die nachfolgenden Generationen.“ (aus „Kater Ziku lebt gefährlich“, Erstausgabe in deutscher Übersetzung 1998)  


Zitate über Emily Nasrallah  
„Obwohl der Krieg die 'kinderfeindlichste Realität' ist, die man sich vorstellen kann, gibt es Wege, dieses Thema auch Kindern nahe zu bringen. Emily Nasrallah hat eine gute Lösung gefunden, die politische Gewalt fassbar macht. Sie schildert in ihrem Roman 'Kater Ziku lebt gefährlich' einen Bürgerkrieg aus der Sicht eines Katers, der zwar die Sprache seiner menschlichen 'Familie' versteht, dabei aber deren Angst aus einer gewissen Distanz beobachtet.“ (Sieglinde Geisel in ihrer Rezension zu „Kater Ziku lebt gefährlich“, Neue Zürcher Zeitung vom 25.05.2005)  

„Ihr großes Thema war in den Anfängen die Rolle der Frau in der arabischen Kultur, und sie weist stolz darauf hin, dass ihre Träume Realität geworden seien. Sie selbst hatte sich das Recht auf ein Studium noch hart erkämpfen müssen, und so ist sie als Pionierin der Frauenemanzipation zu einer Instanz geworden.“ (Christine Lötscher, „Zugvögel als Symbol für die Freiheitsliebe“, Tagesanzeiger vom 04.02.2006)  


Publikationen (in deutscher Übersetzung)  

  • 1988·„Septembervögel“, Lenos Verlag, Basel.  
  • 1991 „Flug gegen die Zeit“, Lenos Verlag, Basel.  
  • 1996·„Das Pfand“, Lenos Verlag, Basel.  
  • 1998 „Kater Ziku lebt gefährlich“, Verlag Nagel & Kimche, Zürich/Frauenfeld.  

Auszeichnungen (Auswahl)  

  • 1962 Laureate Best Novel / Poet Said Akl Prize / Friends of the Book Prize, „Touyour Ayloul”/„Septembervögel”  
  • 1998 LIBBY Children's Book Prize, „Yawmiyyat Hirr”/„Kater Ziku lebt gefährlich“  
  • 2002 Poet Said Akl Prize, „Riyah Janoubiyyeh”/„Southern Winds” (Essays)
  • 2017 Goethemedaille