Wie sich Konzerne und Forschungseinrichtungen die biologische Vielfalt aneignen
Von Gregor Kaiser
Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Vorspann
Pflanzen und ihre Inhaltsstoffe haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem großen Markt entwickelt. Pharma-, Agro-, Kosmetik- und Lebensmittelkonzerne bezahlen ForscherInnen, die auf der ganzen Welt nach „Neuentdeckungen“ suchen. Dass diese oft gar nicht so neu sind, sondern das Wissen meist von indigenen Bevölkerungen in Erfahrung gebracht wird und seit Jahrhunderten bekannt ist, hindert die Konzerne nicht, sich durch die Anmeldung von Patenten weltweite Nutzungsrechte zu sichern. Doch seit einigen Jahren formiert sich Widerstand gegen diese „Biopiraterie“, welche eine aktuelle Form des Kolonialismus darstellt.
Alle Menschen nutzen Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen oder Teile von ihnen. Abgesehen von der essenziellen Sauerstoffproduktion der Pflanzen wird biologische Vielfalt als Nahrungsmittel oder Energiequelle genutzt, zu ästhetischen oder spirituellen Zwecken, zum Bau von Häusern oder für Kosmetika. Oder auch zur Bekämpfung oder Vorbeugung von Krankheiten – im Rahmen traditioneller Medizin wie in „modernen“ Arzneimitteln. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 40 Prozent der derzeit auf dem Markt befindlichen Medikamente natürlichen Ursprungs sind. Vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die genetischen Informationen der Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen einen neuen Stellenwert erhalten. Durch die Gentechnologie und andere technische Verfahren ist es möglich geworden, im westlich-wissenschaftlichen Verständnis neue Informationen über Inhaltsstoffe, Enzyme und Wirkungsweisen zu erlangen, die Natur besser zu verstehen und neue Nutzungsweisen biologischer Vielfalt zu erforschen.
Die Nutznießer
Pharmazeutische Unternehmen wie Merck, Pfizer, Aventis, Boehringer-Ingelheim oder Bayer versuchen, aus der „Schatzkammer der Natur“ neue Medikamente zu gewinnen und sie als Blockbuster auf die Märkte zu bringen. Agrochemiekonzerne wie Monsanto, Syngenta, BASF oder Bayer Crop Science durchleuchten durch Bioprospektion das „Grüne Gold der Gene“, um neue „Pflanzenschutzmittel“ zu produzieren oder mit Hilfe traditionellen Saatguts neue Hochertragssorten für den kommerziellen Saatgutmarkt zu züchten. Nahrungsmittel- oder Kosmetikkonzerne wie Nestlé, Unilever oder Asahi benutzen das Wissen der indigenen Bevölkerung über die Verwendung biologischer Vielfalt, um die Gesundheits-, Schönheits- oder Kosmetikmärkte der Industrieländer neu bedienen zu können. Universitäten und kooperierende Unternehmen machen Jagd auf die indigenen Gruppen dieser Erde, um möglichst noch vor deren Aussterben im Rahmen des „Human Genome Diversity Projects“ ihr Erbgut zu archivieren. Sie wollen so seltenen Krankheiten auf die Spur kommen oder wissenschaftliche Meriten ernten.
Diese technischen Entwicklungen gehen einher mit dem Wunsch der beteiligten Unternehmen, die von ihnen in die Erforschung neuer Medikamente, neuen Saatguts, neuer Pflanzenvernichtungsmittel, neuer Kosmetika investierten Summen durch den Verkauf potenzieller Produkte wieder einzuspielen, natürlich inklusive einer reichlichen Rendite. Und genau zu diesem Zweck wird immer mehr das Patentrecht (oder andere geistige Eigentumsrechte, wie Sortenschutz oder geographische Herkunftsangaben) genutzt (siehe Kasten). Die Unternehmen lassen sich das Wissen um die Nutzung der biologischen Vielfalt als ihr geistiges Eigentum schützen, beantragen das alleinige Verwertungsrecht in allen für die Vermarktung ihres Produkts geeigneten Ländern und verbieten somit die nicht-lizensierte Nutzung. Als Folge können sich viele Menschen die Versorgung mit Arzneimitteln oder den jährlichen Saatgutkauf nicht leisten oder es wird ihnen auch ganz konkret die Lebensgrundlage entzogen, wenn durch plötzlich verstärkte Nachfrage nach einer Ressource die Preise stark in die Höhe steigen und alltägliche Produkte unerschwinglich werden.
Das Beispiel Cupuaçu
Im Jahr 2000 wollten brasilianische Kleinbauern und -bäuerinnen aus dem Amazonasgebiet Marmeladen aus dem Fruchtfleisch der Cupuaçu-Frucht (dem Kakao verwandt) exportieren. Doch sie scheiterten zunächst: Die japanische Firma Asahi hatte den Namen der Pflanze unter anderem in Europa als Marke eingetragen lassen – und damit das Eigentum an diesem Wort im Bereich von Süßspeisen inne. Cupuaçu-Marmelade hätte nur von Asahi als „Cupuaçu-Marmelade“ vertrieben werden dürfen. Dies ist etwa so, als wenn nur Zentis Erdbeermarmelade als „Erdbeermarmelade“ verkaufen dürfte. Zudem hatte Asahi auf die Herstellung von „Cupulate“, einer Art Schokolade aus dem Öl der Samen der Cupuaçu-Frucht, ein Patent beantragt. Im Sommer 2002 war dieser Patentantrag beim Europäischen Patentamt in München eingereicht worden.
Asahi behauptete, die Herstellung von Cupulate sei etwas Neues. Doch schon seit Jahren wird in der Amazonasregion ein kakaohaltiges Getränk aus Cupuaçu als Schulgetränk kostenlos ausgegeben und in einer Einwendung an das Europäische Patentamt durch die brasilianische Organisation Amazonlink, den Regenwaldladen in Freiburg und die BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie konnte dokumentiert werden, dass bereits seit mehreren Jahrzehnten die Herstellung von Cupulate bekannt ist, und dass Asahi für ihre „Erfindung“ das traditionelle Wissen der Menschen aus der Amazonasregion instrumentalisierte. Inzwischen ist der Streit gut ausgegangen: Im Juni 2005 wurde der Patentantrag für ungültig erklärt und auch die eingetragene Marke kippte nach einem Löschungsantrag aus Brasilien.
Widerstand gegen Biopiraterie
So wie im Fall Cupuaçu geht es fast immer zu, wenn biologische Vielfalt privatisiert werden soll. Mit Hilfe des Wissens der ortsansässigen, häufig indigenen Bevölkerung wird die Suche nach der Nadel im Heuhaufen beschleunigt, um schnell und kostengünstig Medizinalpflanzen zu finden. Dann werden im Labor die chemischen Strukturformeln herausgefunden und danach bei europäischen oder US-amerikanischen Patentbehörden Patentanträge auf die Wirkweise, zum Teil inklusive der Pflanzen selbst, gestellt – auch wenn die Nutzungsmöglichkeiten gegen Krankheiten oder Schädlingsinsekten schon seit Jahrhunderten bekannt sind. Die Patentanträge werden bei den Patentämtern geprüft und meistens durchgewunken, finanzieren sie sich doch vorwiegend aus Gebühren für erteilte Patente.
Der Einspruch zivilgesellschaftlicher Gruppen ist häufig die einzige Möglichkeit, die Privatisierung zu verhindern oder rückgängig zu machen. Doch das ist teuer und arbeitsintensiv, viele Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche oder indigene Gruppen können sich das nicht leisten. Versucht wird daher vor allem, mit Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit das Problem der Biopiraterie bekannt zu machen und durch punktuelle Aktionen zivilen Ungehorsams auf die Ungerechtigkeiten und Ausbeutungsmechanismen der Aneignung und Patentierung der biologischen Vielfalt hinzuweisen. Hilfreich kann da in Zukunft die gerade verabschiedete UN-Deklaration zum Schutz indigener Bevölkerung sein, die die Rechte indigener Gruppen in Bezug auf genetische Ressourcen, Saatgut und Heilmittel explizit betont und auch deren Kontrolle über das traditionelle Wissen als besonders wichtig anerkennt.
Gregor Kaiser promoviert zum Thema „Eigentum und Allmende. Alternativen zu geistigen Eigentumsrechten an genetischen Ressourcen“ und ist aktiv in der Buko-Kampagne gegen Biopiraterie.
Was ist ein Patent?
Patente sind eine wichtige Form des Schutzes von geistigem Eigentum. Andere Formen sind etwa das Urheberrecht, Copyright oder auch das Sortenschutzrecht im Nutzpflanzenbereich. Ein Patent ist ein Immaterialgüterrecht, das heißt, es gibt dem Inhaber des Patents das Recht, eine Idee oder einen Produktionsprozess als sein Eigentum zu schützen.
Das Patentrecht ist ursprünglich eine nationale Angelegenheit, in Deutschland gibt es ununterbrochen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein Patentrecht. Für die Gewährung eines Patents durch das Deutsche Patentamt müssen drei Kriterien erfüllt sein: Es muss sich um eine Erfindung handeln, es muss etwas Neues sein und es muss gewerblich anwendbar sein. Patente werden in der Regel nach Beantragung eines Patentschutzes für 20 Jahre gewährt, so denn die jährliche Patentgebühr an das Patentamt entrichtet wird. Patente sind ein Ausschließungsrecht und an ein Territorium gebunden. Der Patentinhaber kann alle anderen von der Nutzung seines Produkts oder Verfahrens ausschließen oder er kann Einigen die Nutzung gegen die Zahlung von Lizenzgebühren erlauben.
Ein Patent gibt aber noch kein Nutzungsrecht – so kann beispielsweise durch Gesetze festgelegt sein, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht kommerziell ausgebracht werden dürfen, auch wenn auf solche Produktionsverfahren schon Dutzende Patente bestehen. Ein Patent gilt nur in dem Land, wo es angemeldet wurde, in allen anderen Ländern können Dritte das Produkt oder das Verfahren lizenzfrei nutzen, nachbauen oder produzieren. Allerdings darf niemand anderes mehr ein bereits in einem anderen Land geschütztes Produkt oder Verfahren zu einem Patent anmelden.
In Europa gibt es neben den nationalen Patentämtern das Europäische Patentamt (EPA) mit Hauptsitz in München. Dort können für mehrere Länder gleichzeitig Patentanmeldungen vorgenommen werden. Auf globaler Ebene besteht seit gut 40 Jahren die WIPO, die World Intellectual Property Organization, die für weltweite Patentanmeldungen Koordinationsaufgaben übernimmt sowie technische Hilfe und Unterstützung bereitstellt. Es gibt allerdings bisher noch kein Weltpatentamt oder Weltpatent. Durch das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation von 1995 wurden aber weltweite Mindeststandards für Patentverfahren gesetzt, die von allen Mitgliedsstaaten der WTO umgesetzt werden müssen.