Dreißig Jahre im Bundestag

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Dreißig Jahre im Bundestag

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1. März 2013

 

Im März 1983 zog die erste grüne Fraktion in den Deutschen Bundestag ein. Heute, dreißig Jahre später, sind die Grünen die drittstärkste Kraft in der deutschen Politik. Doch ihre Wirkung geht mittlerweile weit über Deutschland hinaus. „Grün“ ist eine globale Marke geworden, in der Politik wie in der Ökonomie. Sie wird mit ökologischer Verantwortung, alternativen Energien, politischer Teilhabe und Geschlechterdemokratie assoziiert.
Die amerikanischen Politikwissenschaftler Andrei Markovits und Joseph Klaver sind dem Erfolg der Grünen nachgegangen und beschreiben anschaulich und kenntnisreich die Themen, mit denen die Grünen die Politik und die Gesellschaft nachhaltig verändert haben – und die sie selbst veränderten.

„Die Grünen gehören heute dazu und sind doch immer noch anders als die Anderen.“
Ralf Fücks in seinem Vorwort 

Dreißig Jahre im Bundestag
Der Einfluss der Grünen auf die politische Kultur und das öffentliche Leben der Bundesrepublik Deutschland

Ein Essay von Andrei S. Markovits und Joseph Klaver
Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung
Aus dem Englischen von Jochen Schimmang
1. Auflage, Berlin 2013, 88 Seiten plus Abbildungen, Preis: € 5,-
ISBN 978-3-86928-100-1

Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin, Tel. 030-285340, Fax: 030-28534109, E-mail: buchversand@boell.de

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Dreißig Jahre im Bundestag
  
Herausgeber/inHeinrich-Böll-Stiftung
ErscheinungsortBerlin
Erscheinungsdatum1. 2013
Seiten88
ISBN978-3-86928-100-1
Bereitstellungs-
pauschale
5 Euro


 
 

Vorwort

Es ist eine interessante Erfahrung, vertraute Phänomene mit den Augen eines Außenstehenden wahrzunehmen. Vieles Selbstverständliche erscheint dann in einem anderen Licht. So geht es mir auch mit dem Essay von Andrei Markovits und Joseph Klaver. Der Text liest sich fast wie eine Liebeserklärung an die Grünen. Man kann die fortwirkende Begeisterung spüren, die Markovits bis heute für diese politische Formation empfindet, die er seit ihrer Gründung immer wieder aus der Nähe betrachtet hat. Bei den Grünen findet er offenbar viele seiner eigenen politischen Überzeugungen und Hoffnungen wieder. Er sieht sie als Verkörperung des großen politisch-kulturellen Aufbruchs der 1960er Jahre: Rock-Musik und Hippie-Bewegung, antiautoritäre Revolte und Neue Linke, Kampf um Bürgerrechte und Proteste gegen den Vietnam-Krieg, Feminismus und erwachendes Umweltbewusstsein. In den USA hat diese buntscheckige Bewegung nur indirekt Eingang in die politischen Institutionen gefunden (Bill Clinton und Barack Obama wären ohne sie aber nicht denkbar). In Deutschland mündete sie in eine eigenständige politische Formation.

Zwar spielten bei der Gründung der Grünen auch Überläufer aus dem konservativen und liberalen Spektrum eine prominente Rolle. Und nach der Wiedervereinigung kam mit den ostdeutschen Bürgerrechtlern ein neues Element dazu, eine andere Sprache und eine andere historische Erfahrung als die der links-alternativen Bewegungen im Westen. Wer weiß, ob die Grünen nach dem Wahldebakel von 1990 ein Comeback geschafft hätten, wenn nicht die ostdeutschen Abgeordneten von Bündnis 90 in die Bresche gesprungen wären. Dennoch hat Markovits recht, wenn er die Grünen als eine Fernwirkung jenes großen Aufbruchs beschreibt, der unter dem Kürzel „68“ zusammengefasst wird.

Diese Vorgeschichte war beim Einzug der ersten grünen Fraktion in den Deutschen Bundestag im Frühjahr 1983 noch unübersehbar – nicht nur im antibürgerlichen Habitus, sondern auch in der Sprache, im Temperament und in den Themen dieser ausgeprägten Individualisten (Frauen wie Männer), die damals den Bundestag enterten. Zu diesem Zeitpunkt war schon entschieden, dass die Grünen trotz ihres Gründungs-Slogans „Weder links noch rechts, sondern vorn“ im Kern ein Projekt der Neuen Linken waren – dabei liegt die Betonung auf „neu“, denn sie setzten neue Themen auf die politische Agenda und entwickelten einen neuen Politikstil, der sie von linksradikalen Gruppen ebenso unterschied wie von der Sozialdemokratie.

Man kann die Evolution der Grünen auch als eine Geschichte von Trennungen lesen: zunächst von den politisch wie kulturell konservativen Bundesgenossen der Gründerzeit und später von den sozialistischen Strömungen, die den Weg zu einer linksliberal-ökologischen Reformpartei nicht mitgehen wollten. Zahlreiche prominente Akteure der frühen Jahre haben die Partei verlassen: Herbert Gruhl, Otto Schily, Jutta Ditfurth, Wolf-Dieter Hasenclever und Willi Hoss stehen stellvertretend für viele andere. Aus der ersten Fraktion sind allein Marieluise Beck und Christian Ströbele noch im Bundestag aktiv. Die Begeisterung unserer beiden Autoren über die kunterbunte Vielfalt und den Elan der frühen Jahre verdeckt die brutale Härte, mit der bis in die 1990er Jahre hinein der Kampf um die politische Orientierung der Grünen ausgefochten wurde. Damit verglichen sind die heutigen Überreste der Flügelkämpfe nur ein laues Lüftchen. Nie war der gefühlte Grundkonsens innerhalb der Grünen so groß wie heute. 

Für Markovits und Klaver – die an dieser Stelle für ihren wunderbaren Text bedankt sein sollen – sind die Grünen das erfolgreichste politische Projekt der letzten 30 Jahre, und zwar weit über Deutschland hinaus. „Grün“ ist inzwischen eine globale Marke, in der Politik wie in der Ökonomie. Sie wird mit ökologischer Verantwortung, alternativen Energien, politischer Teilhabe, gewaltfreier Konfliktlösung und Geschlechterdemokratie assoziiert, ist also in den Augen der meisten Menschen eine grundsympathische Angelegenheit. Kurz und gut: „Grün ist schlicht cool.“

In Deutschland sind die Grünen auf dem Sprung in eine neue politische Dimension. Sie stellen den Ministerpräsidenten einer grün-roten Koalition in einem industriellen Kernland der Republik, erobern absolute Mehrheiten bei Bürgermeisterwahlen und bilden mit klarem Abstand die dritte Kraft in der deutschen Politik. In diesem Herbst unternehmen sie einen neuen Anlauf in die Bundesregierung, verglichen mit 1998 aus einer deutlich gestärkten Position. Rückblickend betrachtet erscheint das fast wie ein Märchen.
Dennoch ist die grüne Erfolgsgeschichte in Deutschland kein Mysterium. Sie beruht auch auf einer außergewöhnlichen Ansammlung talentierter, hingebungsvoller und lernfähiger politischer Aktivisten, die sich über die Jahre Respekt für ihre Sachkompetenz und ihren Elan erworben haben. Im Vergleich zur FDP wirken die Grünen heute wie ein Ausbund an Seriosität und Temperament zugleich. Dabei ist die bundespolitische Elite der Grünen nur die Spitze des Eisbergs. Die Basis grüner Erfolge ist die Verankerung der Partei in der Kommunalpolitik. In vielen Städten bewegen sich die Grünen heute auf Augenhöhe mit SPD und CDU. Unsere beiden Autoren drücken es so aus: Die Grünen sind im Establishment angekommen, ohne zum Establishment zu werden. Das werden manche bestreiten, bringt aber eine spezifische Differenz der Grünen zu CDUSPDFDP auf den Punkt: Auch wenn grüne Politikerinnen und Politiker zu Amt und Würden gelangen, bleibt in der Regel doch eine gewisse Reibung zwischen Person und Funktion spürbar, sei es im unkonventionellen Stil oder im Inhalt ihrer Politik. Joschka Fischer war mit Leib und Seele Staatsmann, und dennoch blitzte unter dem Staatsrock immer wieder der Frankfurter Sponti auf. Auch wo die Grünen regieren, gehen sie nicht im Status quo auf. Zumindest wird das von ihnen erwartet. Insoweit wirkt der Anspruch einer alternativen Politik immer noch fort, auch wenn der radikale Gestus der Gründerjahre durch einen zunehmend bürgerlichen Habitus abgelöst wurde.
Es greift allerdings zu kurz, den Erfolg der Grünen nur bei ihnen selbst zu suchen. Entscheidend war etwas anderes: Sie haben mit ihren Kernthemen den Nerv der Zeit getroffen. Es gab von Anfang an eine Korrespondenz zwischen den grünen Botschaften und dem berühmten „Zeitgeist“. Insofern sind die Grünen politischer Ausdruck tiefer liegender Trends in der Gesellschaft. Markovits und Klaver arbeiten das an vier tragenden Säulen grüner Programmatik heraus: Ökologie, Frauen- und Geschlechterpolitik, Friedenspolitik und Erweiterung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch neue Formen politischer Teilhabe.

Die Grünen waren Vorreiter für einen gesellschaftlichen Wertewandel, während sich die Gesellschaft zugleich auf die Grünen zubewegt hat. Ohne Rückendwind aus der Gesellschaft heraus hätten sie ihre Themen nicht so erfolgreich auf die politische Tagesordnung setzen können.

Dass dies keine bruchlose Erfolgsgeschichte war (und ist), wird am Thema „Frieden“ deutlich. Nicht nur, dass die Grünen schwere Verwerfungen in der Auseinandersetzung um militärische Interventionen in humanitärer Absicht durchgemacht haben – die Debatten um den Bundeswehreinsatz in Bosnien, im Kosovo-Krieg und in Afghanistan haben die Partei bekanntlich an den Rand einer Spaltung geführt. Markovits merkt zurecht an, dass der ausgeprägte Widerwille der Deutschen gegen Militärinterventionen nicht nur Ausfluss reiner Friedensliebe ist. Es gibt auch eine durchaus egoistische „Ohne uns!“-Haltung im Gewand moralischer Überlegenheit, mit der die Kinder und Enkel der Wehrmachtsgeneration auf die USA und Israel herabblicken. So wie es keine moralisch unbefleckte Beteiligung an militärischen Interventionen gibt, kann auch die Nichtbeteiligung an internationalen Militärmissionen in unterlassene Hilfeleistung umschlagen. Dass der latente Konflikt zwischen „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Völkermord!“ nicht einseitig aufgelöst werden kann, gehört zu den schwierigen Lernprozessen der Grünen.

Schaut man auf die dreißig Jahre seit dem Einzug jener bunten Gruppe in den deutschen Bundestag zurück, wird ein doppelter Veränderungsprozess sichtbar: Die Grünen haben die Gesellschaft verändert, und die Teilnahme am politischen Leben der Republik hat die Grünen verändert. Sie gehören heute dazu und sind immer noch anders als die Anderen; sie stehen für weitreichende Veränderungen und zugleich für hinreichende Bodenhaftung, um die Gesellschaft nicht in Abenteuer ohne Netz und doppelten Boden zu stürzen. 

Der eigentliche Maßstab für den Erfolg der Grünen sind die politischen Projekte, die sie auf den Weg gebracht haben, vom Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Zuwanderungsgesetz. Dabei gab es vor allem zwei große Erfolgsgeschichten: die Energie- und Umweltpolitik und die neue politische Kultur. Auf diesem Feld haben die Grünen fundamentale Veränderungen bewirkt: die selbstbewusstere Rolle von Frauen gehört ebenso dazu wie die Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare, die Präsenz von Migranten in der Politik, das neue Staatsbürgerschaftsrecht und die vielfältigen Formen der Bürgerbeteiligung, die inzwischen zum Alltag gehören. Bei all diesen Veränderungen waren die Grünen Sprachrohr und Verstärker eines Wertewandels, der die anderen Parteien häufig noch älter aussehen lässt, als sie es ohnehin sind.

Keine schlechte Bilanz. Die Grünen haben schon viel erreicht – doch es bleibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer ökologischen und solidarischen Gesellschaft.

Berlin, im Februar 2013

Ralf Fücks
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

 
 
 
Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
1. März 2013
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Seitenzahl
88
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
ISBN / DOI
978-3-86928-100-1
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