Klare Niederlage für Musharraf und die Islamisten

 

» Zum Dossier: Wahlen in Pakistan 2008

» Die vorläufigen Ergebnisse der Parlamentswahlen (PDF, 1 Seite, 21 KB) können Sie hier herunterladen.



Noch ist das Ergebnis nicht amtlich bestätigt – aber nach Ende der Auszählung ist klar: die Regierungsparteien um Präsident Musharraf haben landesweit massiv verloren. Und die bisherigen Oppositionsparteien PML-N von Ex-Premier Nawaz Sharif und die Pakistan People´s Party PPP um die ermordete Benazir Bhutto könnten in einer Koalition eine neue starke Regierung stellen, mit über 60% der Parlamentssitze.

Und dies nicht nur im Nationalparlament in Islamabad, sondern auch in den beiden wichtigsten Provinzen Punjab und Sindh. Zudem haben die Wähler der Nordwestgrenzprovinz NWFP, die seit 2002 vom religiös-fundamentalistischen Parteienbündnis MMA regiert wurde, mit der PPP und der ANP zwei säkularen Parteien eine nicht erwartete klare Mehrheit verschafft.

Der Wahlgang

Die letzte Nacht und der heutige Tag werden von spontanen Feiern und ausgelassener Stimmung in den Straßen Karachis, Lahores und Islamabads bestimmt. Dabei jubeln nicht nur die Anhänger der siegreichen Parteien, sondern die Pakistani feiern sich selbst auch ein wenig. In einem Land, dessen Bevölkerung in den letzten Jahren nur negative Schlagzeilen und eine politische Entmündigung durch Militärregierungen gewohnt war und wo von Wahlen eigentlich nichts mehr erwartet wurde, geht von Ausgang der gestrigen Parlamentswahlen eine klare Botschaft aus. Sie lautet: Politische Beteiligung und politisches Engagement lohnen sich auch in Pakistan und über Wahlen kann man auch hier Veränderungen erreichen. Das ist nicht selbstverständlich, denn bis letzte Woche gab es immer noch weitverbreitete Zweifel, ob nicht eine erneute Verschiebung drohe.

Somit wird auf den Straßen zu allererst das wichtigste Ergebnis gefeiert: die Parlamentswahlen in Pakistan haben stattgefunden und es gab am Wahltag selbst keine erneuten Gewaltexzesse. Die Erleichterung darüber wird im ganzen Land spürbar und der Stolz und die Genugtuung darüber, relativ friedliche Wahlen organisieren zu können, versetzt viele Pakistani endlich einmal in kollektive Feierstimmung. Und da das Ergebnis offensichtlich die politische Arena nachhaltig verändert und vielleicht neue Perspektiven aus der pakistanischen Dauerkrise eröffnet, feiert die Börse in Karachi gleich mit: es gab heute erhebliche Kurssprünge von einheimischen Werten und pakistanischer Landeswährung.

Die Beteiligung

Die Wahlbeteiligung wird ca. 40% betragen. Das ist nicht besonders hoch, aber gemessen an den Vorhersagen und angesichts der Bombenanschläge und gezielten Tötungen von Kandidaten noch am Vorabend der Wahlen ist es besser als erwartet. Und vor allem aufgrund der Tatsache, dass es auch am Wahltag gezielte Anschläge in Balochistan gab, dass 16 Menschen in tätlichen Auseinandersetzungen in Wahllokalen ums Leben kamen und dass noch am Wahltag Frauen in der Nordwestgrenzprovinz von Militanten vor der Stimmabgabe gewarnt wurden. Entsprechend zögerlich war der Beginn gestern früh. Ab dem späten Vormittag riefen dann aber die privaten Fernseh- und Rundfunksender alle fünf Minuten die Wähler eindringlich auf, nicht zuhause zu bleiben. Und die Sender versicherten immer wieder, die Sicherheitslage sei normal, man solle keine Angst haben.

Bemerkenswert ist auch, dass dieser Wahlgang nach ersten Einschätzungen die Voraussetzungen freier, fairer und transparenter Wahlen erfüllte. Jedenfalls dann, wenn man Mindeststandards anlegt und behördlichen und technischen Schlampereien und Unzulänglichkeiten nicht zuviel Bedeutung beimisst. Völlig ungewöhnlich ist, dass die Wahlverlierer der Musharraf-Partei PML-Q ihre Niederlage eingestanden haben und ihren Kontrahenten gratuliert haben.

Das Ergebnis

Die bisherigen Regierungsparteien um Präsident Musharraf haben nicht nur in der Nationalversammlung in Islamabad ihre Mehrheit verloren, sondern auch in drei der vier Provinzen. (siehe vorläufige Ergebnisse der Parlamentswahlen)

Somit wird es neue Regierungen in den beiden wichtigsten Provinzen Punjab mit der Hauptstadt Lahore und in der Provinz Sindh mit der Wirtschaftsmetropole Karachi geben. Die Pakistan Muslim League PML-N unter dem Ex-Premierminister Nawaz Sharif verfehlte zwar in ihrer Hochburg Punjab die absolute Mehrheit, hat aber rechnerisch mit der Pakistan People´s Party der ermordeten Benazir Bhutto eine 60% Mehrheit. Genau umgekehrt sieht es im Sindh aus, dem Stammland der PPP. Hier ergibt sich eine gleich große Koalitionsmehrheit mit der PML-N unter Führung der PPP.

Besonders spannend sind die Mehrheitsverhältnisse aber im Nationalparlament in Islamabad. Dort wird die PPP die stärkste Fraktion stellen und hat damit das Anrecht auf das Amt des Premierministers. In einer Koalitionsregierung mit der Pakistan Muslim League um Nawaz Sharif hätte sie ca. 60% der Sitze und unter Einbeziehung einiger unabhängiger Parlamentarier und der Awami National Party ANP sogar eine komfortable 2/3 Mehrheit und könnte somit ein Amtsenthebungsverfahren gegen Musharraf einleiten.

Völlig unerwartet kommen die Marginalisierung der religiösen Parteien in der Nationalversammlung und ihr Machtverlust in der von zunehmender Talibanisierung bedrohten Nordwestgrenzprovinz NWFP. Dort wird die säkulare paschtunische ANP die größte Fraktion stellen und kann in einer Koalition mit der PPP die Mehrheit bilden. Die Gründe für die Abwahl des zunehmend islamistischer gewordenen Parteienbündnisses MMA in NWFP werden deutlich, wenn man die Umstände der letzten Wahlen im Jahr 2002 rekapituliert. Damals profitierte das Bündnis von der Stimmung nach dem 11. September und der nach Volksmeinung vom Westen oktroyierten Beteiligung Musharrafs am Kampf gegen den Terrorismus. Eine Bilanzierung der Regierungsarbeit der MMA sieht heute ernüchternd aus, die Provinz hat in den fünf Jahren unter MMA den Anschluss an die Entwicklung der übrigen Provinzen verloren.

Ähnlich verhält es sich mit den Gründen für die Abwahl der bisherigen Regierungspartei PML-Q. Die Folgen einer verfehlten Energie- und Wirtschaftspolitik bekamen die Wähler in den letzten Monaten durch permanente Stromabschaltungen, Knappheit von Grundnahrungsmitteln und galoppierender Inflation  zu spüren. Sowohl die PML-N als auch die PPP präsentierten sich im Wahlkampf als Sachwalter der Interessen der ärmeren Bevölkerungsschichten. Bei einer allgemeinen Anti-Musharraf Stimmung konnte sein größter persönlicher Rivale Nawaz Sharif zudem aus seiner jahrelangen kompromisslosen Gegnerschaft zu Musharraf Kapital schlagen. Die landesweiten erheblichen Stimmenzuwächse für die PPP sind natürlich in erheblichem Maße auch auf den Sympathiebonus für ihre im Dezember ermordete Parteiführerin Benazir Bhutto zurückzuführen.

Die Aussichten

Neue Führungspersönlichkeiten bei den Wahlgewinnern sind nun gefragt und in dieser Hinsicht kommt als neuer Premierminister nur Makhdoom Amin Fahim von der PPP in Frage. Er ist bekannt für sein Charisma, seine konfliktvermeidende Art und verfügt über einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. In letzten Meinungsumfragen würde rund die Hälfte der Befragten ihn gerne als nächsten Premierminister sehen.

Auch wenn die politische Landschaft seit heute früh dramatisch verändert ist, hat Pakistan noch keinen irreversiblen Schritt auf dem Weg zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht. Denn den in Regierungsverantwortung gewählten Parteien mangelt es nicht nur an innerparteilicher Demokratie, sondern vor allem an tragfähigen Konzepten für eine demokratisch nachhaltige Umgestaltung. Auf ein die Gesellschaft überzeugendes politisches Programm zur Bekämpfung des Extremismus von Al Qaida und Taliban in den Grenzgebieten muss sich jede neue Koalitionsregierung ebenso verständigen wie auf einige harte wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Stabilisierung des vor dem Kollaps stehenden Staatshaushalts. Steuererhöhungen und Abbau von Subventionen werden unumgänglich sein.

Gleichwohl: der Ausgang der Parlamentswahlen ist ein Lichtblick, er könnte ein erster Schritt zu einer notwendigen demokratischen Transformation Pakistans sein. Ein weiterer Schritt in den nächsten Monaten muss in der Rückübertragung von Kompetenzen bestehen. Nach Dutzenden von Verfassungsänderungen seit der Machtübernahme Musharrafs geht es um Kompetenzverlagerung weg vom Präsidenten hin zu einer gewählten und nur dem Parlament gegenüber verantwortlichen Regierung.

Präsident und Militär

Obwohl Musharraf nicht ausdrücklich zur Wahl stand, ist das Ergebnis der Parlamentswahlen eine persönliche Niederlage für ihn und eine weitere Etappe seines atemberaubenden Machtverlusts. Er hatte sich noch vom alten Parlament im Oktober 2007 für weitere fünf Jahre zum Präsidenten der Islamischen Republik Pakistan wählen lassen. Dieses verfassungsrechtlich umstrittene Verfahren könnte nun mit einer 2/3 Mehrheit vom Parlament angefochten werden. Es scheint ausgeschlossen, dass das Militär dann noch einmal zu seinen Gunsten intervenieren würde. Denn zunehmend ist eine Distanzierung der neuen Armeeführung von ihm festzustellen, seine Hausmacht gerät ins Wanken. Das politische Ende von Musharraf ist schon oft prophezeit worden, das Ergebnis der gestrigen Wahlen könnte es dieses Mal tatsächlich einläuten.