Prävention und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien

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27. Februar 2008

Plan zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien für 2008
Aktueller Stand und laufende Aktionen

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Von André Lima
Leiter des Referats für Aktionen in Amazonien/Bundesumweltministerium (Diretor de Articulação de Ações na Amazônia/Secretaria Executiva Ministério de Meio Ambiente), 12 . Februar 2008.

Die im Dezember 2007 vom nationalen Raumforschungsinstitut INPE (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais) bekannt gegebenen Daten bestätigen, dass die Entwaldung in Amazonien von 2004 bis 2007 um 59 Prozent (von 27.000 km² auf 11.200 km²) zurückgegangen ist. Das ist ein wichtiger Moment in der Geschichte der nationalen Umweltpolitik. Entscheidend dazu beigetragen haben vor allem Maßnahmen in den Bereichen Überwachung, Kontrolle und Raumordnung, die im Rahmen des von der Regierung 2003 vorgelegten Plans zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien von der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA (untersteht dem Umweltministerium MMA), dem nationalen Raumforschungsinstitut INPE (untersteht dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie), dem nationalen Institut für Ansiedlung und Agrarreform INCRA (untersteht dem Ministerium für Agrarentwicklung MDA), unter maßgeblicher Beteiligung der Bundespolizei und des Militärs, durchgeführt wurden.

Obwohl die bis Juli 2007 registrierte Entwaldung die geringste ist seit Beginn der Aufzeichnungen des INPE im Jahr 1988, verlangen neue Faktoren die volle Aufmerksamkeit und konkrete Aktionen von Seiten der Regierung, um einer sich abzeichnenden Umkehr dieses aktuellen Zustandes vorzubeugen und diese aufzuhalten.
Der Anteil der entwaldeten Gebiete unter 50 Hektar an der entwaldeten Gesamtfläche stieg von 29 Prozent im Jahr 2002 auf 33 Prozent in 2003, 38 Prozent in 2004, 45 Prozent in 2005, 54 Prozent in 2006 und erreichte bis August 2007 56 Prozent. Das erschwert Kontrollaktionen und Maßnahmen in Bezug auf verwaltungs- und strafrechtliche Verantwortlichkeit. Die 800 größten entwaldeten Gebiete im Jahr 2005 waren zusammengenommen so groß wie mehr als 5000 der größten Gebiete 2006. Obwohl 40 Prozent der Entwaldung auf 25-35 der Kommunen zurückgehen, die von 2002 bis 2006 die größten Flächen abgeholzt haben, nimmt die Zahl der Entwaldungsgebiete stark zu. Das ist eine Trendwende, die wir als Fragmentierung bezeichnen und die die Kontrollaktionen vor Ort erschwert.
Überwachung und Kontrolle werden dadurch aufwändiger, das bedeutet, dass wir  Präventivmaßnahmen verbessern müssen. Umweltkontrollen müssen effizienter und effektiver werden und mit Maßnahmen der Agrarpolitik und offiziellen Kreditvergaben und auch mit den zuständigen Landesbehörden abgestimmt werden, damit eine größtmögliche Wirkung erreicht wird. Das erfordert zusätzliche innovative Strategien zur Verstärkung der Kontrollen und vor allem Initiativen, die den Erhalt und die nachhaltige Nutzung des Waldes attraktiv machen.

All diese Faktoren zusammen mit einer Besserung im Agrobusiness, nach den jüngsten Wirtschaftsindikatoren zu urteilen, machen deutlich, dass die Umsetzung effektiver Maßnahmen zur Kontrolle und Vorbeugung weiterer Entwaldung in besonderen Prioritätszonen absolut notwendig ist. Die wichtigsten Führungskräfte des brasilianischen Agrobusiness und auch unser Landwirtschaftsminister haben bereits eingestanden, dass es nicht notwendig ist weitere Flächen zu entwalden, um die Produktion und Produktivität der brasilianischen Land- und Viehwirtschaft zu steigern.

Wir sind allerdings besorgt anlässlich der vor kurzem bekannt gegebenen Daten, die das System zur Echtzeitkontrolle von Entwaldung DETER (Sistema de Detecção de Desmatamento em Tempo Real) registriert hat, das vom nationalen Raumforschungsinstitut INPE entwickelt wurde und auch geleitet wird. Die Aufzeichnungen ergaben für den Zeitraum Juni bis Dezember 2007 einen deutlichen Anstieg der Entwaldung in einigen Bundesstaaten Amazoniens (Pará, Rondônia, Mato Grosso), in einer Größenordnung von über 100% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Eine Erklärung dafür ist, dass die Regenfälle dieses Jahr später eingesetzt haben und daher im Oktober und November bei klarem Himmel mehr Entwaldungszonen gesichtet werden konnten als in den Jahren zuvor. Trotzdem reichen diese Daten aus, damit wir gleich zu Beginn 2008 unsere Maßnahmen verstärken, um auch tatsächlich auf die Rate von 2008 Einfluss zu nehmen, die vom INPE jeweils vom 1. August bis 31. Juli des darauf folgenden Jahres gemessen wird.

Schon vor den neuen Daten vom November und Dezember, die eine bisher unerreichte Entwaldungsrate für diese Monate prognostizierten (in einer Größenordnung von 7.000 km² für die 2. Jahreshälfte 2007) hat die Regierung daran gearbeitet, die Kontrollmaßnahmen zu verschärfen.
Eine erste Maßnahme ist die Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten Pará und Mato Grosso, die für 70 Prozent der 2007 registrierten Entwaldung verantwortlich sind, um Landespläne zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung auszuarbeiten. Diese Pläne sollen die Zusammenarbeit der Bundesstaaten mit der Bundesregierung regeln und werden in den nächsten vier Monaten abgeschlossen sein.

Die wichtigste Maßnahme war das Dekret der Bundesregierung 6321/07, das am 21. Dezember 2007 bereits veröffentlicht wurde. Es legt Instrumente zur Kontrolle der Entwaldung in so genannten Prioritäts-Gemeinden fest, das sind die Gemeinden, die die größten Anteile an neuer Entwaldung haben (letzten drei Jahre).
Dieses Dekret, das die leitende Kommission des Plans zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien ausgearbeitet und Staatspräsident Lula im Dezember unterzeichnet hat, schafft die normative Basis für die Umsetzung integrierter strategischer Maßnahmen verschiedener Organe der Bundesregierung, insbesondere des nationalen Instituts für Ansiedlung und Agrarreform INCRA und der Bundesumweltbehörde IBAMA. Ziel dieser Maßnahmen ist die präventive Überwachung und Kontrolle der Erweiterung der Grenzen der illegalen Entwaldung in Gemeinden, in denen diese schnell voranschreitet.

Die Regierungsstrategie für 2008

1) Das Bundesumweltministerium erstellt eine Liste der Prioritäts-Gemeinden, in denen Präventiv- und Kontrollmaßnahmen zur Entwaldung vorrangig durchgeführt werden. Eine vorläufige Liste wurde bereits veröffentlicht (Portaria 28 vom 24. Januar 2008). Sie enthält die 36 Gemeinden, die 2007 für 50 Prozent der Entwaldung verantwortlich waren. Jedes Jahr können neue Gemeinden hinzukommen gemäß den im Dekret festgelegten Kriterien. Die Gemeinden werden nach drei Kriterien ausgewählt: gesamte entwaldete Fläche seit Beginn der Überwachung, gesamte entwaldete Fläche der letzten drei Jahre und ein mindestens dreimaliger Anstieg der Entwaldungsrate in den letzten fünf Jahren (aufeinander folgend oder nicht).

2) Diese Gemeinden haben nicht nur Priorität bei den Umweltkontrollen, sie werden auch vom nationalen Institut für Ansiedlung und Agrarreform INCRA aufgefordert, sämtliche Grundstücke neu zu registrieren. Ziel dieser Aktualisierung ist es, Daten und raumbezogene Informationen zusammenzubringen, um vorbeugend das Vorkommen neuer Entwaldung überwachen und die Integration und Zusammenarbeit von Agrar- und Umweltpolitik fördern zu können. Zu dieser erneuten Registrierung muss der Besitzer (oder Landbesetzer) georeferenzierte Informationen über das Grundstück vorlegen. Damit sind die Umwelt- und Katasterämter zukünftig in der Lage, auf jedem einzelnen Grundstück festzustellen, ob entwaldet wurde und ob diese Entwaldung legal oder illegal war, und sie haben genaue Informationen über die Verantwortlichen.                                      

3) Bei Grundstücken, die nicht innerhalb einer noch festzulegenden Frist neu registriert werden, wird der Landtitel (certificado de cadastro de imóveis rurais – CCIR) entzogen. Das hat zur Folge, dass keine öffentlichen Kredite mehr dafür bewilligt werden, keine das Grundstück betreffende Transaktionen mehr möglich sind (Verkauf, Verpachtung, Teilung, Vererbung) und das Grundstück auch nicht als Sicherheit für öffentliche oder private Kredite verwendet werden kann.

4) Die Bundesumweltbehörde IBAMA wird für die auf der Liste stehenden Prioritäts-Gemeinden eine Positivliste erstellen mit den Grundstücken, auf denen die Entwaldung überwacht und unter Kontrolle ist und die vorschriftsmäßig registriert sind. Das entspricht einem offiziellen Siegel, so dass dann Produkte auf den Markt kommen, die nachweislich von Grundstücken stammen, deren Besitzer die Maßnahmen zur Kontrolle der Entwaldung einhalten.

5) Die Entwaldungsgenehmigung wird in den auf der Liste stehenden Gemeinden nur erteilt, wenn das Grundstück die Zertifizierung des INCRA bezüglich der genauen Georeferenzierung seines Umfelds erhält und rechtmäßige Besitztitel (Eigentum) vorliegen.

6) Die Sperre für die land- und viehwirtschaftliche Nutzung illegal entwaldeter Flächen wird nun obligatorisch und Verstöße gegen diese Sperre, die über Satelliten und durch Feldkontrollen überwacht wird, haben für Zuwiderhandelnde folgende Konsequenzen: Handelssperre für Produkte aus dem gesperrten Gebiet, Streichung der land- und viehwirtschaftlichen Kredite bei offiziellen Institutionen, Löschung der Eintragungen bei Umwelt- und Gesundheitsbehörden und bei der Bundesfinanzbehörde (Receita Federal), eine doppelt so hohe Strafe (kumulativ) wie normalerweise üblich bei illegaler Entwaldung und die Veröffentlichung der Grundstücksdaten in einer Liste der Zuwiderhandelnden. 

7) Die Bundesumweltbehörde IBAMA gibt eine Liste mit gesperrten Grundstücken und mit Grundstücken, auf denen die Sperre gegen die Nutzung illegal entwaldeter Flächen nicht eingehalten wird, heraus, die ständig aktualisiert wird. Es wird mit ihr genauso verfahren wie mit der Liste der Sklavenarbeit des Arbeitsministeriums. So kann der Konsument wählen zwischen Erzeugern, die sich für die Erhaltung des Amazonasregenwaldes einsetzen und solchen, die es nicht tun. Diese Liste dient auch der Überwachung und Kontrolle öffentlicher Kredite, die Erzeugern und Grundstücken, die auf den betreffenden Listen stehen, nicht zur Verfügung stehen.

8) Gemeinden in Amazonien, in denen mehr als 80 Prozent der Fläche (davon ausgenommen sind Schutzgebiete und indigene Gebiete) Grundstücke mit Georeferenzierung im Sinne des Dekrets sind, und in denen die Entwaldungsrate unter der in der Verordnung des Bundesumweltministeriums festgehaltenen Rate liegt, erhalten ein Zertifikat “Amazonische Gemeinde mit kontrollierter Entwaldung“, das ein wirtschaftliches Instrument (öffentlich und marktwirtschaftlich) darstellt und für die Gemeinden und die dort ansässigen Produzenten ein Anreiz sein soll. Die Regierung wird bei ihren Plänen, Programmen und Projekten in der Amazonasregion bevorzugt den Gemeinden, die auf der hier genannten Liste stehen, wirtschaftliche und steuerliche Anreize bieten, um eine nachhaltige Wald-, Sammel- Land- und Viehwirtschaft zu fördern.

9) Verwaltungssanktionen, die denen auferlegt werden, die die Sperre gegen die Nutzung illegal entwaldeter Flächen nicht einhalten (siehe Punkt 7), werden auch denjenigen auferlegt, die Produkte oder Nebenprodukte tierischer oder pflanzlicher Herkunft aus gesperrten Gebieten erwerben, weitergeben, transportieren oder kommerzialisieren. Diese Erweiterung der Verwaltungssanktionen verlangt von Käufern und Zwischenhändlern (z.B. Kühlhäuser und Sojabohnenhändler), dass sie bei ihren Lieferanten die Entwaldung überwachen und kontrollieren. Bei Verstößen haften beide Unternehmen und zwar deshalb, weil Käufer und Zwischenhändler die Entwaldung direkt mitfinanzieren, auch wenn sie nicht Urheber sind. Diese Maßnahme gilt jetzt schon für den Kauf von illegal eingeschlagenem Holz.

10) Durch ein Dekret ohne Nummer, das der Präsident der Republik am 6. Dezember 2007 unterzeichnet hat, wurde die Arbeitsgruppe Umwelthaftung eingerichtet, die sich zusammensetzt aus Polícia Federal (Bundespolizei), Agência Brasileira de Inteligência (brasilianisches Amt für Intelligenz), Gabinete de Segurança Nacional (Kabinett für nationale Sicherheit), Advocacia Geral da União (Bundesanwaltschaft) und Casa Civil da República (Präsidialamt). Sie soll Normen, Strategien und Routinehandlungen von Institutionen überarbeiten und verbessern, die an Ermittlungen, vorbeugenden Maßnahmen und Maßnahmen zur Umwelthaftung (verwaltungs-, straf- und zivilrechtlich), den Produzenten (vor allem Wiederholungstäter) betreffend, beteiligt sind. Außerdem soll sie Produktionsketten identifizieren, die mit illegaler Entwaldung in Zusammenhang stehen, und gegen diese vorgehen.

11) Im Dezember wurden noch zwei weitere Dekrete unterzeichnet: Das Dekret zur Einsetzung einer leitenden Kommission für den Plan zur nachhaltigen Entwicklung der Bundesstraße BR 163, dessen Ziel die Umsetzung positiver Maßnahmen in dieser wichtigen, von der Bundesstraße Cuiabá-Santarém zerschnittenen Region Amazoniens ist; und das Dekret, das die Regelung der ökologisch-ökonomischen Flächennutzungsplanung lockert und eine Produktionssteigerung auf offenen Flächen zulässt, die für Land- und Viehzucht tauglich sind. Das soll verhindern, dass neue Waldflächen in Acker- und Weideland umgewandelt werden.

12) Die Arbeitsgruppe Umwelthaftung des Plans zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien hat bereits eine Sonderkommission gebildet, die zunächst (in den kommenden sechs Monaten) gegen die 150 schlimmsten Fälle von Entwaldung vorgehen wird, die zwischen 2006 und 2007 in den Bundesstaaten  Mato Grosso, Rondônia und Pará registriert wurden, und zwar mit effektiven und beispielhaften Maßnahmen hinsichtlich verwaltungs-, straf- und zivilrechtlicher Verantwortlichkeit. Die Vorgehensweise in diesen Fällen wird unter den Institutionen, die der Arbeitsgruppe angehören, abgesprochen und soll die Straflosigkeit bei Entwaldung, Brandrodung oder illegalem Holzeinschlag bekämpfen und mit Zuschüssen und Richtlinien die Strategien und Routineverfahren der Behörden verbessern, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit auf Dauer zu garantieren.

13) Offizielle Institutionen werden bei Krediten für Investitionen in Land- und Viehwirtschaft, Waldwirtschaft und industrielle Landwirtschaft Nachhaltigkeitskriterien anwenden.

Parallel zur Umsetzung der oben beschriebenen Strategie wird das Bundesumweltministerium, vertreten durch die leitende Kommission des Plans zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung von November 2007 bis April 2008 eine offizielle und offene Evaluierung des Plans vorlegen, um ihn dann zu revidieren und für die nächsten vier Jahre zu optimieren.

Bei der Revision des Plans wird der Schwerpunkt auf einer erforderlichen stärkeren Mitverantwortung von Gemeinde und Ländern liegen, da der Plan bis heute ausschließlich von Institutionen der Bundesregierung getragen wird, und weil wir festgestellt haben, dass wir unbedingt auf eine positive Agenda hinarbeiten müssen, die Investitionen für geeignete wirtschaftliche Aktivitäten in der Region einschließt.

In diesem Sinne hat das Bundesumweltministerium bereits begonnen Landespläne zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung in den Bundesstaaten Pará, Mato Grosso und Acre auszuarbeiten, und 2008 dürfte sich die Zusammenarbeit auf weitere Bundesstaaten ausweiten, in erste Linie Rondônia und Amazonas, in denen es ebenfalls Gemeinden gibt, die auf der Prioritätsliste für dieses Jahr stehen.

Wir glauben, dass wir mit den oben genannten Maßnahmen der Tendenz eines neuerlichen Anstiegs illegaler Entwaldung in Amazonien entgegenwirken können und bereits jetzt Einfluss nehmen auf die Entwaldungsrate von 2008. Gleichzeitig schaffen wir strukturelle Voraussetzungen, um den Prozess unter Kontrolle zu halten.  

Übersetzung: Cornelia Knauss

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